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WÜRZBURG
Wie die Jugend zur Politik finden kann
Vor der Wahl fühlen sich viele Jugendliche mit der Komplexität politischer Inhalte überfordert. Im Bild von links: Philipp Köstner, Anna Schäfer, Esma Nenzirov, Oliver Pfeuffer und Rosa Maier.
Foto: Moritz Baumann | Vor der Wahl fühlen sich viele Jugendliche mit der Komplexität politischer Inhalte überfordert. Im Bild von links: Philipp Köstner, Anna Schäfer, Esma Nenzirov, Oliver Pfeuffer und Rosa Maier.
Moritz Baumann
 |  aktualisiert: 17.09.2017 02:48 Uhr

Es ist der erste Schultag in Bayern. Für die Zwölftklässler Rosa Maier, Philipp Köstner und Esma Nenzirov im Würzburger Röntgen-Gymnasium beginnt damit aber nicht nur der Endspurt zum Abitur. Als Erstwähler stehen sie genau wie rund 61,5 Millionen andere Wahlberechtigte am 24. September an der Wahlurne vor der Entscheidung, welcher Partei sie ihre Stimmen geben. „Wir unterhalten uns natürlich im Freundeskreis über die Wahl“, sagt Esma Nenzinov. „Aber es herrscht eine gewisse Ratlosigkeit.“ Rosa Maier ergänzt: „Es scheint, als seien viele Erstwähler mit den komplexen, politischen Inhalten überfordert.“

Regina Renner vom Institut für Politikwissenschaft und Systemlehre der Universität Würzburg bestätigt dies. Die Wissenschaftlerin attestiert den Parteien ein Vermittlungsproblem: „In den Sozialen Medien hinken die Parteien hinterher. Facebook ist doch längst nicht mehr das Medium der Jugend.“

Regina Renner, die gleichzeitig als Referentin für Jugendpolitik des Bayerischen Jugendrings die diesen Freitag stattfindende U18-Wahl in Bayern (siehe Infobox) koordiniert, widerspricht vehement dem Vorurteil, die heutige Jugend sei politisch desinteressiert. So belege die Shell-Jugendstudie, dass von 2002 bis 2015 der Anteil an Jugendlichen, die sich für Politik interessieren, von 34 auf 46 Prozent zugenommen habe.

Laut Renner haben Jugendliche zu wenig Möglichkeiten, eine politische Identität zu entwickeln. Sie betont: „Gerade Eltern dürfen den politischen Dialog nicht scheuen. Sie müssen ihre Kinder in Diskussionen ernst nehmen und die kritische Auseinandersetzung mit ihnen suchen.“ Denn nur wer im geschützten, privaten Raum Standpunkte entwickelt, kann diese auch in der Öffentlichkeit vertreten. Auch im Phänomen der Scheinpartizipation sieht Renner ein großes Problem. „Die Stimme der Jugend darf nicht nur in Protokollen vermerkt werden“, so Renner.

Dass sich die Jugend politisiert, bestätigen auch die Jugendorganisation der Parteien in Bayern, Junge Union, Junge Liberale, Grüne Jugend oder Jungsozialisten. Sie verzeichnen nach eigenen Aussagen einen deutlichen Mitgliederzuwachs.



Die Würzburger Wahlforscherin Regina Renner
| Die Würzburger Wahlforscherin Regina Renner

Inhalte spielen für Jugendliche laut Renner im Wahlkampf eine entscheidende Rolle. „Aktuelle Debatten wie die Flüchtlingsthematik, der Brexit und Donald Trump bewegen die Jugend“, erklärt die Politikwissenschaftlerin. „Man kann also nicht von Politikverdrossenheit sprechen. Vielmehr können sich Jugendliche oft mit den Positionen der Parteien und dem Auftreten der Politiker nicht identifizieren.“

Fragt man die Jugendorganisationen der Parteien, welche Themen junge Menschen umtreiben, kristallisieren sich Umwelt, Digitalisierung, Bildung und Gerechtigkeit heraus. Eigentlich die Dauerbrenner im Wahlkampf. Doch würden diese laut Renner kaum aus dem Blickwinkel der Jugend betrachtet. „Die Parteien konzentrieren sich im Wahlkampf der Stimmen wegen zu stark auf die älteren Generationen.“

Am Röntgen-Gymnasium diskutieren Erstwähler mit den Unter-18-Jährigen. Die ganze Runde ist sich einig, dass die Politik für die Jugend kein Feindbild sein dürfe. Dass es an politischer Bildung mangele, sei besonders dem Schulsystem geschuldet. Philipp Köstners Standpunkt: „Der Sozialkundeunterricht müsste mehr Bezug auf aktuelle Debatten nehmen.“ Politologin Renner weiß, dass der enge Lehrplan kaum Freiräume lässt, sich in der Freizeit mit Politik auseinanderzusetzen. „Manchmal sind Jugendliche aber auch einfach zu bequem, sich mit Politik zu beschäftigen“, sagt selbstkritisch Anna Schäfer.

U18-Wahl – Demokratie lebendig machen

Das bundesweite Projekt richtet sich an Jugendliche bis 18 Jahre. Am Freitag, 15. September, können diese in ausgewählten Wahllokalen ohne Anmeldung bis 18 Uhr ihre Stimmen abgeben. Die Jugendringe unterstützen teilnehmende Institutionen mit Infomaterialien.

Rund 21 000 Jugendliche haben bayernweit in den Jahren 2009 und 2013 teilgenommen. Rund um die Wahl sind die teilnehmenden Einrichtungen angehalten, über Veranstaltungen wie Diskussionen den direkten Kontakt zwischen Politik und Jugend zu ermöglichen. Das Wahlergebnis wird am Abend voraussichtlich auch in der Tagesschau veröffentlicht.

In Bayern haben sich in diesem Jahr 178 Wahllokale registriert. In Unterfranken kann unter anderem in Aschaffenburg, Schweinfurt, Würzburg und Bad Neustadt gewählt werden. Am Projekt nehmen neben Jugendzentren und Büchereien auch Schulen teil. Alle Wahllokale sind auf der Seite der U18-Initiative online einsehbar.

Seit 1996 hat sich die ursprünglich in Berlin entstandene Initiative auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet. Seitdem ist das Projekt durch den Gedanken getragen, politische Zukunftsdiskussionen während des Wahlkampfs in das Lebensumfeld der Jugendlichen zu bringen. mob

 
 
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