Sie prägten über Jahrzehnte die politischen Debatten im Land: Große Zeitungen wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", kurz FAZ, die stets als mächtige konservative Stimme galt. Doch um ihre Ausrichtung wurde intern viel kontroverser gerungen als angenommen. Der Würzburger Historiker Peter Hoeres, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Würzburg, hat als erster Wissenschaftler die Archive der FAZ ausgewertet und ein Buch über ihre 70-jährige Geschichte geschrieben. Und damit auch ein spannendes Stück bundesrepublikanischer Zeitgeschichte. In "Zeitung für Deutschland. Die Geschichte der FAZ", schreibt Hoeres: "Spricht man vom Stil der FAZ, so assoziiert man umgehend das seriöse Äußere, Fraktur und lange Texte, das gehobene Deutsch und die abgewogene Argumentation."
Peter Hoeres: Es gibt in Deutschland nur wenige Mediengeschichten zu einzelnen Zeitungen. Im Ausland ist das absolut verbreitet. Dagegen machen in Deutschland die meisten Medienhäuser dicht. Man hat wenig Zeit, sich um die eigene Geschichte zu kümmern – außer bei Jubiläen. Aber es gibt keine Geschichte des Spiegels, keine der Süddeutschen, kaum bei Regionalzeitungen. Hier wollte ich es auch deshalb angehen, weil die FAZ als vielleicht wichtigste überregionale Zeitung die gesamte Geschichte der Bundesrepublik abdeckt. Sie wurden fast zeitgleich gegründet.
Hoeres: Ein Grund war früher sicherlich die NS-Vergangenheit, vor allem im Blick auf die frühe Nachkriegszeit. Da hat man das eigene Personal lieber nicht so genau angeschaut. Und heute lässt man sich ungern in die Karten blicken, weil das in gewisser Weise einen "Mythos" zerstört. Auch die FAZ war zunächst abwehrend gegenüber meinem Vorhaben. Man lüftet den Schleier und sieht: Am Ende wird überall mit Wasser gekocht.
Hoeres: Es dauerte mehrere Jahre, bis ich die Einsicht in die Hausakten erhielt. Mein Ansatz unterscheidet sich von allen Kommunikationswissenschaftlern: Ich wollte in die Blackbox Redaktion reinschauen und nicht nur eine Analyse dessen machen, was in der Zeitung steht, sondern erfahren, wie es dazu kam.
Hoeres: Ich konnte Herausgeberprotokolle, Konferenzsmitschriften, Briefe lesen. Bis 1994 wurden die Konferenzen wörtlich protokolliert. Überraschend war für mich wirklich die Bandbreite, die Pluralität von Meinungen in dieser Zeitung, die weithin als konservativ gilt. Es gab große Debatten um fast jedes wichtige Thema. Zum Beispiel die 68er oder die sozialliberale Koalition. Es gab eine unglaubliche Bandbreite, und entsprechend auch Konflikte.
Hoeres: Nein! Der einzige Finanzier für ein größeres Projekt zur Zeitung war die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Ich habe keinen einzigen Cent von der FAZ bekommen. Es war meine Idee – und alles, was ich geschrieben habe, sind meine Thesen und Interpretationen. Das Einzige, was sich die Zeitung vorbehalten hat, war die Freigabe ihrer Quellen. Aber im Endeffekt haben sie mir alle freigegeben.
Hoeres: Ich hatte die Freigabe bis 1994, für die Zeit danach hat es eine wie in staatlichen Archiven eine Sperre gegeben. Das heißt für die Spanne ab 1994 musste ich mir mit Zeitzeugen und der gedruckten Zeitung behelfen. Was mir vorenthalten blieb, waren ganz persönliche Dinge von Redakteuren, zum Beispiel Alkoholismus oder Geldprobleme. Das berührt Persönlichkeitsrechte.
Hoeres: Die NS-Zeit hat sich in den 50er Jahren weniger inhaltlich fortgesetzt als personell. Die Journalisten waren ja vor 1945 auch tätig. Es gab eine kleine Gruppe von Emigranten, eine noch etwas kleinere Gruppe von echten Nazis - und die große Mittelgruppe waren Leute, die bei der Frankfurter Zeitung bis zu deren Verbot 1943 oder bei anderen Zeitungen gearbeitet haben.
Hoeres: Es gab eine Verbindung, die ich "Nazis in Argentinien" nenne. Sie betrifft den dortigen FAZ-Berichterstatter und dessen Vertreter. Sie waren offenbar eingebunden in ein Netzwerk von Altnazis, die dorthin emigriert waren. So konnte der Journalist Fritz Otto Ehlert nach der Festnahme Adolf Eichmanns erstaunlich schnell über diese Kreise berichten. Das ging bis in die frühen 70er Jahre, man hat nicht weiter nach den Zusammenhängen gebohrt.
Hoeres: Zu Eichmann gab es wohl keinen direkten Kontakt. Aber die jeweiligen Kontaktleute haben sich möglicherweise gekannt. Wohlgemerkt, wir reden über den freien Mitarbeiter in Argentinien, nicht über das Frankfurter Haus. Die Geschäftsgrundlage nach dem Krieg war: Wenn du dich nicht nationalsozialistisch äußerst, sehen wir von Nachfragen ab. Erst wenn von außen Kritik kam, hat man sich überhaupt mit Lebensläufen beschäftigt. Im FAZ-Büro London hat der Emigrant neben dem früheren Redakteur des Völkischen Beobachters gearbeitet. Es war das bekannte "kommunikative Beschweigen" individueller Biografien.
Hoeres: Nein. Der Vorwurf, man hätte in den 50er Jahren NS-Unrecht verschwiegen, trifft auf die FAZ nicht zu. 1953 berichten sie groß in 28 Artikeln über den Prozess zum Massaker der Waffen-SS in Oradour. Über den Frankfurter Auschwitz-Prozess hat keine Zeitung so intensiv berichtet wie die FAZ, das waren 300 Artikel.
Hoeres: Außenpolitisch zum Beispiel in der frühen Anerkennung von Slowenien und Kroatien Ende 1991. Die ging auf das Dauerfeuer von Herausgeber Reißmüller zurück. Intensiv wurde in der FAZ auch der Historikerstreit ausgetragen. Und natürlich später der Streit um die Wehrmachtsausstellung mit den falschen Foto-Zuordnungen. Dieses Thema hat die FAZ mit einer Titelgeschichte gesetzt und zur vorübergehenden Schließung der Ausstellung ebenso beigetragen wie zu Korrekturen an der umstrittenen Rechtschreibreform in den 90er Jahren.
Hoeres: Man muss natürlich immer die Distanz zur eigenen Herkunft und zum Forschungsgegenstand finden und alles reflektieren. Aber als "kultureller Native" versteht man gewisse Dinge durchaus besser.
Hoeres: Gauland hat als einziger eine der nach der Wende von der FAZ erworbenen Ost-Zeitungen zum Erfolg geführt, die Märkische Allgemeine. Zuvor war er der FAZ lange Jahre auch als Autor verbunden. Insofern gehört er zur FAZ-Geschichte.