Wenigstens für den Moment ist wieder Ruhe eingekehrt, montags auf Würzburgs Straßen. In den ersten Monaten des Jahres 2015 war das anders. Ende 2014 schwappte die Pegida-Bewegung aus Dresden nach Würzburg und beschäftigte die Domstadt mit ihren ausländerfeindlichen und teils hetzerischen Kundgebungen über Wochen. Montagabend für Montagabend. Bis zu 300 Teilnehmer brachte Wügida – wie sich der Würzburger Ableger der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ nannte – auf die Straße. Würzburger fanden sich unter den „Würzburgern gegen die Islamisierung des Abendlandes“ allerdings kaum. Den sogenannten „besorgten Bürgern“ stellte sich derweil regelmäßig ein Vielfaches an Gegendemonstranten entgegen.
Schon früh hatte Würzburgs Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU) erklärt, Flüchtlinge seien in der Stadt willkommen, Pegida nicht. Während einer Kundgebung von rund 1500 Pegida-Gegnern kündigte er an, Fremdenfeindlichkeit, „in welchem Gewand sie auch daherkommt“, werde in Würzburg nicht geduldet. Tatsächlich gingen die Auftritte der Islamhasser meist in ohrenbetäubendem Protest unter.
Viele gesicherte Erkenntnisse darüber, warum sich Pegida nur wenige Wochen nach der Demo-Premiere in Dresden neben anderen Städten gerade Würzburg als Kundgebungsstandort aussuchte, gibt es nicht. Auch die Frage, wer die treibenden Kräfte und Initiatoren der Würzburger Bewegung waren, ist nicht endgültig geklärt. Sicher ist aber: Unterfränkische AfD-Funktionäre und Mitglieder der neurechten Identitären Bewegung (IB) gehörten zu den Aktiven der ersten Stunde. Schon früh tauchte bei den Wügida-Demos ein Banner mit dem Spruch „Unser Land – uns're Werte“ auf; ein Slogan der Identitären Bewegung, die inzwischen von mehreren Landesämtern für Verfassungsschutz beobachtet wird. Bereits am 8. Dezember 2014 sprach zudem der IB-Bundessprecher Nils Altmieks bei einer Wügida-Kundgebung.
Bei eben dieser Veranstaltung ebenfalls dabei: Funktionäre der unterfränkischen AfD. Schon einige Zeit hatte die stellvertretende Bezirksvorsitzende Nadja Stafl via Facebook und E-Mails die Werbetrommel für Wügida gerührt. Auch der unterfränkische AfD-Chef Gottfried Walter bekannte sich zu Wügida.
Bei einem skurrilen Redaktionsbesuch kurz vor Weihnachten 2014, zu dem Stafl mit einem Schal verschleiert erschien – „Ich wollte Ihnen zeigen, wie es ist, wenn wir künftig mehr Rücksicht auf religiöse Befindlichkeiten nehmen müssen“, erklärte sie –, verteidigten die beiden Unternehmer aus dem Landkreis Main-Spessart die Bewegung. Fremdenfeindlich sei Pegida nicht, behaupteten sie. „Die meisten, die dabei sind, sind rechtschaffene Bürger, Ältere und Jüngere aus der Mittelschicht.“
Sie sollten sich irren. Im Januar trat der bekannte Islamhasser und Rechtspopulist Karl-Michael Merkle, alias Michael Mannheimer, bei Wügida auf. Seine Rede in Würzburg rief die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Anfang 2015 häuften sich dann Meldungen über rechtsextreme Teilnehmer bei Wügida: Mitglieder der NPD und des verbotenen Freien Netz Süd, Anhänger der rechtsextremen Parteien „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ sowie Hooligans gingen in Würzburg auf die Straße. Auf der anderen Seite der Absperrgitter machte die Antifa mobil – eine explosive Mischung, die auch die Polizei forderte. Bis auf kleinere Zwischenfälle blieben die Kundgebungen aber weitgehend friedlich.
AfD-Bezirkschef Walter distanzierte sich im Februar von Wügida. „Heute sehe ich die Bewegung kritischer“, sagte er damals. „Das wird sich wie eine Schlange häuten.“ Doch offensichtlich sahen das nicht alle in der unterfränkischen AfD so: Rainer Eich, stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbands Main-Spessart/Miltenberg, stand noch monatelang – auch als Ordner – bei Wügida in der ersten Reihe.
Unterdessen hatte sich längst ein blonder Student an die Spitze der Würzburger Pegida-Bewegung gestellt. Der aus Thüringen stammende Simon Kaupert mit Wohnsitz in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart) gerierte sich Montag für Montag als intellektueller Kämpfer für Meinungsfreiheit und Demokratie. Doch immer wieder brach sich in seinen Reden plumpe Hetze Bahn: gegen Asylbewerber, die bei Kaupert allesamt zu Sozialschmarotzern werden, und gegen Politiker, die in seinen Augen „Verbrecher“ sind und die er gern „kaviarschmatzende Elite“ nennt.
Besonders intensiv arbeitete sich der Wügida-Hauptredner an Journalisten – laut seinen Worten „Presseschlampen“ und „Lohnschreiberlinge“ der „Lügenpresse“ – ab. Dabei hat Kaupert selbst zeitweise Artikel für die Lokalausgabe dieser Zeitung geschrieben. Eine andere beliebte Zielscheibe Kauperts waren die Gegendemonstranten. Das Würzburger Bündnis für Zivilcourage, an deren Spitze der katholische Hochschulpfarrer Burkard Hose steht, hatte Wügida früh ein Dialogangebot unterbreitet – es aber bald wieder zurückgezogen, weil die Wügida-Organisatoren auf die Bedingung, sich von rechtsradikalen Demo-Teilnehmern und Inhalten zu distanzieren, nicht eingehen wollten.
