Am Wochenende wollte Schraubenkönig Reinhold Würth das 70. Firmenjubiläum mit Open Air und Sommerfest am Firmensitz in Künzelsau feiern. Stattdessen wird sich die Familie über die Tatsache freuen, dass Sohn Markus 70 Kilometer nördlich bei Kist (Lkr. Würzburg) seinen Entführern mit heiler Haut entkommen ist.
Ihm ging es nicht wie dem entführten Richard Oetker 1976, der noch heute an Verletzungen leidet. Den Bankierssohn Jakob von Metzler ermordete der Entführer trotz Lösegeldzahlung. „Und man muss damit rechnen, dass Entführer ihr Opfer töten, damit es keine Hinweise auf sie liefert“, sagt ein Ermittler.
Markus Würth – seit einem Impfunfall in der Kindheit behindert – war aus der betreuten Einrichtung in Sassen in Osthessen am Mittwoch entführt worden. Nach einer Lösegeldforderung über drei Millionen Euro ließen die Entführer ihr Opfer gefesselt an einem Baum im Wald nahe der A 3 zurück. Würth wurde am Donnerstagmorgen befreit.
Nun läuft die Fahndung nach dem oder den Entführern. Der Geschäftsführende Direktor des Kieler Instituts für Krisenforschung, Frank Roselieb, vermutet Profis mit Insiderwissen als Täter. Aber in Sassen war es kein Geheimnis, dass der 50-jährige Markus Würth dort lebte: „Das weiß ja hier jeder im Ort“, sagte ein Anwohner zu Pressevertretern.
Möglicherweise lässt die Art der Fesselung Rückschlüsse auf die Entführer zu – oder die Wahl des Ortes, an den das Opfer gebracht wurde. Vielleicht gibt es Spuren an der Kleidung des Entführten. Denkbar ist auch, dass ein Handy eines Entführers im Wald bei Würzburg Kontakt zum nächsten Funkmast suchte: Hat sich das Handy auch in der Nähe des Entführungsortes eingewählt, könnte das ein Hinweis auf den oder die Täter sein. Die Stimme des Entführers dürfte die Polizei – die sich zur Ermittlung völlig bedeckt hält – nicht auf Band haben: Die Lösegeldforderung soll in der Konzernzentrale in Künzelsau eingegangen sein.
Nach der Nacht, die der Sohn des Milliardärs an einen Baum gefesselt im Wald verbringen musste, wäre es naheliegend, ihn schonend in seine gewohnte Umgebung zurückzubringen. Aber nun weiß alle Welt, wo er lebt – eine Einladung für mögliche Nachahmungstäter.
Schon jetzt leiden dort 250 behinderte Menschen und ihre Betreuer an der erhöhten Aufmerksamkeit. Die Anfahrtswege sind weiträumig abgesperrt. An Feldwegen haben sich Polizisten postiert, um Journalisten fernzuhalten.
Dass es rund um die Einrichtung zuweilen Unruhe gibt, daran sind die Bewohner gewöhnt. „Da verschwindet schon mal einer. Die gehen spazieren und finden dann nicht mehr zurück“, sagt Gaby Habl, deren Vater im Ort wohnt. Doch eine Entführung ist eine neue Dimension.
Indessen versucht man bei Würth in Künzelsau, zur Normalität zurückzufinden. Das Open-Air am Freitag ist mit 5500 Besuchern ausverkauft, zum Tag der offenen Tür erwartet das in der Region verwurzelte Unternehmen 30 000 bis 40 000 Besucher. Trotz der Aufregung um die Entführung sollen beide Feierlichkeiten stattfinden, sagt eine Würth-Sprecherin – der 80-jährige Unternehmenschef werde beim Tag der offenen Tür aber wohl nicht dabei sein.