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WÜRZBURG
Wo das Sams seine Rüsselnase verlor
Paul Maar als Illustrator: Der berühmte Kinderbuchautor wollte zuerst ein Maler werden. Dann kam ihm der tätowierte Hund dazwischen.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 30.03.2016 13:17 Uhr

Paul Maar ist gelöster Stimmung. Seit wenigen Wochen ist sein Buch „Kakadu und Kukuda“ auf dem Markt. Und gerade hat der gebürtige Schweinfurter seinen letzten Text für sein nächstes Werk beendet. Das tröstet ihn ein wenig hinweg über ein anderes Ereignis. Eines, das sich viel seltener in seinem Leben ereignet als die Veröffentlichung eines neuen Buches. Paul Maar trennte sich schweren Herzens von einigen seiner unzähligen Illustrationen. „Das sind doch meine Kinder, die gibt man ungern her. Sie sollen ja verkauft werden, und dann sehe ich sie nie wieder“, sprudelt es aus dem Kinderbuchautor heraus.

Er hat sich jedoch von der Würzburger Galeristin Gabriele Müller dazu überreden lassen. Der Grund: „Meine Zeichenschränke quellen über“, erzählt der 78-Jährige. Einige Schubladen seien schon gar nicht mehr aufgegangen, weil viel zu viele Blätter darin liegen. Und die stellten sich beim Öffnen sozusagen von innen quer – als wollten sie gar nicht in die weite Welt hinaus.

Rund hundert Zeichnungen, Buchcoverentwürfe und Aquarelle verließen kürzlich die Maar'sche Wohnung in Bamberg in Richtung Würzburg. Die meisten Bilder zeigen das Sams, viele das kleine Känguru, einige den Angsthasen oder den Kakadu, auch Zeichnungen von Herrn Mon sind darunter.

„Sie stammen aus allen Schaffensperioden“. Die Auswahl musste vor allen Dingen schnell gehen – damit es sich der Wort- und Bildkünstler nicht wieder anders überlegt. „Ich habe einfach aus jeder der vielen Schubfächer die obersten zehn Bilder herausgeholt und Frau Müller in die Hand gedrückt.“ Diese Gelegenheit ließen sich viele Maar-Fans nicht entgehen. Kaum war die bunte Fracht in Würzburg angekommen, tauchten in der Galerie – nein, nicht die blauen Wunschpunkte des Sams – sondern rote Kaufpunkte auf. Paul Maars gemalte „Kinder“ haben neue Eltern gefunden.

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Schreiben und Malen – das gehört bei ihm zusammen. Zuerst kam sogar das Malen. Eigentlich wollte Paul Maar bildender Künstler werden und studierte an der Kunstakademie in Stuttgart. „Doch schon damals hat mich meine Liebe zur Literatur eingeholt – und überholt. Ich habe gemerkt: Ich kann ganz gut malen, auch illustrieren – aber noch mehr Spaß macht mir das Schreiben. So bin ich Autor geworden.“ Natürlich wollte Paul Maar sein erstes Buch „Der tätowierte Hund“ (1968 erschienen) auch selbst bebildern. „Ich habe damals dem Herrn Oetinger die Illustrationen zum Text gleich mitgeliefert.“ Der Hamburger Kinderbuchverleger lehnte das Ansinnen seines neuen Autors jedoch ab. Rolf Rettich sollte – wie gehabt – auch zu diesem Oetinger-Buch die Bilder liefern. „Ich war aber so von mir überzeugt, dass ich zu Herrn Oetinger sagte: ,Die Illustrationen sind genauso wichtig wie die Geschichte. Ich will den Rolf Rettich nicht.‘“ So viel Selbstbewusstsein war dem alten Verleger wohl nicht ganz geheuer. „Er war sauer und meinte zu mir: ,Gut, dann kommt das Buch ohne jede Illustration heraus.‘“ So kam es, denn Paul Maar gab auch nicht nach. „Ich durfte nur den Umschlag malen“, erzählt er.

Die erste Auflage von „Der tätowierte Hund“ wurde aufgrund dieses Disputs zu einem gefragten Sammlerstück. Es gibt davon nur 3000 Stück. Die nächsten Auflagen wurden aufgrund des großen Erfolges dann doch bebildert. Herr Oetinger habe sich generös gegeben und gesagt: „Na gut, dann nehmen wir halt Ihre Illustrationen.“ An diesen Satz erinnert sich Paul Maar noch heute.

Es dauerte nicht lange, bis 1973, dann kam das bekannteste „Kind“ von Paul Maar in die Welt: das Sams. „Ich hatte das Gefühl, nur ich weiß, wie das Sams auszusehen hat. Deswegen habe ich alle Sams-Bücher selbst illustriert.“ Bis ins Detail.

Warum der Sams seine Rüsselnase verlor

Allerdings gibt es jetzt eine kleine, aber entscheidende Änderung. Das Sams wurde in 30 Sprachen übersetzt, zuletzt ins Arabische. „Darauf bin ich sehr stolz“, bekennt der Autor. „Als ich aber diese Ausgabe in den Händen hielt, dachte ich, nanu, das Sams hat ja eine rote runde Nase wie ein Clown.“ Schnell war Paul Maar klar, warum sein Sams seine Rüsselnase verlor. „Das Schwein gilt im Islam als unreines Tier. Deswegen können Muslime ihren Kindern nicht eine Identifikationsfigur vorsetzen, die etwas Schweinisches an sich hat.