Auch Versuche von Journalisten, mit den Demonstrationsteilnehmern ins Gespräch zu kommen, hatten in der Regel keinen Erfolg. Schließlich kam man ja von der „Lügenpresse“. Stattdessen wurde immer wieder gefordert, das 19-Punkte-Positionspapier von Pegida zu veröffentlichen. Darin hatte die Bewegung Bekenntnisse unter anderem zu Asyl und Integration formuliert – nur standen diese im krassen Widerspruch zu den Schmähparolen und der rechten Stimmungsmache auf der Straße.
Im Laufe der Zeit lockte Wügida immer weniger Anhänger – trotz des Terrors in Paris im Januar und der steigenden Zahl von Flüchtlingen. Zählte die Polizei beim Auftritt Michael Mannheimers am 5. Januar noch rund 300 Teilnehmer, war die Masse der „besorgten Bürger“ bis Ende März auf etwa 60 Personen geschrumpft. Nach einer mehrwöchigen Pause kamen Anfang Mai noch einmal knapp 50 Demonstranten, die sich rund 150 Gegendemonstranten gegenübersahen. Simon Kaupert sollte bislang nur noch einmal öffentlich in Erscheinung treten: wenige Wochen später als Gastredner bei der ersten Pegida-Kundgebung in Stuttgart. Dabei „garantierte“ er in stakkatoartigem Grölen seinen johlenden Zuhörern unter anderem, dass Pegida in einigen Jahren Straßen und Plätze benennen werde. Der offensichtliche Größenwahn löste Jubel aus.
Danach gingen in Würzburg die „Patriotischen Europäer“, die sich zwischenzeitlich in „Pegida Franken“ umbenannt hatten, nur noch einmal auf die Straße – dabei ließ die Bewegung alle Masken fallen. Ein Redner bei der Veranstaltung am 12. Oktober war Dan E., Nürnberger Chef der Neonazi-Partei „Die Rechte“. Nur wenige Tage später sollte E. während einer Großrazzia gegen die rechtsextreme Szene in Ober- und Mittelfranken festgenommen werden. Im Visier der Ermittler stand damals eine Gruppierung, die unter anderem im Verdacht steht, Sprengstoffanschläge gegen Asylbewerberunterkünfte geplant zu haben. Dafür hätten sich die Verdächtigen Feuerwerkskörper aus Osteuropa besorgt, wie Staatsanwaltschaft und Polizei in Bamberg mitteilten. Wie Recherchen dieser Redaktion ergaben, war unter den Festgenommenen auch Andreas G., ebenfalls Funktionär bei der Partei „Die Rechte“ – und regelmäßig Ordner bei Wügida.
Auch kleinere Fische bekamen Ärger mit der Justiz. Im Herbst wurde etwa ein Wügida-Sympathisant wegen Beleidigung rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Schweinfurter hatte auf Facebook gegen Flüchtlinge und Muslime gehetzt und im Frühjahr, nach einer Wügida-Kundgebung auf der Wügida-Facebook-Seite einen Redakteur der Main-Post beleidigt und die Main-Post selbst als „Lagerzeitung“ bezeichnet.
Schließlich wurde auch der Bayerische Verfassungsschutz aktiv. Ende Oktober informierte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) das Parlamentarische Kontrollgremium des Landtags darüber, dass die Verfassungsschützer neben der Nürnberger Pegida-Gruppe Nügida nun zwei weitere Ableger der Bewegung beobachtet: „Pegida München“ und „Pegida Franken“, ehemals Wügida.
Ob es dennoch ruhig bleibt auf Würzburgs Straßen, bleibt abzuwarten. Zwar ist selbst in Dresden die Zahl der Pegida-Anhänger geschmolzen, vor Weihnachten demonstrierten aber wieder bis zu 8000, vor allem gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. „Pegida Franken“ ist unterdessen auf Facebook nach wie vor aktiv. Dort rufen die Hintermänner zur Teilnahme an asylfeindlichen Demonstrationen im ganzen Bundesgebiet auf und hetzen in alter Manier gegen Flüchtlinge.
Pegida – eine Chronologie der Ereignisse in Dresden
1. Oktober 2014: Lutz Bachmann gründet die Facebook-Gruppe „Friedliche Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Darin protestiert der Dresdner gegen eine Solidaritätskundgebung für die PKK; 20. Oktober 2014: Erster „Spaziergang“ in Dresden mit 350 Teilnehmern, jetzt unter dem Namen „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“; 1. Dezember 2014: Bachmanns kriminelle Vorgeschichte wird bekannt;
12. Januar 2015: 25 000 Teilnehmer bei Pegida; 19. Januar 2015: Wegen akuter Anschlagsgefahr wird die Kundgebung in Dresden abgesagt; 28. Januar 2015: Wegen Querelen mit Bachmann ziehen sich einige Organisatoren zurück; 13. April 2015: Der niederländische Politiker und Rechtspopulist Geert Wilders spricht bei Pegida; 7. Juni 2015: Bei den OB-Wahlen in Dresden holt Pegida-Kandidatin Tatjana Festerling knapp zehn Prozent; 2. Oktober 2015: Die Staatsanwaltschaft Dresden erhebt gegen Bachmann Anklage wegen Volksverhetzung; 12. Oktober 2015: Ein Pegida-Teilnehmer trägt einen Galgen für Kanzlerin Merkel (CDU) und Vize-Kanzler Gabriel (SPD). Text: ben
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