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WÜRZBURG
Wie ein Schiffskoch 300 Gäste satt bekommt
Schiffsküche auf der Alten Liebe       -  _
Foto: Daniel Peter
Melanie Jäger
Melanie Jäger
 |  aktualisiert: 09.07.2020 14:50 Uhr

Noch zehn Minuten, dann legt die „Alte Liebe“ ab. Es ist 18.50 Uhr an diesem warmen Sommerabend in Würzburg und oben an der Kaimauer des Alten Kranen singt und schunkelt der Shanty-Chor die 130 Teilnehmer eines Kongresses für medizinische Geräte in den Feierabend. Den wollen sie an Bord des Dampfers verbringen, so wie seit 15 Jahren. Sie lieben diesen dreistündigen Ausklang ihrer Tagung auf dem Main und es ist ein großes Hallo, als die ersten von ihnen auf die Crew stoßen.

Unten, im Bauch des Schiffes, öffnet derweil Koch Ulrich Buse die Tür zum deckenhohen Ofen und überprüft den Garzustand seines Gemüses. Es dampft und duftet. Aber noch ist es nicht soweit. Nebenan im großen Salon, dort, wo in Kürze das feudale Buffet aufgebaut werden soll, hängen zwei Kongressteilnehmer ein großes Plakat auf. Werbung für Endoskopie mit den neusten medizinischen Geräten. „Na dann, Mahlzeit!“, ruft Abele Melissa seinem Koch lachend zu und begrüßt die ersten Gäste auf dem Hauptdeck. Der 40-Jährige ist verantwortlich für die Organisation und Durchführung der Dampferfahrten auf der „Alten Liebe“, dem größten Fahrgastschiff im Raum Würzburg.

Ulrich Buse kocht für 300 Gäste auf der „Alten Liebe“ in Würzburg

250 Tischplätze gibt es allein auf dem Panaromadeck, auf dem Oberdeck können bis zu 200 Gäste bewirtet werden, auf dem Hauptdeck stehen 260 Tischplätze zur Verfügung. Vorgestern gab es Essen für 300 Gäste, heute Abend kredenzt Ulrich Buse, der 27 Jahre lang im Würzburger Bürgerspital gekocht hat, den Kongressteilnehmern ein edles Buffet mit allem Drum und Dran. Und das soll pünktlich um 19.30 Uhr eröffnet werden. Noch 40 Minuten bleiben dem schlacksigen Fünfzigjährigen, dann werden die ersten Hungrigen mit leeren Tellern und Mägen vor ihm eine Schlange bilden.

Noch brutzelt der Truthahn goldgelb im Ofen der Schiffsküche, noch schmoren Gemüse, Fisch, Tortellini und Spinat in großen silbernfarbenen Auflaufformen vor sich hin. Die Küche ist für eine Bordküche erstaunlich groß. Gastroherde, Backöfen, Kühlschrank, Waschmaschine, Spülbecken, Arbeitsflächen – alles da. Gerade als Buse gelassen im großen Topf mit der Weinsauce rührt, geht ein Ruck durch die Küche. „Ja, in so einem Moment ist es mit Messer in der Hand nicht ungefährlich“, sagt der Koch. Und dann legt die „Alte Liebe“ ab. 46 Meter Länge und 7,10 Meter Breite kommen langsam aber sicher in Bewegung.

Mal nach Veitshöchheim, mal nach Randersacker - Kapitän Georg Schiebe macht es Spaß

In welche Richtung Kapitän und Flotten-Chef Georg Schiebe – auch das Schiff „Stadt Würzburg“ gehört zum Unternehmen Kurth und Schiebe – seinen großen Dampfer lenken wird, weiß bis zu diesem Zeitpunkt niemand. „Er lässt uns immer im Unklaren. Das macht ihm Spaß“, sagt Steuermann und Bordelektriker Thomas Plattner grinsend. „Wenn wir den Gästen gerade erklärt haben, dass wir nach Veitshöchheim fahren, steuert er prompt Richtung Randersacker. Damit er den Passagieren mal die Funktion einer Schleuse erläutern kann.“

