Eine Schönheit, spätestens auf den zweiten Blick. Da kann der knallrote Taycan mit seinen wuchtigen Hüften und stechenden Augen prahlen wie er will: Dieses bucklige, creme-weiße Ding da im Schatten der Stahltreppe stiehlt ihm in der Ausstellungshalle doch die Schau. Es ist ein Einzelstück. "Porsche" steht drauf, ein VW-Kübelwagen ist drin. Gebaut in der DDR von fleißigen Händen: Ja, das ist ein Miersch. Das Fahrzeug schaut aus wie ein 356er Porsche, hat aber vier Sitze - und eine Menge zu erzählen.
"Ich will, dass dieses Auto lebt und bewegt wird", sagt der Eigentümer. Er kommt aus Würzburg und fährt den eigenwilligen Sportwagen seit 1994. Weil seine seine Sammlung alter Fahrzeuge inzwischen etwas üppig geraten sei, steht der Miersch jetzt im Porsche-Zentrum bei Estenfeld (Lkr. Würzburg) zum Verkauf. Viel Aufsehen darum will der Eigentümer nicht machen, er mag es lieber zurückhaltend. Deshalb will er weder vor die Kamera, noch seinen Namen in der Öffentlichkeit lesen. Die Bühne soll ganz allein seinem Schätzchen gehören, dem nachgebauten 356er.
Das Auto ist am 9. Oktober 1953 erstmals urkundlich erwähnt. Die Aufbaugenehmigung 138/53 des Rates des Kreises Meißen weist den Schuhfabrikanten Hans Miersch als künftigen Autobauer aus. Drei Wochen vorher hatte die Behörde einen Kaufvertrag mit dem Industriellen abgeschlossen über die Überlassung herrenlosen Gutes. Für 165 Mark hatte Hans Miersch damit einen VW-Kübelwagen Typ 82 erworben, inklusive eines zerlegten Motors. Nur: Konnte so ein Kübelwagen das Auto sein, mit dem der Unternehmer, der vor Stalingrad seinen rechten Unterschenkel verloren hatte, angemessen und stilgemäß unterwegs sein wollte?
Die Bremstrommel in der Aktentasche
Die schicken Wagen, von denen der damals 32-Jährige offenbar geträumt haben muss, waren rechtzeitig in den Westen verlagert worden. Im kommunistischen Osten gab's, wenn überhaupt, nur schrottreife Gefährte. Vielleicht war es die Ingenieurskunst Ferdinand Porsches, die auch in den Wehrmachtskübeln steckte, vielleicht die Liebelei für die noch junge Zuffenhausener Edelschmiede, vielleicht auch nur dieses eine Bild von einem Porsche 356 in einer damaligen Autozeitschrift: Hans Miersch beschloss, sich seinen Porsche selbst zu fertigen. Von Geschäftsreisen nach Berlin brachte er Teile mit. Aus langen Gesprächen mit Miersch weiß der heutige Eigentümer: Mitunter wanderte da schon mal eine Bremstrommel in der Aktentasche über die deutsch-deutsche Grenze.
Abenteuerlich. Und einzigartig. Aus dem Kübelwagen wurde tatsächlich der legendäre Vorläufer des bis heute zeitlosen, wenngleich in vielen Generationen weiterentwickelten Porsche 911. Deswegen ist sich der heutige Eigentümer sicher: "Der Käufer wird ein Mensch sein, der nicht das Auto kauft, sondern die Story dahinter." Der Würzburger, der es bisher erfolgreich verhindert hat, dass der Wagen im Museum landet, äußert sich zwar nicht über seine Kaufpreis-Vorstellungen. Aber er lässt r im Gespräch durchblicken, dass die Summe dem Wert eines nagelneuen Porsche entspricht. "Die Story ist einfach der Hammer", sagt Niederlassungsleiter Harald Stoll vom Porsche-Zentrum Würzburg. "Deswegen waren wir Feuer und Flamme, den Miersch auszustellen."
Ein Holzgerippe für die Karosserie
Feuer und Flamme für einen Porsche waren in den Fünfzigern parallel zu Hans Miersch auch zwei Studenten der TU Dresden, Falk und Knut Reimann. Die 21-jährigen Zwillinge hatten einen 356er-Nachbau gezeichnet und in Arno Lindner einen Stellmacher gefunden. Doch ihnen fehlte das Material. Das creme-weiße, bucklige Auto würde heute nicht in Estenfeld stehen, wenn Fabrikant Miersch nicht zufällig in der Werkstatt dieses sächsischen Handwerkers gelandet wäre. Und verdutzt gesehen hätte, wie Lindner und seine Mitarbeiter gerade am Holzgerippe für die Karosserie eines Porsche 356 gewerkelt hatten.
Im November 1954 stand die 1600-Kilo-Karosserie. Das einen Millimeter dicke Tiefziehblech, von dem Unternehmer Miersch aus der Tschechoslowakei 30 Quadratmeter besorgt hatte, war auf Lederriemen über das Gestell gezogen worden. Dieses auf das Kübel-Chassis gehievte Gebilde, für das Stellmacher Lindner 3150 D-Mark berechnet hatte, sollte zunächst von einem 30-PS-VW-Motor geschoben werden. Ein bisschen schwach, zumal auch im Innenraum an Holz, Metall und schwerem Leder nicht gespart worden war. Prächtig ausstaffiert stand der Miersch-Porsche dann 1954 in Dresden auf der Handwerksausstellung. "Die DDR hatte Miersch gewähren lassen, um dann der Welt zu zeigen: Seht her, wir können auch Sportwagen bauen", sagt der Eigentümer.
