In Unterpleichfeld gibt es für das Sauerkraut gar ein eigenes Fest. Zum Abschluss der Erntesaison organisieren traditionell am ersten Oktoberwochenende der TSV 1926 Unterpleichfeld, der örtliche Bauernverband, ansässige Geschäftsleute und der Verein „Salut Unterpleichfeld“ einen großen Bauernmarkt rund um das namensgebende Gemüse. Dann gibt's in der Mehrzweckhalle ausgewählte Krautspezialitäten zum Verzehr – allen voran Krautwickel und Knöchle mit Kraut.
Dass es das Krautfest gibt, ist der Tatsache geschuldet, dass die unterfränkische Gemeinde mit ihrem ausgesprochen ertragsreichen Lehm-Löß-Boden als Kraut-Hochburg schlechthin gilt. Und das, obwohl der gesamte Landkreis Würzburg nur acht Prozent der bayerischen Gemüseanbaufläche aufweist. Nichtsdestotrotz warten die Unterpleichfelder alljährlich mit feinsten Krautgerichten auf – der vegetarischen Lasagne zum Beispiel. Ein ehemaliger US-Soldat, der beim vergangenen Fest mit seiner Familie das Frankenland besuchte, brachte es auf den Punkt: „They are the real krauts!“ – Die wahren Krautfresser auf dieser Welt.
Kein deutsches Nationalgericht
Das mag die Unterpleichfelder freuen, den Rest der Republik wohl eher nicht. Denn erstens: Sauerkraut ist nicht das deutsche Nationalgericht. Zweitens: Sauerkraut ist keine deutsche Erfindung. Und drittens: Es gibt weit größere Sauerkraut-Hochburgen als Unterpleichfeld. Zwar ist die deutsche Hausfrau in Sachen Zubereitung von Sauerkraut imstande, Grandioses zu leisten. Doch im Sauerkraut-Verzehr sind wir nicht Weltmeister. In vielen Gegenden Deutschlands wird man auf Speisekarten vergeblich ein Sauerkrautgericht suchen. Woher aber kommt der internationale Irrglaube, einem deutschen Baby werde statt Muttermilch schon Sauerkrautsaft eingeflößt?
Die Hauptschuld hierfür tragen wohl die Franzosen. Denn dort heißen nun mal die Deutschen „Les Allemands“ und nachdem die Elsässer, die das Sauerkraut nun wahrlich zum Nationalheiligtum erhoben haben, von den Allemannen abstammen und bei den Franzosen auch diese „Allemands“ waren, hat man – zumindest kulinarisch gesehen – alle „Allemands“ zu Elsässern, eben den wahren „Allemands“, und somit zu „Krautfressern“ gemacht. Sehr zum Leidwesen der Elsässer übrigens, die gar nicht so gerne mit den Deutschen über einen Kamm geschoren werden wollen, schon gar nicht in Sachen „Choucroute“.
Als aus Chinakohl Weißkohl wurde
Selbst in Amerika wird mittlerweile mehr Sauerkraut pro Kopf gegessen als bei uns. Und eigentlich müssten die Chinesen die echten „Krauts“ sein. Schließlich ist belegt, dass die Arbeiter beim Bau der Chinesischen Mauer ihren Reis mit dem Weißkraut-Verwandten Chinakohl würzten. Der wiederum war nachweislich mit Reiswein konserviert, und das bereits seit Urzeiten.
Dschingis Khan jedenfalls war vom chinesischen Weinkrautrezept derart begeistert, dass er nach seinem Überfall auf China neben reichlich anderem auch das Sauerkraut von dort mitnahm und fortan seine Truppen damit beglückte. Durch die Mongolenhorden gelangte es dann auch nach Europa. Dort gingen ihnen natürlich irgendwann die Vorräte aus. Man ersetzte den Chinakohl ganz einfach durch den Weißkohl, salzte ihn und ließ ihn gären, bis er sauer war. Dschingis Khan war irgendwann wieder weg, das Sauerkraut blieb.
Um 1400 tauchte dann im Elsaß das Sauerkraut erstmals in diversen Schriften auf. Es wurde „Gumbostkrut“ genannt, die elsässischen Mönche legten damals zur „Befriedung“ des Magens einen wöchentlichen Fastentag ein, den sogenannten „Gumbosttag“, an dem nur „Krut“ gegessen werden durfte. Unter medizinischen Gesichtspunkten übrigens gar nicht so dumm.