Plattner ist seit 24 Jahren mit an Bord der „Alten Liebe“ und fester Teil dieses eingeschworenen Teams, das nicht nur bei großen Veranstaltungen wie heute Abend überall mit anpackt, wo es gerade nötig ist. Ob bei technischen Problemen oder Überprüfungen, beim Getränkeausschenken oder beim Aufräumen – es sind viele Handgriffe nötig, um Veranstaltungen wie diese hier reibungslos über die Bühne zu bringen. Thomas Plattner ist Herr über die 150 000 Watt für alle elektronischen Geräte auf dem Schiff und über den 80 000 Watt starken Bugmotor. „Wir haben erst vor kurzem von Gas auf Strom umgestellt“, erzählt er und hievt eine Getränkekiste aus dem Abstellraum.

Noch ist Zeit zum Reden. Noch sind es 30 Minuten bis zur großen Buffeteröffnung. Inzwischen ist auch den Ortsunkundigen klar, dass es Richtung Randersacker geht, denn der Kapitän erklärt die Funktion einer Schleuse.

Ausgelassene Stimmung und leckeres Essen an Bord

Die Servicekräfte, die bis eben am Eingang Begrüßungssekt angeboten haben, eilen jetzt zwischen den Tischen hin und her. Die Stimmung an Deck ist ausgelassen. „Ich freu mich schon richtig aufs Essen, das ist immer superlecker hier“, sagt Yvonne Sahm strahlend. Die Touristikbetriebswirtin organisiert die Dampferfahrt für die Kongressteilnehmer jedes Jahr. Was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Diesmal wird das Essen nicht vom bewährten Schiffskoch der vergangenen Jahre zubereitet, sondern von einem neuen Koch. Und ob der den hohen Ansprüchen der Stammgäste gerecht werden kann, steht noch in den Sternen.

In der Kombüse herrscht die Ruhe vor dem Sturm. „Natürlich ist man als Küchenchef jedes Mal angespannt“, erzählt Buse. Vor allem, wenn die Zahl der Gäste die fünfzig deutlich überschreite. „Wenn etwas schief geht, kann man das bei überschaubaren Portionen noch regulieren. Ich habe grundsätzlich immer mehr vorrätig als nötig. Aber ab einer bestimmten Anzahl Gäste kann man das vergessen.“

Schiefgehen könne immer etwas. „Und wenn man mit dem Dessert über die letzte Stufe stolpert, dann gibt es halt kein Dessert“, erklärt der Profi pragmatisch. Wer da draußen auf sein Essen wartet, ob Prominente auf einer Hochzeitsfeier oder Fußvolk, das ist Buse herzlich egal. „Wichtig ist nur, dass das Essen gelingt und allen gut schmeckt.“ Als Koch sei man kritisch und anspruchsvoll. Vor allem, wenn es um die eigenen Gerichte oder die der Profi-Konkurrenz gehe. Privat sei das etwas ganz anderes.

Am liebsten kocht Buse in Jeans und T-Shirt

„Doch das nimmt einem leider im Freundes- und Bekanntenkreis niemand ab. Dabei würde ich so gerne mal öfter privat zum Essen eingeladen werden“, bedauert Buse. „Aber alle haben Angst vor uns. Keiner will einen Koch bekochen! Alle wollen dann lieber essen gehen. Das ist so schade. Und in einem Restaurant essen gehen kann ich auch selber!“

Buse läuft aus der Küche hinaus und zieht sich im engen Gang eine weiße Kochjacke über. Am liebsten kocht er in Jeans und T-Shirt. Weil seine Chefs auf dem Schiff auf einen Dresscode in der Küche keinen gesteigerten Wert legen, kann er das auch machen. Aber am Buffet später, wenn alle Augen auf ihn, den Truthahn, die Pute, das Spanferkel und das große Messer in seiner Hand gerichtet sein werden, dann spätestens wird Ulrich Buse der adrett in weiß gekleidete Küchenchef sein.

