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WÜRZBURG
Lügen erkennen: Wie entlarvt man Lügner?
Lügen erkennen       -  Oft wird ein Lächeln dazu benutzt, um andere Emotionen wie Ekel zu maskieren. Die gerümpfte Nase gibt den Hinweis.
Foto: Thomas Obermeier | Oft wird ein Lächeln dazu benutzt, um andere Emotionen wie Ekel zu maskieren. Die gerümpfte Nase gibt den Hinweis.
Denise Schiwon
Denise Schiwon
 |  aktualisiert: 27.04.2023 01:44 Uhr

Manchmal ist sie klein oder aus der Not heraus geboren. In anderen Situationen ist sie geschickt konstruiert und soll beim Betrügen helfen: die Lüge. Etwa zweimal pro Tag lügt jeder Mensch. Das zumindest haben eine Studie der amerikanischen Psychologin Bella DePaulo sowie eine Untersuchung der Universität Regensburg ergeben. Andere hinters Licht zu führen, ist eine Kunst für sich. Genauso wie das Entlarven. Es gleicht einem Indizienprozess. Mimik, Gestik und Sprache können Hinweise auf eine Lüge liefern. Sie müssen gewichtet und zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden.

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Ein Experte auf dem Gebiet ist Medienpsychologe Frank Schwab von der Würzburger Universität. Der Professor beobachtet unter anderem im Auftrag von Fernsehsendern Testzuschauer. Sie sehen sich beispielsweise Nachrichten an und werden anschließen dazu befragt. Dabei lügen jedoch einige von ihnen. Beispielsweise geben sie nicht an, dass sie sich bei einem ernsten Inhalt gelangweilt haben. Solche Lügen entlarvt der 52-Jährige unter anderem durch die Gesichtsregung. Die Mimik ist ein Bereich des menschlichen Verhaltens, der eine Lüge verraten kann.

„Lügen sind der soziale Schmierstoff unserer Beziehungen.“
Frank Schwab über die Notwendigkeit von Lügen

Mehr als 10 000 unterschiedliche Gesichtsausdrücke beherrscht der Mensch

Seit den 60er Jahren widmet der amerikanische Evolutionspsychologe Paul Ekman ihr seine Forschung. Detailliert dokumentierte er das Zusammenspiel der 43 Gesichtsmuskeln, die für die etwa 10 000 möglichen Gesichtsausdrücke verantwortlich sind. Davon haben rund 3000 eine Bedeutung. Alle mimischen Facetten hat Ekman in seinem 700-seitigen Handbuch „Facial Action Coding System“ (FACS)

protokolliert und definiert. 100 Stunden dauert es, bis man das FACS studiert hat. Nur wenige bestehen den finalen Test, der einen offiziell als FACS-Kodierer auszeichnet. Frank Schwab ist einer von ihnen.

Emotionale Reaktionen könnten verräterisch sein, sagt der 52-Jährige. Sie seien unwillkürlich und nur eingeschränkt kontrollierbar. Das liegt daran, dass das Emotionszentrum mit der Gesichtsmuskulatur verknüpft ist. Das heißt, wir zucken, bevor unser Verstand reagieren kann. Angst, Schuldgefühle und Freude sind Emotionen, die beim Lügen häufig auftreten. Sie könnten sich während des Lügens jedoch abwechseln, meint Schwab. Zunächst könnte der Lügner Angst haben, ertappt zu werden, oder vor Scham erröten. Wenn er denke mit dem Betrug durchzukommen, könnte er sich freuen.

Lügner empfinden oft Angst, Scham oder Freude

Lügen erkennen       -  Die Selbstpflege tritt als Übersprungshandlung auf. Sie soll beruhigen und Stress mindern.
Foto: Thomas Obermeier | Die Selbstpflege tritt als Übersprungshandlung auf. Sie soll beruhigen und Stress mindern.

Zum Beispiel könnte der Lügner versuchen seine Angst mit einem Lächeln zu überspielen. Das gelingt ihm aber nur teilweise: Die Halsmuskeln spannen sich an und die oberen Augenlider öffnen sich. Oder er versucht ein Pokerface zu wahren, damit ihm kein ungewolltes Zucken entfährt. Dabei presst er seine Lippen angestrengt zusammen. Wenn der Lügner glaubt, sein Gegenüber erfolgreich an der Nase herumgeführt zu haben, könnte er selbstsicher den Kopf nach oben bewegen oder aber versuchen ein Lächeln zu unterdrücken.

„Bei Lügnern stimmt das Timing oft nicht.“
Medienpsychologe Frank Schwab Julius-Maximilians-Universität Würzburg
 

Allerdings sind Gesichtsregungen, die eine Lüge verraten können, oft nur sehr kurz zu sehen. Paul Ekman definiert sie als Mikroexpressionen. Sie lassen sich nicht steuern und dauern nur etwa ein Fünfzehntel einer Sekunde an. Deshalb erkennen Laien sie nur schwer. Es gibt Seminare, in denen man das üben kann. „Es gibt aber auch Naturtalente, die Mikroexpressionen ohne Training erkennen“, sagt Professor Schwab. Es gibt Indikatoren in der Mimik, die dafür sprechen, dass etwas nicht stimmt, etwas eigenartig ist. „Ich würde mich aber nicht allein auf die Mimik verlassen“, sagt Schwab. „Es ist ein Gewinn, wenn man sich damit auskennt, aber es ist auch nicht der Königsweg."