Als Heilmittel gepriesen
Hippokrates erzählt bereits im 4. Jahrhundert vor Christus von der gesundheitsfördernden Wirkung des Sauerkrauts. Gleiches hört man vom wohl wichtigsten Naturkundler des Altertums, Gaius Plinius Secundus um 60 nach Christus. Überall dort, wo das Sauerkraut namentlich auftauchte, wurde es beinahe mehr als Heil- denn als Lebensmittel gepriesen. Auch Sebastian Kneipp, bayerischer Pfarrer und Namensgeber der Kneipp-Medizin, schwor bis ans Ende seiner Tage auf die belebende Wirkung des Krauts zum Beispiel bei Verstopfung. Und wer einmal nach dem Genuss einer Münchner Krautplatte im Hacker-Pschorr-Keller an einer Toilette Schlange stand, der kann Kneipp nur beipflichten.
Schützende Wirkung vor Krebs?
Die moderne Medizin weiß mittlerweile so gut wie alles über die Geheimnisse des Sauerkrauts. So verfügt es über reichlich Vitamine, Kalium, Calzium und Eisen und vor allem beinhaltet es einen Stoff, der „Anti-Ulkus-Faktor“ genannt wurde. Dieser geniale Eiweiß-Baustein schützt nachweislich die Magenschleimhäute vor negativen Einflüssen und Reizen, die die Entstehung von Magengeschwüren zur Folge haben. Und es fördert die Heilung bei schon aufgetretenen Magengeschwüren. Allerdings nur, wenn es nicht erhitzt, sondern frisch aus dem Fass kommt.
Dass Sauerkraut vor Krebs schützen könnte, dafür häufen sich schon seit geraumer Zeit die Hinweise. Finnische Wissenschaftler haben im Kraut sogenannte Isothioncynate nachgewiesen. Diese schwefelhaltigen Verbindungen haben in Tierversuchen gezeigt, dass sie das Ausbreiten von Tumoren stoppen können.
Nettes hört man auch von einem Biochemiker der Uni Pittsburg, der schreibt: „Wenn der Winter seinen Höhepunkt erreicht hat und die Temperaturen am tiefsten sind, kräftigt das Sauerkraut wie kein anderes Gemüse unsere Gesundheit und unsere Liebeskraft.“ Unter diesem Gesichtspunkt ist Witwe Boltes Sauerkraut-Schwärmerei vielleicht vollkommen neu zu interpretieren! Wusste die Figur in Wilhelm Buschs „Max und Moritz“ etwa davon?
Sicher nichts davon wusste Seefahrer James Cook. Ansonsten hätte er wohl eingedenk der daraus entstehenden Schwierigkeiten für seine reine Männer-Crew wahrscheinlich darauf verzichtet, bei jeder seiner Touren im Bauch seiner Schiffe 60 Fässer Sauerkraut mit einem Gewicht von je einer Tonne einzulagern. Cook sah im Sauerkraut nur das lange haltbare Lebensmittel und einen hochwirksamen Schutz vor Skorbut, dieser heimtückischen Mangelerkrankung, die so manchen Seefahrer damals zuerst um sein Gebiss und dann um sein Leben brachte.
Begeistert war der Kapitän auch darüber, dass das letzte Fass Sauerkraut am Ende seiner ersten Reise nach beinahe zwei und einem halben Jahr immer noch von guter Qualität war, wo doch das Haltbarmachen von Lebensmitteln in früheren Zeiten ein immenses Problem darstellte. Ein Franzose war es übrigens, der das Sterilisieren, also die Methode des Haltbarmachens durch Erhitzen erfand. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts marschierte die napoleonische Armee mit Sauerkrautgläsern gegen den Feind.
Um 1930 herum gelang es dann einer im wahrsten Sinne des Wortes „Kraut-Firma“, nämlich der deutschen Konservenfabrik von Richard Hengstenberg, Sauerkraut in Dosen auf Dauer haltbar zu machen. Dies war nicht so einfach, denn die Gärgase des Krauts ließen aus den ersten Dosen in schöner Regelmäßigkeit explodierende Dum-Dum-Geschosse werden. So mancher Teil des für die damalige Zeit hochmodernen Forschungslabors wurde Opfer einer herumschwirrenden Sauerkraut-Dose.
Nahrhaft und kalorienarm
Bekanntlich bekamen Hengstenbergs Lebensmittelforscher diese Schwierigkeiten in den Griff und der Siegeszug der Sauerkraut-Dauerkonserve rund um die Welt war nicht mehr zu bremsen. Die deutsche Wehrmacht hatte im Zweiten Weltkrieg Sauerkrautdosen genauso in der Feldküche, wie die Royal Army, die amerikanischen GI?s oder die Kamikaze-Japaner, allerdings wohl in anderer Geschmacksrichtung. Jedem war klar: Sauerkraut ist gesund, nahrhaft, aber trotzdem kalorienarm, und es hält fit.