Viele Menschen werden ausgegrenzt, weil sie dort, wo etwas stattfindet, nicht hineinkommen. Es fehlen Rampen. Oder Aufzüge. Nach und nach wird versucht, diese Barrieren abzubauen. Doch es gibt viele weitere Hindernisse, die bislang noch kaum im Blick sind. Die Sprache zum Beispiel kann eine riesige Barriere sein. Wie sprachliche Hürden gesenkt werden können, darüber wurde am Montag in der Würzburger Stadtbücherei lebhaft diskutiert.
Mit „Leichter Sprache“ ist es möglich, Barrieren zu überwinden. Doch was ist Leichte Sprache genau? Sie besteht aus einfachen Wörtern und einfachen Sätzen, erläuterte Christiane Zehrer von der Forschungsstelle Leichte Sprache der Uni Hildesheim. Das klingt simpel: „Doch Verständlichkeit herzustellen, ist extrem schwer.“
Das Hildesheimer Institut vermittelt diese Kompetenz. Seit zwei Jahren werden Experten ausgebildet, die in Standardsprache verfasste Texte in „maximal Leichte Sprache“ übersetzen. Dabei geht es in erster Linie um offizielle Schreiben – etwa Briefe des Jobcenters, der Stadtverwaltung, des Finanzamts oder der Rentenversicherung: „Der Sinn von Formularen soll allen Menschen verständlich sein.“ Die Übersetzungen nutzen Menschen mit Hörbehinderung, die keine normale Sprachentwicklung durchlaufen. Außerdem profitieren davon Menschen mit einer Lernbehinderung, Demenzkranke und letztlich alle Menschen auf all jenen Gebieten, wo sie selbst Laien sind.
Dass es eine enorme Leistung ist, standardsprachliche Texte in Leichte Sprache zu übersetzen, erfuhr das Team der Würzburger Stadtbibliothek in den vergangenen Monaten. Angestoßen von einer Bürgerwerkstatt zur Vorbereitung des Lokalen Aktionsplans Inklusion, machte sich Bücherei-Leiterin Anja Flicker daran, einen Bestand an Leichter Sprache aufzubauen und erste Flyer in Leichter Sprache zu formulieren. Zu Jahresbeginn wurde eine Mitarbeiterin aus dem Team der Stadtbücherei freigestellt, um das anspruchsvolle Projekt zu realisieren. Ein erstes Regal mit in Leichter Sprache verfassten Medien konnte am Montag in die Fremdsprachenabteilung integriert werden.
„Klar und verständlich schreiben“
Auch Nachrichten, die in der Zeitung stehen, sind nicht immer so aufbereitet, dass jeder sie auf Anhieb verstehen kann. Es gebe immer noch Autoren und Journalisten, die glauben, durch besonders komplizierte Sätze besonders kompetent rüberzukommen, so Andreas Jungbauer, Redaktionsleiter der Main-Post: „Doch es gibt keinen Grund, kompliziert zu schreiben.“ Volontären würde diese Botschaft konsequent vermittelt: „Schreibe klar und verständlich, dann bist du gut!“ Dass es für viele Menschen schwierig ist, den politischen Tagesereignissen zu folgen, bestätigte Gunther Schunk von der Zweigstelle Würzburg der Gesellschaft für deutsche Sprache: „80 Prozent verstehen die Tagesschau nicht.“
Kompliziertes einfach auszudrücken, ist eine Fähigkeit, die nicht jedermann gegeben ist. Wolfgang Lenhart vom psychologischen Institut der Uni Würzburg sprach gar von einer „hohen Kunst“. Sie zu kultivieren, lohne jedoch: „Denn jeder von uns ist immer wieder einmal in einer Situation, wo er mit Leichter Sprache einfach besser fährt.“
„Recht auf Verstehen“
Oberbürgermeister Christian Schuchardt verbindet mit Leichter Sprache die Hoffnung, dass sich dadurch künftig die Wahlbeteiligung erhöhen könnte. Sind doch Wahlprogramme oft wenig verständlich – abgesehen von kompliziert formulierten Wahlbenachrichtigungen. Für Schuchardt gibt es ein „Recht auf Verstehen“: „Nur dann ist es möglich, sich selbstbestimmt zu beteiligen.“ Die Realität, so Harald Ebert, Leiter der Don Bosco-Schule, schaut heute jedoch noch ganz anders aus: „Wir grenzen Leute durch die Sprache systematisch aus.“
Barrieren durch Leichte Sprache abzubauen, ist für Ebert nicht nur wünschenswert, sondern eine gesellschaftliche Verpflichtung, die sich aus der UN-Behindertenrechtskonvention ableitet. Inzwischen gibt es in Würzburg auch ein breites Bündnis, das sich dafür einsetzt, den Rechtsanspruch auf sprachliche Barrierefreiheit durchzusetzen. Neben der Don Bosco-Schule sind dies das Würzburger Bündnis für Zivilcourage, der Würzburger Ombudsrat, die Stadt Würzburg und die Stadtbücherei. Sie alle hatten auch zu dem Podiumsgespräch eingeladen.
Im Lokalen Aktionsplan Inklusion findet sich der Wunsch, in Würzburg ein Übersetzungsbüro für Leichte Sprache zu etablieren. Apropos Aktionsplan: Auch dieses 300-Seiten-Werk ist keineswegs so verfasst, dass es jedermann zugänglich wäre. Doch die Übersetzung soll 2015 in Angriff genommen werden.