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Würzburg
Wenn es nur noch Ein-Euro-Jobs gibt ist Hilfe in Sicht
Sozial-Kaufhaus „Brauchbar“ in Würzburg macht sich für die Schaffung eines „Sozialen Arbeitsmarkts“ stark
Susanne Huller berät einen „Brauchbar“-Kunden, der Geschenke für seine kleinen Enkelkinder sucht.
Foto: Brauchbar | Susanne Huller berät einen „Brauchbar“-Kunden, der Geschenke für seine kleinen Enkelkinder sucht.
Bearbeitet von Torsten Schleicher
 |  aktualisiert: 03.12.2019 11:13 Uhr

„Und Sie? Was machen Sie denn beruflich?“ Diese Frage hatte Susanne Huller stets in Schrecken versetzt. Sie war zwar fast immer tätig gewesen. Aber in den vergangenen  zwölf Jahren meist „nur“ als Ein-Euro-Jobberin. Das zuzugeben, traute sie sich kaum: „Man wird gleich als Mensch zweiter Klasse angesehen.“ Heute kann sie stolz sagen: „Ich arbeite in einem Sozialkaufhaus.“ Seit März ist die 52-Jährige fest angestellt. Möglich wurde dies durch den neuen „Sozialen Arbeitsmarkt“, der im Januar installiert wurde, so eine Pressemitteilung.

Susanne Huller hat eigentlich ein gutes berufliches Fundament. „Ich bin gelernte Einzelhandels- und Speditionskauffrau“, erzählt die Würzburgerin. Sie kennt sich im Verkauf aus, kann ein Büro managen und ist im Lager einsetzbar. In allen diesen Bereichen war sie auch lange Jahre tätig .

Dann kündigte sich, vergleichsweise spät, ein Kind an. Das musste Huller ohne einen Partner erziehen. Was die Möglichkeiten, berufstätig zu sein, deutlich einschränkte – zumal die Kinderbetreuung vor 15 Jahren, als ihr Sohn zur Welt kam, deutlich schlechter waren als heute. Hinzu kamen gesundheitliche Probleme und persönliche Krisen: „Mein Vater starb.“

Versuche, einen regulären Job zu bekommen, scheiterten 

Alle Versuche, wieder einen regulären Job zu ergattern, scheiterten. So kam Huller vor mehr als zwölf Jahren zum ersten Mal zu „BRAUCHBAR“. Für eineinhalb Jahre erhielt sie eine Arbeitsgelegenheit: „Danach musste ich vom Jobcenter aus eine Pause einlegen.“ Sie durchlief einen Förderkurs, fand aber auch danach keinen Job.

Als Einzelhandelskauffrau war Huller auf Miederwaren, Nachtwäsche und Herrenkonfektion spezialisiert. Ihr reiches Wissen im Umgang mit Textilien kann sie bei „BRAUCHBAR“ gut einbringen. Huller ist nun in der Kinder- und Sportabteilung des Sozialkaufhauses tätig. Manchmal hilft sie an der Kasse aus: „Außerdem kümmere ich mich um unseren Schnäppchenverkauf.“

Kunde sucht Geschenke für die Enkelkinder

Soeben berät sie einen Herrn, der Spielwaren für seine Enkelkinder sucht. Huller verweist ihn auf eine Holzeisenbahn und das große Sortiment an Bällen. Zwei kleine Enkelkinder hat der Mann: „Einen Jungen und ein Mädchen.“ Für beide findet er dank Huller schöne Geschenke.

Für Menschen wie Susanne Huller bedeutet das neue „Teilhabechancengesetz“, auf dem der Soziale Arbeitsmarkt basiert, eine echte Perspektive. Obwohl sie als „arbeitsmarktfern“ gelten, erhalten sie die Chance auf eine Festanstellung und ein regelmäßiges Gehalt. Huller gehört zu den ersten Jobcenter-Klienten in Würzburg, die von dem neuen Instrument profitieren.

Bis Jahresende zehn neue Stellen

Im April werden weitere Langzeitarbeitslose eingestellt. „Insgesamt wollen wir bis Jahresende zehn Stellen schaffen“, berichtet „BRAUCHBAR“-Geschäftsführer Thomas Johannes. Dabei kooperiert der Beschäftigungsträger mit den Jobcentern von Würzburg und Kitzingen.

Dass Deutschland einen „Sozialen Arbeitsmarkt“ bekommt, wird von Wohlfahrtsverbänden seit vielen Jahren gefordert. Die Politik diskutierte lange über gangbare Wege zur Umsetzung dieser Idee. Seit Januar kann nun Menschen, die in den vergangenen sechs Jahren allenfalls geringfügig beschäftigt waren, eine Chance auf Teilhabe am Arbeitsmarkt eröffnet werden. Arbeitgeber erhalten für sie zwei Jahre lang den kompletten Lohn bezuschusst. Im dritten Jahr gibt es noch einen Zuschuss in Höhe von 90 Prozent, im vierten sind es 80 und im fünften Jahr 70 Prozent.

Beschäftigungsexperten hatten gehofft, dass es einen unbefristeten „Sozialen Arbeitsmarkt“ geben wird. Denn viele Menschen, die seit Jahren keinen Full-Time-Job mehr haben, sind gesundheitlich oder aufgrund ihrer Lebensumstände so stark eingeschränkt, dass sie wahrscheinlich auch nach fünf Jahren nicht imstande sein werden, einen Arbeitgeber zu finden, der sie ohne Lohnkostenzuschuss einstellt.

„Es handelt sich um Menschen, die schon eine ganze Reihe an Fördermaßnahmen durchlaufen haben, ohne dass sie es geschafft hätten, auf dem regulären Arbeitsmarkt Fuß zu fassen“, erläutert Johannes.

Coaching-Gespräche mit dem Jobcenter

Susanne Huller ist im Augenblick einfach nur froh, dass sie nach so vielen Jahren endlich wieder einen festen, sozialversicherungspflichtigen Job hat. Ihr Lohn reicht aus, um sich und ihren Sohn zu ernähren. Huller muss also nicht aufstocken. Ganz weg vom Jobcenter ist sie allerdings noch nicht: „Ich habe dort regelmäßige Coaching-Gespräche.“ Die sieht das Programm „Sozialer Arbeitsmarkt“ vor. Das Coaching soll dazu dienen, Probleme, die am Arbeitsplatz auftauchen, rechtzeitig aufzufangen.

Huller glaubt nicht, dass sie ihren Coach jemals benötigen wird, weil es massive Konflikte im Job gibt. Sie kennt „BRAUCHBAR“ ja schon lange. Hier fühlt sie sich wohl: „Ich gehe jeden Tag gern zur Arbeit.“ Wichtig ist ihr die Stelle nicht zuletzt mit Blick auf ihren Sohn, der vor kurzem eine Ausbildung zum Kinderpfleger begonnen hat. Der Junge soll keine Mutter erleben, die zu Hause hockt und die Decke anstarrt: „Ich will meinem Kind ein Vorbild sein.“

 
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