Schiffskoch - für viele wie ein Aprilscherz

Seinen ersten Arbeitstag hatte Buse am 1. April. Zum ersten Mal im Leben bewegt sich die Küche unter seinen Füßen, ist der Blick aus dem Fenster abwechslungsreich. Gerade könnte man locker mit der Hand die Schleusenmauer berühren. Schiffskoch. Das, was bei vielen Bekannten zunächst wie ein Aprilscherz rüberkam, ist für den erfahrenen Küchenprofi ein Job, der völlig okay ist.

„Jungköche unter dreißig Jahre verbringen sehr viel Zeit mit Fachsimpeln und Überlegungen, wie man perfekt kocht und überzeugt. Das ändert sich, wenn man Familie hat – oder einfach nur ein festes wie regelmäßiges und vielleicht sogar gutes Gehalt mehr als alles andere zu schätzen weiß“, sagt Buse augenzwinkernd. Wenn der Ehrgeiz und das von Träumen Getriebensein nachlässt. Wenn man froh über planbare Arbeitszeiten ist. Lob für gute Arbeit, das bekommt man in einem fahrenden Restaurant zudem ganz genauso.

Mamas Nusskuchen hatte es ihm besonders angetan

Schon jetzt gibt es Vorschusslorbeeren, die ersten Gäste schwärmen vom köstlichen Duft, der sich in den Ebenen des Dampfers verteilt. In 15 Minuten ist es so weit. Wenn alles gut geht. In der Küche jedenfalls läuft noch alles nach Plan. „19.30?“, ruft Abele Melissa dennoch mit fragendem Blick in die Küche rein. Buse nickt und richtet den Salat an. Schon in frühester Kindheit hat er mit großer Begeisterung in Töpfen und Schüsseln gerührt. Vor allem der Nusskuchenteig seiner Mutter hatte es ihm angetan.

Inzwischen sind zum Nusskuchen über 1000 Gerichte hinzugekommen. „Und warum gibt es dann bei dir immer Currywurst mit Pommes?“, witzelt Abele Melissa im Vorbeigehen und lacht. Ein spezielles Lieblingsgericht hat Ulrich Buse nicht. Nie gehabt. Als Kind alle Süßspeisen rauf und runter. Heute am liebsten hochwertiges Fleisch. „Mit Spargel kann man mich jagen“, sagt er.

Auch mit Kochsendungen im Fernsehen kann man Buse jagen. Und aufregen. „Wer ist so blöd und probiert sich live zum ersten Mal an einem Rezept aus?“, ruft er und beginnt die Folien von den vorbereiteten Vorspeise-Platten zu reißen. An Tagen wie diesen ist Ulrich Buse schon um 8 Uhr früh im Einsatz. Zum Essen kommt er dann kaum. Dass er deshalb so schlaksig ist, glaubt der Schiffskoch aber nicht. „Ich war schon immer klapperdürr“, sagt Buse. Und während einer normalen Dienstfahrt geht es ja auch auf dem Schiff wesentlich ruhiger zu. Eine Winterpause gibt es für den Chef der schwimmenden Küche indes nicht. Die „Alte Liebe“ ist ganzjährig in Betrieb.

Buse begutachtet jetzt den Fisch auf der Anrichte vor ihm. Lachs. Rotbarsch. Und eine Sorte, deren Name dem Küchenchef gerade entfallen ist. Er zieht einen Zettel aus seiner Kochjacke. „Ach, ja. Tilapia, ein Atlantikfisch.“ Es gebe mittlerweile so viele Sorten, da könne man sich nicht alle merken. Der Markt in Asien sei groß. „Alle schisslang meint jemand, er habe einen Trendfisch gefunden“, erregt sich Buse. „Der Asiate mag diesen Fisch vielleicht gar nicht, aber dem Europäer kann man ihn ja mal verkaufen.“ Dieser hier sei allerdings wirklich lecker.

Draußen ein entspannter Sommerabend, in der Küche pure Hektik

Derweil zieht das Mainufer vorbei mit allem, was es an einem Sommerabend zu bieten hat. Am Stadtstrand tanzen Sonnenhungrige Salsa, Kinder winken zum Schiff rüber, Rauchschwaden ziehen über die Grills auf den Wiesen, zwei junge Männer in Badeshorts balancieren barfüßig auf einem Seil zwischen zwei Bäumen und plötzlich wird es hektisch in der Küche der „Alten Liebe“. Sehr hektisch. Nur noch fünf Minuten. Die Küchentür klappt auf und zu, der Buffettisch auf dem Hauptdeck füllt sich jetzt mit allen Köstlichkeiten, die Ulrich Buse heute gezaubert hat.

