Was für ein Gefühl ist das, wenn plötzlich im Seniorenhaus Marktbreit ein Telefon klingelt, die Brentano-Gesellschaft aus Frankfurt in der Leitung ist und den Wolkengeist sprechen will, um ein Gedicht von ihm zu veröffentlichen? „Das ist einfach unglaublich“, sagt der 72-jährige Hermann Geist. Der Künstler, Frei- und Querdenker und Politaktivist war einige Zeit von der Bildfläche verschwunden, er hatte eine schwere Zeit, über die er nicht gerne reden will. Der betreute Aufenthalt in Marktbreit hat ihm sichtlich gut getan und ganz sicher das Pflegepersonal auf Trab gehalten.
Denn einfach war Wolkengeist – das ist sein Künstlername aus alten Zeiten – noch nie. „Ich schreibe hier ständig Gedichte und Essays“, sagt er während im Tal unter seinem Zimmer ein Bach murmelt. Sein Gedicht ohne Titel zum Thema Erde (siehe Abdruck auf dieser Seite) hat er eines Morgens zwischen 5.30 und 6 Uhr geschrieben. „Das floss mir einfach aus der Feder.“ In einem Magazin des Buchhandels hatte er etwas über den Autorenwettbewerb der Brentano-Gesellschaft und ihrer Frankfurter Bibliothek gelesen und für sich beschlossen, mitzumachen. „Schließlich ist das ja eine respektable Publikation.“
Da hat Wolkengeist recht. Jedes Jahr erscheint ein aufwändiger Band, in dem die Lyrik und Poesie der Gegenwart festgehalten wird. Dieser Band soll eine der weit verbreitetsten Lyriksammlungen der Nachkriegszeit sein.
In einem Schreiben teilt der Verlag mit, dass das Erd-Epos von Geist abgedruckt wird. Und: „Die Edition bietet einen Querschnitt durch die literarische Kultur unserer Gesellschaft. Wir suchen daher gerade auch nach Beiträgen nicht entdeckter Autoren, die ihre literarische Karriere noch vor sich haben.“ Der Band der Frankfurter Bibliothek, so war von der Brentano-Gesellschaft zu erfahren, wird weltweit in den bedeutendsten Bibliotheken eingestellt wie in der Wiener Staatsbibliothek, in den Schweizer und Französischen Nationalbibliotheken und in der National Library of Congress in Washington. Das neue Werk umfasst etwa 800 Buchseiten.
Hermann Geist ist schon lange kreativ unterwegs. Eigentlich ist er Schuster und Architekt. So hat er sich auch immer wieder seinen Lebensunterhalt verdient. Doch nebenher war er immer einer, der große Ideen hatte und die Welt bewegen wollte. In den 80er Jahren tauchte er in Roßbrunn auf, kaufte am Aalbach die marode Zehntscheune für wenig Geld und versuchte, sie in Handarbeit zu sanieren. Dort wollte er künftig wohnen. Das Projekt selbst kostete ihn Geld und Schweiß, der Erfolg stellte sich nicht ein, die Scheune blieb in schlechtem Zustand. Doch für die Nachbarn und Anwohner war es eine schöne Zeit mit vielen romantischen Feiern im alten Gemäuer und mit viel Musik vom Wolkengeist.
Geist wurde am 29. Juli 1937 in Würzburg geboren. Sein Vater – er war selbstständiger Schuster – ließ ihn schon als Kind Akkordeon lernen. Er entdeckte seine musische Begabung. Für ein paar handgearbeitete Stiefel kam ein Klavier in die Familie. „Eigentlich wollte ich auf der klassischen Linie bleiben, doch ich entdeckte die zeitgenössische Musik. Das prägte mich.“ Um das Leben kennenzulernen und um der Würzburger Enge zu entfliehen, machte sich Geist nach Lehre und nicht beendetem Klavierstudium auf den Weg, Europa zu entdecken. Gelegenheitsjobs und die Musik hielten ihn über Wasser. 1967 heiratete er zum ersten Mal, ein Kind kam. Um seine Familie über Wasser zu halten fing er an, in Würzburg Architektur zu studieren. Die Ehe zerbrach. Der „(Frei)Geist“ arbeitete nach dem Studium sogar mal für das Würzburger Stadtplanungsamt, zwischen 1974 und 1976. „Mir war damals klar, wenn ich da bleibe, bin ich ein toter Mann“, sagt der Würzburger rückblickend. Eine starre Arbeitszeit war nichts für ihn. Dafür eröffnete er ein Architektenbüro, das allerdings nie so richtig in die Gänge kam.
Die Musik begleitete ihn ein Leben lang. Neben privaten Auftritten gab es auch öffentliche und 1982 brachte er mit seiner Band Wolkengeist eine eigene Langspielplatte heraus: „Regenbogen“. „Wir spielten Rockjazz mit deutschen Texten“, sagt er selbst. Wer die Musik kennt, weiß wie abgefahren und avantgardistisch sie zu dieser Zeit war. Die Band spielte darauf nur Eigenkompositionen.
Anfang der 90er Jahre zieht er nach Thüngersheim, er will den Ort kulturell beleben. Seine Mutter hat dort ein Einfamilienhaus, er wohnt dort. Die Werkstatt-Galerie wird ins Leben gerufen, Veranstaltungen und Vernissagen organisiert. Doch auch dieses Projekt ist nur vorübergehend, kostet Geist am Ende sogar das Elternhaus.
Den Würzburgern ist Wolkengeist bekannt von vielen kulturellen aber auch politischen Aktionen. 2001 hat er in der Stadtmensa der Uni eine Ausstellung für Studenten, abstrakten Realismus nennt er das. Ein Kritiker schreibt: „Dem Künstler gelingt es, mit wenigen Strichen unaufdringliche Raumgebilde zu schaffen, in denen der Betrachter spazieren kann.“
2005 sehen Radfahrer auf den Mainwiesen eine seltsame Gestalt trauernd an gefällten Bäumen stehen. Mit einem Mahnmal macht Geist tagelang auf den Tod von 14 mächtigen Bäumen aufmerksam. Trotz der Begründung „morsch“ lässt er sich nicht beirren und nimmt die Aktion persönlich.
Die Fußball-WM in Deutschland im Jahr 2006 ohne Wolkengeist: undenkbar. Er kommt in die Redaktion und schlägt vor, eine Hymne für die ghanaische Nationalmannschaft zu dichten, die in Würzburg untergebracht ist. Noch heute findet man das Lied bei den Internet-Videos und selbst ein Drehteam von Sat 1 machte sich auf den Weg in die Domstadt.
2006 sammelt Hermann Geist 400 Unterschriften gegen ein Geländer am Kranenkai, das gerade gebaut wird und für viel Ärger in der Bürgerschaft sorgt. Er übergibt sie OB Pia Beckmann und wendet sich damit „gegen die Einzäunung des Mains“.
Eine wilde Zeit folgt, die in einer Klinik endet. Rückblickend sagt der Künstler: „Ich bereue keinen einzigen Schritt. Die nächsten 20 Jahre werden die schönsten in meinem Leben.“ Und die will Wolkengeist in Würzburg verbringen. Sein größter Wunsch: wieder in seiner Heimatstadt wohnen.
Er hat wieder Projekte im Auge und auch einen klingenden Namen: „Wolkengeist-Foundation – Wege zum Licht“. „Ich will eine eigene Zeitung machen für Politik und Kultur und bleibe dem Dichten treu.“ Hermann Geist jedenfalls hat im Alter von 72 Jahren noch jede Menge Zukunftsträume.
Danke,Ernst Jerg, mit hat der Artikel gut gefallen
MfG