In der Knochensammlung im Anatomischen Institut der Universität Würzburg entdeckt ein Doktorand einen Schädel, der nicht zum restlichen Skelett passt, mit dem er einsortiert wurde. Der Schädel ist deutlich jünger, als in den Leichenpapieren steht . . .
Eine zentrale Szene im zweiten Franken-„Tatort“. Gedreht wird auf geschichtsträchtigem Boden, im Institut für Anatomie und Zellbiologie in der Würzburger Koelliker-Straße. Der Neo-Renaissance-Bau, eröffnet 1883, hat die Film-Crew um Regisseur Andreas Senn, Drehbuch-Autorin Beate Langmaack und Redakteurin Stephanie Heckner vom Bayerischen Rundfunk (BR) ebenso fasziniert wie das Gespräch mit Professor Dr. Süleyman Ergün. Der Institutsleiter, seit 2011 in Würzburg, freut sich, dass der „Tatort“ zu Gast in „seinen“ Räumen ist. Der Krimi biete eine gute Gelegenheit, eine medizinische Disziplin, die sonst eher im Hintergrund wirkt, für ein großes Publikum ins Blickfeld zu rücken.
Während Pathologen und Gerichtsmediziner Gewebeproben und Leichen untersuchen, um eine Krankheits- oder Todesursache zu klären, interessieren sich die Anatomen für sämtliche Strukturen im menschlichen Körper, den Sitz und die Funktionsweise von Nerven, Adern, Haut, Muskeln, Sehnen, Knochen und Organen. Ein Schwerpunkt neben der Forschung ist die Lehre. Jeder Studierende der Medizin und der Zahnmedizin – in Würzburg sind das 400 im Jahr – muss im zweiten oder dritten Semester einen sogenannten Präparierkurs belegen. „Ziel ist es, ein Grundverständnis für den menschlichen Körper zu vermitteln“, sagt Ergün. Und dafür bedarf es realer menschlicher Körper. Diese gewinnt das Institut, wenn Menschen aus der Region sich zu Lebzeiten entschließen, ihren Körper nach dem Tod der Anatomie zu spenden.
Dankbarer Professor
„Wer sich für eine Körperspende entscheidet, der dient dem Leben“, sagt Süleyman Ergün. Der Umgang gerade auch mit so feingliedrigen Elementen wie Nervenbahnen und Äderchen lasse sich nicht simulieren, betont der Anatomie-Professor.
Das Thema Körperspende kommt auch im „Tatort“ vor. Dabei gehen die Filmemacher „sehr sensibel“ vor, sagt Professor Ergün. Er ist beeindruckt, „mit welcher Präzision das Team auch auf Details achtet“. Das habe er bei einem Fernseh-Krimi so nicht erwartet. „Ich dachte, das gibt es nur in der Wissenschaft.“ Bereits vor einem Jahr haben die ersten Gespräche stattgefunden, der Anatom bekam das Drehbuch sogar zum Gegenlesen zugeschickt. Am Ende sei man sich einig gewesen, auch in Sezierräumen zu drehen, „aber auf eine sehr rücksichtsvolle Art und Weise“. Entsprechend groß ist die Unterstützung seitens der Universität für die 50-köpfige Fernseh-Crew, die rund um das Institut den Dreh organisiert.
Direkt am Set sind Ergüns Mitarbeiterinnen Anett Diker und Dr. Maike Veyhl-Wichmann mit dabei. Die Medizinerin erklärt Schauspielern und Komparsen beispielsweise, wie sie ein Skalpell richtig halten, heißt es in einer Pressemitteilung der Universität. Außerdem bekommen die Darsteller gesagt, wohin sie deuten müssen, wenn sie von einem bestimmten Fußwurzelknochen sprechen. Oder wie sie einen (Kunststoff-)Körper am Seziertisch korrekt mit einer Alkohollösung besprühen. Letzteres ist der Job von Maximilian Rückert. Er hat eine der begehrten Statistenrollen ergattert. Im wahren Leben promoviert er in Geschichte, jetzt schauspielert er im „Tatort“ als Präparatorengehilfe. „Es macht einfach Spaß. Dabeisein ist alles“, freut er sich.