Der "Flitzer", der sich vom Original vor allem durch eine 30 Zentimeter längere Flanke, mehr Breite und die vollwertige Heckbestuhlung unterschied, sollte im Laufe der Jahre das ein oder andere technische Upgrade erhalten: 1968 zunächst eine 75-PS-Maschine, schließlich den Super-90-Motor aus dem damaligen 356er-Spitzenmodell. Dessen 90 PS tuckern immer noch unter der 20 Kilo schweren Heckklappe. "Der Miersch fährt sich eher wie eine Limousine, denn wie ein Sportwagen", sagt der Noch-Eigentümer.
Er erzählt auch von anderen DDR-Nachbauten aus Lindners Garage, bei denen die Außenhaut aus gedengelten Opel-Blitz-Motorhauben jedoch schnell durchgerostet war - diese sogenannten "Lindner"-Porsche seien deshalb bald irgendwo in den Weiten Osteuropas verschollen.
Natürlich war auch der Firma Porsche dieser seltsame 356er aus der DDR nicht verborgen geblieben. Schon gar nicht nach der Wiedervereinigung vor 30 Jahren. Fragen nach dem Urheberrecht tauchten angesichts der Schriftzüge und Embleme beispielsweise auf. Doch letztlich verlief alles im Sand, Porsche selbst hatte in den Fünfziger Jahren dem Unternehmer aus Meißen ja die Teile verkauft. Und so fuhr Hans Miersch seinen inzwischen creme-weiß lackierten und immer aufwändiger ausstaffierten Eigenbau auch noch 1994, mit 73 Jahren. Bis er in dem Würzburger Oldtimer-Liebhaber den passenden Käufer gefunden hatte. Dieser erzählt: "Wir waren uns gleich sympathisch und Hans Miersch sagte: 'Ihnen verkaufe ich das Auto.' Doch als ich vom Hof fuhr, sah ich im Rückspiegel, wie er weinte."
Reifen im Tausch gegen Damenschuhe
Zuvor hatte der Tüftler, der offenbar Geld für ein neues Hausdach benötigte, dem neuen Eigentümer noch erzählt, wie man ihm in der DDR einst auf seinen Wunsch nach einem Porsche geantwortet hatte: "Das geht nicht. Aber bauen Sie sich halt selbst einen." Dass dieser Auto-Narr das tatsächlich tun würde, damit hatte wohl niemand gerechnet. Auch nicht damit, dass er ein Werk finden würde, das ihm extra Reifen anfertigen konnte - die er bei Regen freilich besser nicht fahren wollte. Bekommen hatte der Schuhfabrikant die Spezial-Pneus im Tausch für handgefertigte Damenlederschuhe. Der erste Luftfilter des Miersch bestand aus einer Feinstrumpfhose. Und die Frontscheibe stammt eigentlich aus einem Mercedes Ponton.
Als in den Siebzigern aus Mierschs Schuhmanufaktur ein volkseigener Betrieb wurde, rettet der enteignete Unternehmer sein Fahrzeug mit einer List. Als Kriegsversehrter reklamierte Hans Miersch den Eigenbau als extra für seine Bedürfnisse konzipiert - und damit als unverzichtbar, zumal er nunmehr als Arbeiter in einer Dachpappenfabrik mobil sein musste. Allzu wertvoll durfte so ein fahrbarer Untersatz im Land des Trabbis indes nicht wirken. Wie Miersch es geschafft hat, ein offizielles, auf den 8. Mai 1972 datiertes Wertgutachten über gerade einmal 1800 Ost-Mark zu bekommen? Auch für den Würzburger Eigentümer ein Rätsel.
Der Porsche-Miersch oder Miersch-Porsche: Ein Unikat mit Spezialitäten
Und so steht der Miersch-Eigenbau jetzt im Würzburger Porsche-Zentrum und spitzt mit seinen runden Kulleraugen frech hinterm Taycan hervor. "Begeistert sind viele, aber echtes Interesse?" Niederlasssungsleiter Stoll rechnet am Ende mit zwei, maximal drei potentiellen Käufern. Und er weiß gar nicht recht, wie er das exotische Modell anpreisen soll: Als Miersch? Als Porsche? Als Miersch-Porsche. "Dreimal ja", sagt Stoll lachend.
Individuell und speziell ist der Wagen jedenfalls: Immerhin hat der gut 65 Jahre alte Oldtimer mit der bewegten Vergangenheit vier offiziell eingetragene Sitzplätze. Und Stauräume in den hinteren Kotflügeln. Wo moderne Flitzer mit Hohlräumen auf ihr Gewicht achten, fährt der Miersch dicht bepackt: Jede Ecke ist hier ausgenutzt für Ersatzteile oder Werkzeug. Die Handschrift des leidenschaftlichen Bastlers aus der DDR, der ein Auto erschaffen hat, das einem Porsche 356 so nah wie möglich kam - und doch in höchstem Maße ein Unikat wurde.
Fahre selbst einen Oldi VW Golf 1 Caddy 14D mit kleinen "gesuchten" Umbauten
Viel Spaß beim Fahren des Eigenbau-PORSCHE !!!