Russland und sein Erdgas sind spätestens seit dem Krieg in der Ukraine ein Dauerthema. In Deutschland steht ein Netz von Fernleitungen am Anfang der Versorgungskette – so etwas wie Autobahnen für Gas, bevor der Brennstoff auf kleineren Nebenstraßen in die Haushalte gelangt.
Die kleine Gemeinde Rimpar im Landkreis Würzburg spielt dabei eine bislang wenig bekannte, aber große Rolle. Einen Kilometer vom Ortsrand entfernt steht inmitten von Feldern eine Anlage, die einer der Garanten des Gastransports in Europa ist.
Dahinter wiederum verbergen sich enorme Zahlen: Würde man alle Gas-Fernleitungen in Deutschland aneinanderlegen, reichte dieses 40.000 Kilometer lange Rohr am Äquator einmal um den Globus herum. Fügte man noch die Gasrohre von den Fernleitungen hin zu den Gaswerken und Haushalten hinzu, dann käme man von der Erde bis zum 384.400 Kilometer entfernten Mond – und noch 90.000 Kilometer weiter.
Wer hinter der Gas-Verdichterstation in Rimpar steckt
Wer Gas von A nach B bringen will, muss das wie bei einer Luftpumpe mit Druck tun. Doch je länger die Leitung, desto mehr Schwung verliert das Gas. Also muss an bestimmten Punkten neuer Druck aufgebaut werden.
Genau das passiert in der Verdichterstation bei Rimpar. Verantwortlich dafür ist die Open Grid Europe GmbH (OGE) in Essen, die zu den zwölf Gas-Fernleitungsleitungsnetzbetreibern in Deutschland gehört. Rimpar hatte bislang vor allem die Aufgabe, dem aus Richtung Russland kommenden Erdgas neuen Druck zu geben auf dem Weg nach Süddeutschland und Frankreich.
Doch seit das Putin-Regime in Russland die Gashähne mehr und mehr zudreht, haben sich für die Anlage fünf Kilometer nördlich von Würzburg die Himmelsrichtungen gedreht. Floss das Gas in mehreren Fernleitungen bislang von der tschechischen Grenze kommend an Rimpar vorbei nach Westen Richtung Frankreich, fließt es seit wenigen Monaten nun von West nach Ost. Der Grund: Am Übergabepunkt in Waidhaus an der tschechischen Grenze kommt nichts mehr aus Russland an.
Laut der Open Grid Europe GmbH muss Gas nun unter anderem aus Norwegen, Großbritannien und von Flüssiggas-Terminals zu Vorratstanks in Ostbayern gepumpt werden. Technisch sei die 180-Grad-Drehung für die Verdichterstation in Rimpar kein Problem, erläutert Jochen Kemper. Der Projektleiter von OGE hat derzeit viel höhere Hürden zu nehmen: Sein Unternehmen baut in Rimpar seit Anfang 2020 für 150 Millionen Euro neben der 45 Jahre alten Verdichterstation eine neue.
Die neue Anlage hat eine enorme Dimension: Unter einer Fläche von etwa zehn Fußballfeldern liegen Rohre mit einer Gesamtlänge von 6,5 Kilometern. Ihr Durchmesser liegt zum Teil bei 1,40 Meter – ein Kind könnte also locker durchlaufen.
Drei Hallen und ein Funktionsgebäude mit Kontrollraum stehen auf dem Gelände. Das Erdreich sei zu Baubeginn 28 Meter tief abgetragen worden, sagt Kemper, um für die Anbindung an die nahen Fernleitungen das passende Niveau zu bekommen.
Flugzeugturbinen sorgen in Rimpar für den richtigen Gasdruck
Enorm ist auch die Kraft, mit der das Erdgas in Rimpar neuen Schwung bekommt: Laut Kemper werden die drei Verdichter jeweils von einer Flugzeugturbine angetrieben. Diese Verdichter sind das Herzstück der Anlage, haben einen Durchmesser von knapp zwei Metern und bringen es in der Spitze auf nahezu 10.000 Umdrehungen pro Minute.
Das sorgt dafür, dass der Druck des Gases Richtung Fernleitungen von 65 auf 80 bar steigt. Zum Vergleich: Ein herkömmlicher Autoreifen hat einen Luftdruck von 2,5 bar. Wenn die Beschleuniger und die mit Gas betriebenen Turbinen auf vollen Touren laufen, wird es in den drei Hallen in Rimpar höllisch laut. Im Freien hört man an den Rohren das strömende Gas nur noch als gedämpftes, pfeifendes Rauschen.
Derzeit ist die neue Anlage im Probelauf. Für Ende 2023 sei die reguläre Inbetriebnahme vorgesehen, erläutert OGE-Betriebsbereichsleiter Jörn Albrecht. Dann werden etwa zwei Dutzend OGE-Beschäftigte in Rimpar dauerhaft beschäftigt sein. Schon jetzt gelten auf dem Gelände Vorschriften wie in einem Hochsicherheitstrakt, denn Gas ist leicht entzündlich. So gibt es einen ausgeklügelten Alarmplan mit Sirenen und Evakuierungsplänen.
Außerdem könne sich die Anlage an mehreren Stellen per Automatik selbst abschalten, sagt Albrecht. Die Turbinen der Gas-Verdichter seien mit Kohlendioxid-Löschern ausgestattet, die im Notfall von allein anspringen. Und sollte einmal der Strom ausfallen, dann können dem Betriebsbereichsleiter zufolge Dieselmotoren bis zu drei Tage lang die Lage in der Station überbrücken.
Oberstes Gebot Sicherheit: Genaue Vorgaben für die Rohrverbindungen
Schon bei deren Bau ging es um Sicherheit bis ins letzte Detail. So ist nach den Worten von OGE-Projektleiter Kemper in den Akten hinterlegt, mit welchem Drehmoment – also mit welcher Kraft – die Flansche zusammengeschraubt wurden. Diese Verbindungen zweier Rohre sieht man überall auf dem Gelände. Ein Flansch hat bis zu 56 Bolzen mit Muttern. Macht grob geschätzt einige tausend Muttern, die von den Arbeitern genau nach Vorgabe befestigt werden mussten. Denn dicht müssen die Rohre an jeder Stelle sein.
Dazu gibt es auf dem Gelände 100 Blitzableiter, deren Höhe und Position nach Albrechts Worten exakt ausgerechnet wurden. Die Stangen bilden in der Summe eine Art Schutzhaube über die komplette Anlage, damit bei einem Gewitter so wenig wie möglich passiert.
All dieser Aufwand steht durch die aktuelle Gas-Krise in besonderem Licht - schließlich geht es um einen wesentlichen Teil der Energieversorgung in Europa. Rimpar sei da mittendrin, sagt Kemper. "Durch den Ukraine-Krieg ist unser Projekt noch mehr in den Fokus gerückt."
Wir sind eigenständig!🙂