Die Mitteilungen des von den Amerikanern eingesetzten Oberbürgermeisters Gustav Pinkenburg waren manchmal dramatisch, manchmal scheinbar nebensächlich. Am 20. Juni 1945 wandte sich der OB zum Beispiel mit einer grausigen Nachricht an seine Mitbürger. Das "Leichenräumkommando" hatte unter Leitung des ehemaligen KZ-Häftlings Konrad Försch wieder Tote unter den Ruinen hervorgeholt, zusammen mit Schmuck und Ausweisen. "Die vorgefundenen Gegenstände der geborgenen Leichen können von den Angehörigen in der Fundstelle Rennweg Nr. 1 abgeholt werden", ließ Pinkenburg wissen.
Acht Tage später hatte das Stadtoberhaupt eine scheinbar banale Neuigkeit, die freilich in der zerstörten Stadt für Menschen, die fast alles verloren hatten, äußerst wichtig war: "Am Samstag, den 7. Juli 1945, zwischen 8 und 12 Uhr können in der Werkstätte der Fachschule für Maschinenwesen, Sanderring, Töpfe zur Reparatur abgegeben werden."
Einzige funktionsfähige Druckerei der Stadt in der Juliuspromenade
Einzig mögliches Medium für die Mitteilungen Pinkenburgs waren zunächst die sogenannten Wurfzettel. Denn: Über Monate hinweg gab es in der Ruinenstadt keine Tageszeitung, und als die Main-Post am 24. November 1945 endlich herauskam, konnte sie wegen Papiermangels zunächst nur zweimal in der Woche erscheinen. Wurfzettel gab es daher noch bis zum Sommer 1946.
Der 16-jährige Rainer Spitznagel, Sohn von Nazi-Gegnern, saß 1945 und 1946 im Vorzimmer des Oberbürgermeisters und war an Herstellung und Verbreitung der Mitteilungen beteiligt. In einem Bericht über seine Tätigkeit schrieb der 2019 im Alter von 90 Jahren Gestorbene: "Die Beiträge mussten in unseren OB-Büros zusammengefasst, redigiert und – wichtig! – übersetzt und von der US-Army genehmigt werden."
Lag die Erlaubnis der Besatzer vor, bekam Spitznagel den Auftrag, das jeweilige Manuskript zur Juliuspromenade zu bringen, wo sich die einzige noch funktionsfähige Druckerei der Stadt befand. "War der Probedruck in Ordnung, musste es mitunter schnell gehen", erinnerte er sich. "So tauchte ich manchmal im kleinen Maschinensaal der Druckerei schon auf, als der Heidelberger Automat noch lief und gerade die ersten Exemplare ausspuckte."
Mitteilungsblätter gaben Befehle der Militärregierung weiter
Danach waren die Mitteilungsblätter im gesamten Stadtgebiet zu verteilen, gelegentlich auch an Mauerresten anzubringen. Spitznagel: "Überwiegende Empfangsstellen waren die Polizeiwachen, aber auch private Stellen. Einer dieser Ausgabeposten befand sich in einem primitiv eingerichteten Laden unter einem katakombenähnlichen Gewölbe in der Karmelitenstraße."
Zunächst ging es in den Wurfzetteln hauptsächlich darum, Befehle der am 4. April 1945 eingerichteten Militärregierung weiterzugeben. So hieß es in der ersten Ausgabe am 15. April, die Würzburgerinnen und Würzburger dürften nur von 6 bis 19 Uhr das Haus verlassen – und das auch nur "aus absolut wichtigen Gründen". Wer danach ausgehen wollte, brauchte einen Passierschein.
Am 17. April drohte Pinkenburg Plünderern Hausdurchsuchungen und drakonische Gegenmaßnahmen an: "Alle Personen, die im Besitze von geplünderten Gegenständen gefunden werden, unterliegen der strengsten Strafe." Später wurde er noch deutlicher und sprach von der Todesstrafe, die allerdings nie angewandt wurde.
Am 1. Mai 1945 – das Ende des Krieges war immer noch mehr als eine Woche entfernt – versuchte der Oberbürgermeister, den Bürgern Mut zu machen, und kündigte den Wiederaufbau an: "Würzburg ist nicht tot", schrieb er, "Würzburg muss leben, Würzburg muss neu erstehen!" Denn, so der OB: "Wir lassen uns nicht unterkriegen, wir bauen auf!" Am 5. Mai wurde Pinkenburg konkret: "Der Aufbau der Stadt wird nach den Plänen des Stadtbauamtes ab Montag, den 7. 5. 45, beginnen und zwar in den Stadtteilen Heidingsfeld, Zellerau-Nikolausberg, Grombühl und Frauenland."
Zu diesem Zeitpunkt lebten nur noch wenige Tausend Menschen in Würzburg und es sollte noch lange dauern, bis von einem geordneten Wiederaufbau die Rede sein konnte.
Zunächst galt es, die ungeheuren Schuttmengen zu beseitigen. Daher teilte Pinkenburg wenig später mit, wo sich die Bürgerinnen und Bürger zum Schutträumen einzufinden hatten. Lebensmittelmarken gab es nur für jene, die mitarbeiteten, drohte er.
Nach und nach kehrten viele Würzburger in ihre Heimatstadt zurück, wo sie in Kellern und Gartenhäusern oder zwischen Trümmern hausten. Das Alltagsleben war primitiv, doch es gab auch einzelne Lichtpunkte, wie dem Wurfzettel vom 6. Juni 1945 zu entnehmen ist: "Die Hofkellerei gibt an Ausländer und an die über 20 Jahre alten Einwohner Würzburgs wöchentlich einen Liter Wein ab. Gefäße sind mitzubringen."
Und am 18. Juli konnte Pinkenburg schreiben, dass die nach der Sprengung durch die Nazis von den Amerikanern notdürftig reparierte Alte Mainbrücke "für den Zivil-Fußgänger- und Fahrradverkehr in der Zeit von 7 bis 9 Uhr, 11.30 bis 13.30 Uhr und 16.30 bis 17.30 Uhr freigegeben" sei.
Doch insgesamt dominieren die deprimierenden Nachrichten: Massenevakuierungen aufs Land von Menschen, die sich nicht am Trümmerräumen beteiligen konnten (12. September), geschlossene Schulen (23. Oktober) und einstürzende Mauerreste (2. November). Nur gelegentlich hatte Pinkenburg Aufbauendes zu vermelden: Am 14. November kündigte er die Eröffnung des ersten Würzburger Nachkriegskinos in jenem Haus an, in dem sich heute die Realschule der Maria-Wald-Schwestern befindet, und am 23. November gab er bekannt, dass demnächst in den Würzburger Außenbezirken wieder Gas durch die Rohre geschickt werde.
Und langsam wurden auch die Bestimmungen der Militärregierung gelockert. Am 28. Dezember 1945 konnte Pinkenburg mitteilen, dass es deutschen Zivilpersonen ab sofort wieder erlaubt sei zu reisen. Dies, so musste er hinzufügen, galt freilich nur für die amerikanischen Zone – also für Bayern und die angrenzenden Gebiete.