Fotoserie

Um eine Lüge aufzudecken, müssen alle Kanäle des menschlichen Verhaltens betrachtet werden: Mimik, Sprache, Gestik und Körperhaltung. Lügen ist mit Stress verbunden.

Wieso das Lächeln leicht zu kontrollieren ist

Je schwerer einer der Kanäle zu kontrollieren ist, umso wahrscheinlicher entstehen Lecks. Es sickern ungewollt Informationen durch. Relativ einfach zu kontrollieren seien Gesichtsbewegungen wie das Lächeln, erklärt der 52-Jährige. Schwerer werde es beim Körper. Ein flüchtiges Schulterzucken. Die Hand wandert zum Ohr oder ins Gesicht. In Stresssituationen kann es zu Übersprungshandlungen kommen. Sie mindern Stress und beruhigen, sind aber wenig hilfreich. Dazu gehören unter anderem Kratzen, Nagelpflege und sich an den Mund fassen.

Noch wahrscheinlicher ist ein Leck bei der Stimmlage. Schwab untersuchte eine Filmsequenz, in der der ehemalige Radrennprofi Jan Ullrich angibt, nicht gedopt zu haben. Als das Thema zur Sprache kommt, beginnt seine Stimme zu knarzen. Noch anfälliger für undichte Stellen ist der Kanal der Mikroexpressionen. Am schwersten vorzutäuschen ist der zeitliche Ablauf von aufeinander bezogenen Ereignissen.

„Bei Lügnern stimmt das Timing oft nicht“, erklärt der 52-Jährige. Die harmonische Struktur könne nicht eingehalten werden, wenn man zum Beispiel seine Wut spielt und darüber nachdenkt, dass man noch auf den Tisch hauen sollte. Bei Angela Merkel sehe man beispielsweise, dass sie ihr Lächeln oft ein- und ausschalte.

Es gibt kein typisches Lügnerverhalten

Dabei komme ein Lächeln langsam hoch, halte kurz an und flache dann wieder ab. Verhörspezialisten legen mehr Wert auf das Gesagte. Sie lassen sich Tathergänge auch oft rückwärts erzählen. Das eine typische Lügnerverhalten gibt es nicht. Es gebe lediglich Hinweise, bei denen man nachhaken sollte, ergänzt der Medienpsychologe. Dazu kursieren einige Mythen – in etwa dass Lügner dem Blickkontakt ausweichen. Häufig fixieren sie ihren Gesprächspartner sogar, um sich zu vergewissern, dass sie noch nicht enttarnt wurden. Fühlt sich der Lügner allerdings schuldig, wird er den Augenkontakt eher meiden. Psychopathen auf die Schliche zu kommen, ist besonders schwer. Ihnen fehle das Gewissen, weshalb es keinen inneren Konflikt beim Lügen gebe, so Schwab. Ebenfalls gut für den Lügner sei die Selbsttäuschung, wenn er seine Lüge selbst glaube.

Lügen erkennen       -  Empfindet der Gesprächspartner Verachtung, verfestigt sich einer der Mundwinkel und zieht nach innen (im Bild auf der rechten Seite).
Foto: THOMAS OBERMEIER | Empfindet der Gesprächspartner Verachtung, verfestigt sich einer der Mundwinkel und zieht nach innen (im Bild auf der rechten Seite).

Am meisten werde aus Höflichkeit gelogen, vermutet Schwab. Auch bei Tabuthemen wie dem Sexleben werde mehr gelogen, wobei darüber generell wenig geredet werde. Obwohl man Frank Schwab nur schwer etwas vormachen kann, geht er nicht durchs Leben und deckt jede Lüge auf. „Es gibt die Philosophie, Authentizität wäre das höchste Gut. Wenn immer jeder authentisch wäre, wäre das unheimlich anstrengend und nervig“, findet er. Lügen sei notwendig und typisch für höher entwickelte Lebewesen. Dem Menschen sei es aber erst ab einem Alter von vier Jahren möglich. „Lügen vereinfachen das Zusammenleben. Sie sind der soziale Schmierstoff unserer Beziehungen.“ Das Interesse am Lügenerkennen ist hoch. Es gibt Seminare, Bücher und Fernsehshows. Schwab glaubt nicht , dass das unbedingt ein Phänomen der Neuzeit sei.

Warum Medien und Wissen das Lügen noch einfacher machen

In den 80er und 90er Jahren war es Samy Molcho. Heute sind es Fernsehserien wie „Lie to me“ oder der deutsche Mentalist Thorsten Havener. „Lügen und Lügen entdecken sind Kernthemen der Menschheit.“ Heute gehe es viel demokratischer und offener zu, deshalb könne auch mehr betrogen werden, nimmt Schwab an. Im feudalen System hatte jeder seine Rolle: ein Schuster war ein Schuster und ein Müller war ein Müller. Sich für etwas anderes auszugeben, war kaum möglich. Dafür habe der Zugang zu Wissen und Medien gefehlt, ergänzt der Experte. „Heute haben wir eine hohe soziale Mobilität. Früher war nur der König schick gekleidet und durfte einen auf dicke Hose machen. Heute darf das jeder.“

 
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