In der Küche des Dampfers dampft es mächtig, alle Ofentüren stehen offen, der Adrenalinspiegel des sonst so gelassenen Koches schießt nach oben. Buse verteilt in rasender Geschwindigkeit die zuvor geschnittenen Orangenscheiben auf dem Fleisch. „Die Sauce bitte noch umfüllen!“, ruft Abele Melissa und eilt wieder mit neuen Leckereien hinaus. Die Küche leert sich. Nur noch das Obstkompott für den Desserttisch ist zurückgeblieben und ein Töpfchen mit frischem Basilikum steht noch auf der Arbeitsfläche am Fenster.

Und dann, punktgenau um 19.30 Uhr, wird das Buffet eröffnet. Ulrich Buse steht filmreif hinter dem Tisch und schneidet präzise den goldbraunen Truthahn, die Pute und das Spanferkel in Scheiben. Schweißtropfen glänzen auf seiner Stirn, ein heller Strahler setzt Fleisch und Koch perfekt in Szene. Um den langen Tisch herum bildet sich eine lange Schlange Gäste, die mit leeren Mägen und Tellern geduldig warten, bis Buse um 19.33 Uhr zum ersten Mal die Frage des Abends stellt: „Truthahn, Pute oder Spanferkel?“

Diese Frage stellt er auch eine Stunde später noch, als die ersten Gäste schon längst den Desserttisch entdeckt haben. Mousse au Chocolat, Obstsalat, Eis. Um 20.10 Uhr legt Yvonne Sahm auf dem Panaromadeck die Serviette neben ihren leeren Teller und seufzt. Sie weiß jetzt, dass heute ein anderer Profi gekocht hat als in den Vorjahren. „Es gibt nur eines, das mich heute Abend wirklich stört“, sagt sie. „Man weiß gar nicht, was man essen soll. Es ist alles so unglaublich lecker!!“

Das schönste Kompliment: Leere Teller und Töpfe

Dass sie mit dieser Ansicht nicht alleine ist, zeigt sich jetzt unten in der Küche. Dort stapeln sich die ersten leeren Platten und Warmhaltebehälter und Ulrich Buse ist jetzt im Aufräum- und Abwaschmodus. „Das ist das schönste Kompliment! Wenn am Ende alles leer ist!“, ruft er über den Herd hinweg. Und das ist es am Ende wirklich. Zufrieden und satt sitzen die Gäste an Bord der „Alten Liebe“, genießen die Abendruhe, die sich jetzt in der beginnenden Dämmerung über Stadt und Main senkt.

Doch mit dieser Ruhe ist es plötzlich vorbei, als am Stadtufer Blaulicht zu sehen ist und Rettungskräfte Boote zu Wasser lassen. Die Bordgäste schauen und rätseln und spekulieren. Von der Löwenbrücke bis zur Alten Mainbrücke sind die Blaulichter zu sehen. Abele Melissa und Ulrich Buse bleiben ganz entspannt. „Das kann was Ernstes sein, muss aber nicht. Das werden wir schon irgendwann erfahren“, sagen sie und dass echte Notfälle auf dem Schiff nur selten vorkommen würden.

Um 22 Uhr legt der Dampfer wieder am Alten Kranen an. Auch wenn das Licht in der Bordküche noch hell scheint und sich eindrucksvoll im Wasser spiegelt, so heißt es doch Feierabend für Ulrich Buse. Als er von Bord geht, ist am Ufer noch genauso viel los wie bei der Abfahrt. Bloß, dass er und die Schiffsgäste jetzt nicht vom Shanty Chor, sondern einem Gitarrenspieler in die beginnende Nacht entlassen werden.

„Privat will keiner einen Koch bekochen. Die haben alle Angst vor uns. Das ist so schade!“
Ulrich Buse, Schiffskoch auf der „Alten Liebe“
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