Der erste Kontakt war eine Autofahrt nach Würzburg. Simone Barrientos brachte zwei nigerianische Jungen zum Afrika-Shop. Damit sie vertraute Zutaten zum Kochen kaufen konnten. Seitdem kümmert sich die Verlegerin aus Ochsenfurt um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die in Ochsenfurt im Nachtigallenweg und im Kolpinghaus leben. Einige von ihnen nennen sie inzwischen Mama. Denn die 52-Jährige ist ein Anker in einer fremden Welt.
Wie erklärt man diesen Kindern Deutschland? Was sagt man, wenn man auf der Rückfahrt vom Afrika-Shop noch beim „Fressnapf“ anhalten muss, weil daheim der Kater auf Nachschub wartet? Die beiden Nigerianer fanden sich plötzlich in einem Kaufhaus nur für Tiere, wo es Halsbänder für Hunde gibt, Schlafkörbchen und Mäntelchen, und für Katzen Dosenfutter in den Geschmacksrichtungen Fisch, Geflügel, Wild und Leber.
Zu erklären gibt es eine Menge. Und Simone Barrientos ist für viele der minderjährigen Flüchtlinge die Person, die Orientierung bietet. Denn sie vertrauen ihr und respektieren sie. An diesem Punkt anzulangen, das hat Gesprächsbereitschaft erfordert und Anpassungsfähigkeit. Denn da kam eine Frau daher, selbstbewusst, mit wildem Haar und großzügigem Ausschnitt, und bot ihre Hilfe an. Eine ungewöhnliche Erscheinung in den Augen von Jungen, deren Kultur für Frauen ein anderes Auftreten vorsieht.
„Ihr wollt meinen Respekt? Dann müsst Ihr auch mich respektieren“, hat sie zu ihnen gesagt. „Respekt ist keine Einbahnstraße.“ Die Botschaft kam an, das Thema ist geklärt. Nach und nach haben sie sich kennengelernt, die Verlegerin und die Jugendlichen, die mit ihrer Flucht aus den unterschiedlichsten Krisengebieten nicht nur das Schlimme, sondern auch alles Vertraute hinter sich ließen. Anfangs hat Simone Barrientos für die Jungen genäht. Erst Vorhänge für die kahlen Fenster. Später änderte sie die gespendeten Klamotten, die nicht immer den modischen Geschmack der Empfänger trafen.
An ihrer Nähmaschine saß die Ochsenfurterin in dem Haus im Nachtigallenweg, nähte und erlebte viele Stunden lang den Alltag der Jugendlichen mit. Wie sie sich unterhielten, wie sie kochten. Getrennt nach Nationalitäten, denn von syrischer Küche verstehen Eritreer nun mal nicht viel. Und immer wurde Simone Barrientos eingeladen, mitzuessen. Anfangs war die Verständigung schwierig. Nur ein wenig dialektgefärbtes Englisch sprachen manche neben ihrer Muttersprache.
„Jetzt können die meisten Deutsch“, sagt Simone Barrientos. Wie schnell und gut sie lernen, das beeindruckt die Verlegerin. Es macht keinen Unterschied, was die Jungen vorher wussten. Einige hatten daheim die Dorfschule besucht, konnten nur buchstabieren, kannten ein paar Zahlen. Andere brachten schon jede Menge Bildung mit. „Einer wusste aus dem Geschichtsunterricht, wer Adolf Hitler war“, erzählt Simone Barrientos. „Der hatte richtig Angst vor Deutschland.“
Jetzt saugen sie alle das Wissen geradezu auf. Sie wollen hier Fuß fassen und etwas werden. Denn die zurück gebliebenen Familien legen oft alle Hoffnungen in die Söhne, die es nach Deutschland geschafft haben. Und setzen, weil sie es nicht besser wissen, die Jungen zusätzlichem Druck aus. So wie den jungen Mann, dessen kranke Mutter auf Medikamente angewiesen ist.
Die Familie hat erwartet, dass der Junge hier sofort Geld verdienen könne, und zwar ordentlich. Er hat seinen Leuten erzählt, dass er nur 300 Euro im Monat bekommt. Dass er davon sein Essen kaufen muss, seine Kleidung und Fahrkarten. Sie glauben, er lügt. Jetzt hat der junge Mann in seiner Verzweiflung 250 Euro nach Hause überwiesen und versucht, mit dem Rest über die Runden zu kommen.
In einem Land, wo alle reich sind. So kommt es den jungen Flüchtlingen vor. Simone Barrientos muss auch das erklären. Dass es hier nicht leicht ist, mit einem kleinen Einkommen durchzukommen. Dass bei manchen das Geld weggeht, wie es reinkommt. Und warum in Deutschland so anders gelebt wird. Stimmt das, dass hier alte Leute ganz allein in ihren Wohnungen leben, wollten die Jungs von Simone Barrientos wissen. Und warum wollen so viele kein Kind, dafür aber einen Hund? Der „Fressnapf“ hat offenbar Eindruck gemacht.
Ob sie Deutsch lernen oder ein Praktikum machen, ob sie regelmäßig Nachricht von ihren Familien erhalten oder nicht – Heimweh haben die Jugendlichen alle. Deshalb unternimmt Simone Barrientos möglichst viel mit „ihren“ Jungs. Vor allem kulturelle Beschäftigungen möchte sie ihnen anbieten. Singen, Tanzen, Malkurse, Karaoke: Simone Barrientos hat viele Ideen.
Am liebsten würde sie ein Bühnenprogramm auf die Beine stellen. Und der Musiker Peter Wendel möchte den jungen Flüchtlingen Gitarrenunterricht geben. Um Musikinstrumente und Lehrer bezahlen zu können, hofft die Verlegerin auf Spenden. Sie ist zuversichtlich, dass welche eintreffen. Denn mit den Ochsenfurtern haben die jungen Flüchtlinge bisher nur gute Erfahrungen gemacht.
Unterstützung nimmt Simone Barrientos unter Tel. (0 93 31) 9 84 64 55 oder per E-Mail unter verlag@kulturmaschinen.com gerne entgegen.