Über 65 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht. Noch nie war die Zahl von Flüchtlingen so hoch wie heute. Ihre Betreuung – nicht nur in den Zielländern, sondern auch in den Gebieten, die die Menschen auf ihrem Weg durchqueren – ist eine Mammutaufgabe. Vor allem für Sozialarbeiter. Bei der International Social Work Week (ISWW) an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS) konnten sich rund 60 Experten aus 13 Ländern über die Herausforderungen der Sozialen Arbeit im Migrationsbereich austauschen. Und gemeinsam nach Lösungen suchen.
Viele Länder, gleiches Problem
„Wir bräuchten eine Flut von professionellen Sozialarbeitern“, sagt Dickson Ombaka, „aber in der Realität haben wir nur einen tröpfelnden Strom.“ Der Soziologe von der Kenyatta University in Kenia erntet vielfaches Nicken aus dem Publikum.
Seine Zuhörer unterschiedlicher Nationalitäten kennen dieses Problem: Sie sind Sozialarbeiter oder Soziologen, bilden Studenten in Sozialer Arbeit aus oder sind in der humanitären Hilfe tätig. Die Flüchtlingskrise hat die Anforderungen an ihre Berufe verändert – und den Bedarf an qualifiziertem Personal erhöht.
Ziel: Experten zusammenbringen
„Uns ist aufgefallen, dass der Diskurs über Soziale Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten sich grundlegend unterscheidet in den Herkunfts-, Transit- und Zielländern der Migranten“, erklärt Ralf Roßkopf, Leiter des Masterstudiengangs „Internationale Soziale Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten“ an der FHWS. Ziel der Konferenz war es daher, Experten zusammenzubringen, die die Flüchtlinge auf verschiedenen Stationen ihres Weges begleiten: Aus Ländern wie Kenia oder Jordanien, die für viele Flüchtlinge eine erste Anlaufstelle sind. Aus Italien oder Griechenland, wo sie nach einer strapaziösen Reise über das Mittelmeer erstmals europäischen Boden betreten. Und aus Ländern wie Deutschland oder Großbritannien, in denen die Geflüchteten Fuß fassen und ein neues Leben beginnen möchten.
„Wir wollen die Flüchtlinge und Migranten auf der gesamten Wegstrecke durch Soziale Arbeit begleiten“, so Roßkopf. Dazu gehöre sozialpsychologische Betreuung und das Schaffen einer stabilen und sicheren Umgebung, sowohl in den Herkunfts-, als auch in den Transit- und Zielländern. Die Aufgaben der Sozialen Arbeit sind im Kern also überall gleich, aber die Grundvoraussetzungen für Sozialarbeiter unterscheiden sich entlang des Weges maßgeblich. Die Probleme reichen vom mangelnden professionellen Status des Sozialarbeiters über zu wenige finanzielle Mittel bis hin zu Korruption.
Button warnt vor Meldepflicht
So wie in Nigeria. „Bei meiner Arbeit habe ich oft das Gefühl, dass ich meine Studenten belüge“, sagt Uzoma Okoye. So müsse sie ihren Studenten beibringen, dass es falsch ist, Schmiergeld zu zahlen – in der Realität aber sei vieles ohne Schmiergeldzahlungen nicht zu bewerkstelligen.
In Italien sind Sozialarbeiter im Staatsdienst seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2002 verpflichtet, illegale Migranten zu melden, sobald sie auf sie aufmerksam werden, erzählt Roberta di Rosa von der University of Palermo. Um das im Sinne der Flüchtlinge zu vermeiden, haben sich einige Sozialarbeiter selbst organisiert: Sie tragen gut sichtbare Buttons mit der Aufschrift „I denounce“, „Ich melde“, damit illegale Migranten ihnen gezielt aus dem Weg gehen können und nicht gemeldet werden müssen.
Hilfsbedürftige in Unterfranken
Die Einblicke in die Situation anderer Länder empfanden die Experten als hilfreich. ISWW-Organisator Roßkopf will diesen Austausch daher durch ein internationales Netzwerk von Hochschulen aufrechterhalten: „In den kommenden Jahren soll ein Austauschprogramm für Studierende und Lehrende im Rahmen von Erasmus Plus entstehen“, sagt er. Bereits 2018 soll ein Austausch zwischen Partneruniversitäten in Jordanien, dem Libanon, Griechenland, Italien und der Türkei stattfinden. 2019 sollen weitere Länder folgen.
Unterdessen bleibt die Betreuung von Flüchtlingen auch in Unterfranken ein Thema. 7673 Asylbewerber leben hier derzeit in den 44 Gemeinschafts- und 423 dezentralen Unterkünften. Unter ihnen befinden sich 2503 Kinder und Jugendliche. 533 davon sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Sie alle sind auf Unterstützung angewiesen. Für die Soziale Arbeit in der Region ist das eine zusätzliche Herausforderung.
Staatliche Stellen, Wohlfahrtsverbände und Ehrenamtliche arbeiten weiter auf Hochtouren. „Die wichtigsten sozialen Herausforderungen sind aktuell die Versorgung mit Arbeit, die Beschaffung von Wohnraum und die Sprachvermittlung“, berichtet Johannes Hardenacke, Pressesprecher der Regierung von Unterfranken.