“So wurden die Nasenlöcher wegretuschiert. Der Inhalt sei aber nicht angetastet worden. „Darauf kommt es mir an, nicht auf die Nase.“

Paul Maar hat nicht alle seine Bücher illustriert. Die vielen bunten Bilder zum jüngsten Werk „Kakadu und Kukuda“ zum Beispiel mit frechen Gedichten und Geschichten und Spielen (ab 6, 224 Seiten, Oetinger, 16,99 Euro) stammen von Nina Dulleck. „Sie sind großartig“, schwärmt Paul Maar.

Der Autor wollte nicht selbst zum Zeichenstift greifen. „Ich habe mich einerseits vor dieser riesigen Aufgabe gescheut, andererseits wollte ich in der Zeit, in der Nina Dulleck mit Illustrieren beschäftigt war, ein neues Buch schreiben – was mir auch gelungen ist.“ Im Herbst wird es erscheinen. Der Titel lautet: „Schiefe Märchen und schräge Geschichten“. Reime gibt es auch wieder. Eine Kostprobe:

„Hänsel und Grete / die gehen durch den Wald / Es ist schon dunkel / und auch schon ziemlich kalt / Hänsel sagt zu Gretel: / Nimm doch dein Handy raus / und rufe schon mal an / im Knusperknäuschenhaus / und sage dort der Hexe / wir kommen gegen zehn / sie soll schon mal / die Heizung zwei Stufen höher drehn / und nicht schon wieder Plätzchen / und Pfefferkuchen fein / wir ziehen uns viel lieber / Currywürste rein / Die Botschaft kam nicht an / das Hexenhaus blieb kalt / Gretel fand kein Handynetz / im tiefen dunklen Wald.“

Paul Maar vergleicht sein neuestes Werk mit seinem Buch „In einem tiefen dunklen Wald“ und beschreibt den Inhalt als „halbparodistische, aber doch ernst gemeinte erfundene Märchen“. Die Bilder denkt sich gerade der griechische Illustrator Pana Dalianis aus. Er sei genauso skurril wie die Geschichten. „Ich habe ihm nicht viel vorgeschrieben.“

Eine Liebe zum Film

Wenn Paul Maar nicht schon früh in sich gespürt hätte, dass er statt Künstler ein Autor werden möchte, dann wäre womöglich ein Filmemacher aus ihm geworden. Der international renommierte Kameramann Michael Ballhaus, der gerade auf den Internationalen Filmfestspielen in Berlin, der Berlinale, den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk erhalten hat, ist der Bruder von Paul Maars Frau Nele. Zu Beginn seiner Karriere hat Michael Ballhaus seinen Schwager als Kamera-Assistent beschäftigt. „So konnte ich in den Semesterferien Geld verdienen.“ Paul Maar war bereits verheiratet und Vater von zwei Kindern. „Michael und ich haben zusammen Filme gedreht, unter anderen für den WDR über den Regisseur Rainer Werner Fassbinder. Ich war für den Ton, Michael für die Kamera zuständig. So habe ich eine Liebe zum Film entwickelt.“ Diese Liebe wirkte sich auch auf seinen Unterricht als Kunsterzieher in Crailsheim aus. „Ich dachte, es genügt doch nicht, wenn die Kinder immer nur mit Wasserfarben kleine Bildchen malen. Man muss Medienerziehung machen.“ Er gründete Film-Arbeitsgruppen, die sich am Nachmittag trafen und Trickfilme produzierten. Die Schüler waren so begeistert, dass sie auch am Wochenende zu Hause für die einzelnen Szenen zeichneten. „Wir haben sogar einen Schülerfilmwettbewerb gewonnen.“

Trotz „großer Begeisterung“ war nach sechs Jahren Schluss. Familie Maar war auf fünf Personen angewachsen, die jüngste Tochter Anne – sie leitet heute das Theater Schloss Maßbach - Unterfränkische Landesbühne – war sechs Jahre alt. „Ich habe gekündigt, und wir sind nach Tübingen gezogen. Dort wollte meine Frau ihr Psychologie-Studium beenden.“ Auch sie hat ein Kinderbuch geschrieben, die Bildergeschichte „Papa wohnt jetzt in der Heinrichstraße“. Dafür erhielt die Familientherapeutin 1989 den Deutschen Jugendliteraturpreis, ihr Mann ein Jahr vorher für ein Sachbuch! Für „Türme“. 1996 folgte die Auszeichnung für sein Gesamtwerk. Insgesamt ist die Liste seiner Preise sehr lang.

Paul Maar war natürlich auch während seiner „Elternzeit“ kreativ – und ein Vater, den sich viele Kinder wünschen. Er dachte sich für seine Kinder Geschichten aus, las sie vor, zeichnete dazu, dann kamen Theaterstücke hinzu. Er wurde beliebt und berühmt. Und ist es bis heute.

Wenn es heißt „Paul Maar kommt“, dann muss man Geduld mitbringen. Erwachsen gewordene Paul-Maar-Leser reihen sich mit ihren Büchern ebenso in die lange Schlange zum Signieren ein wie Kinder aller Altersstufen. So war es auch in Würzburg. In der Galerie Müller konnte man sich die Wartezeit jedoch verkürzen – und sich an den vielen gemalten „Kinder“ an der Wand erfreuen. Die Ausstellung ist noch bis 20. April zu sehen.

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Foto: Paul Maar / Tobias Müller
Paul Maars Illustration zum Buch „Gib mir einen Kuss, Frau Nuss“ von Jutta Richter (1984).
Foto: Paul Maar / Tobias Müller | Paul Maars Illustration zum Buch „Gib mir einen Kuss, Frau Nuss“ von Jutta Richter (1984).
Das erste Sams-Buch ist 1973 erschienen.
Foto: Paul Maar / Tobias Müller | Das erste Sams-Buch ist 1973 erschienen.
Das kleine Känguru und seine Freunde
Foto: Paul Maar / Tobias Müller | Das kleine Känguru und seine Freunde
 
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