In einer anderen Szene laufen die Hauptdarsteller Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs durch das großräumige Treppenhaus im Institut. Eine beeindruckende Filmlocation, waren sich die „Tatort“-Macher gleich beim ersten Besuch in Würzburg einig. Der Bau versprüht Anatomie-Geschichte, eng verbunden mit dem Namen Albert von Koelliker (1817-1905).
Erinnerungen an Koelliker
Der gebürtige Schweizer, Doktor der Medizin und der Philosophie, wurde 1847 als Professor nach Würzburg berufen. Über 50 Jahre war er Vorstand des Anatomischen Instituts. Als einer der ersten Wissenschaftler habe Koelliker die Funktionsweise von Nervenzellen mit dem Mikroskop untersucht und unter anderem erklären können, wie das menschliche Gedächtnis funktioniert, berichtet Süleyman Ergün. „Das sind bahnbrechende Erkenntnisse, die noch heute gültig sind.“ Der Spanier Ramon y Cajal, ein enger Vertrauter Koellikers, der auf dem gleichen Gebiet forschte, wurde dafür 1906 mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt. Für Ergün besteht kein Zweifel, dass der Würzburger Professor die Auszeichnung genauso verdient gehabt hätte. Und mit noch einem Nobelpreisträger hatte Koelliker engen Kontakt. Das berühmte Bild, mit dem der Physiker Wilhelm Conrad Röntgen 1896 in Würzburg die Entdeckung seiner X-Strahlen dokumentierte, zeigt die Hand von Koellikers.
Informationen, die den „Tatort“-Zuschauern vermutlich verborgen bleiben. Allerdings dürfen sie sich im Film an der Architektur des Instituts erfreuen, die Koelliker seinerzeit auf die wissenschaftlichen Bedürfnisse ausrichten ließ. So sollten die riesigen, hohen Fenster möglichst viel Licht zum Mikroskopieren in die Anatomie-Labors holen. Manzel und Hinrichs haben dafür in diesem Moment kein Auge. Sie müssen ihre Szene mehrfach neu drehen. Der Auftritt einer Putzfrau passt dem Regisseur noch nicht.
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Weitere Bilder und Infos von den „Tatort“-Dreharbeiten in der Anatomie:
Franken-„Tatort“
Nach fast fünf Wochen gehen jetzt die Dreharbeiten für den zweiten Franken-„Tatort“ zu Ende. Die Premiere des Ermittlerteams um die Hauptkommissare Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) sahen am 12. April über zwölf Millionen Fernsehzuschauer. Die Erwartungen sind groß, dass der Erfolg anhält. Die neue Folge „Das Recht sich zu sorgen“ spielt im Großraum Nürnberg und in Mainfranken.
Regisseur Andreas Senn drehte unter anderem an der Mainschleuse Gerlachshausen (Lkr. Kitzingen) sowie in Würzburg an der Autobahnraststätte, an der Festung Marienberg und im Anatomischen Institut. Ringelhahn, Voss und ihre Kollegen bekommen es mit drei Fällen gleichzeitig zu tun. In einem Gasthaus im Nürnberger Land wird die Wirtin erwürgt. Im Institut für Anatomie der Uni Würzburg stößt ein Doktorand auf einen mysteriösen Schädel. Und vor dem Polizeipräsidium in Nürnberg schlägt eine Frau ein Zelt auf, um dagegen zu protestieren, dass die Beamten sich weigern, ihren vermissten Sohn zu suchen. Nach Angaben des Bayerischen Rundfunks (BR) wird der „Tatort“ im Frühjahr 2016 ausgestrahlt. Text: Micz