Wie riecht ein Stück feuchtes Holz, das auf dem Waldboden lag? Von denen, die zum Waldbaden mit Waldbademeisterin Christina Haas gekommen sind, können manche gar nichts erschnuppern, andere empfinden den Geruch ganz deutlich.
"Mach deine Augen zu – na, was ist das?", so fordert eine Teilnehmerin ihre Freundin auf. Weil diese zunächst gar nichts riecht, hält ihr die Schnupperpartnerin ein Büschel Moos so dicht an deren Nase, dass es kitzelt. Beim Knoblauchpilz jedoch sind sich alle einig: Der riecht heftig. Der Name kommt nicht von ungefähr.
An der zur Remlingen gehörenden Holzmühle bei Uettingen haben sich an diesem herbstlich frischen Oktobersonntag 15 Personen zum Waldbaden eingefunden. Für manche ist das völliges Neuland, andere wollen einmal in die Rolle von Teilnehmenden schlüpfen, wie die beiden vom Bergwaldprojekt, die selbst ähnliches anbieten.
In Japan anerkannte Therapieform
"Waldbaden kommt aus dem Japanischen", erklärt Christina Haas. Dort ist Waldbaden anerkannte Therapieform für Menschen, die von Lärm, Enge, Autohupen und permanenter Reizüberflutung in den schnelllebigen Megastädten gestresst sind. Bei Tokio gebe es sogar einen eigenen Heilwald, an dessen Ein- und Ausgang Blutdruck gemessen wird.
Sie fordert dazu auf, Hagebutten, Blätter oder vertrocknete Blüten zu sammeln und auf einer Mauer an einem Tümpel niederzulegen – als Natur-Kunstwerk und zugleich als Symbol für Gefühle, die sich die Woche über angestaut haben und zurückbleiben sollen.
Viele kleine Naturwunder
Zur weiteren Einstimmung verteilt sie farbige Karten, die sich teilweise nur um Nuancen unterscheiden. Manche gehen ins Gelbliche und Sandfarbene, andere sind eher grau oder rötlich. "Versucht mal, in der Natur Dinge genau mit eurer Farbe zu finden", fordert sie auf – aber wo ist denn hier bitte das Grau? Tatsächlich findet es sich bei genauerem Hinsehen an den Unterseiten mancher grüner Blätter.
Es geht um bewusstes Wahrnehmen der vielen kleinen Wunder, die die Natur bietet. Waldbaden ist mehr als nur ein Spaziergang oder eine Wanderung. Es soll entschleunigen und die Fähigkeit schulen, wieder über manches zu staunen wie ein Kind. Wissenswertes über Bäume, Tiere oder die Funktion des Waldes verbreitet die Kursleiterin bewusst nicht. "Das ist kein Rundgang mit dem Förster, sondern eine Auszeit im Wald, um zum Beispiel Atemtechniken zu erlernen, die einen auch im Alltag erden."
In der "Waldkathedrale"
In der Vorstellungsrunde auf einer sonnigen Wiese berichten die Teilnehmenden, wann sie in einen guten Flow kommen und wann sie sich besonders gut entspannen können. Dann geht es in den Wald. Durch die Blätter schimmert malerisch das Gegenlicht. Deutlich kühler ist es hier. An einem von hohen Buchen umgebenen Platz verteilt Christina Haas kleine Spiegel, mit denen sich die Baumkronen in dieser "Waldkathedrale" ebenso gut von unten betrachten lassen wie die Fächer kleiner Pilze, die dabei unversehrt stehenbleiben dürfen.
Und die Gruppe wird aufgefordert, sich in der Umgebung zu verteilen. Auf mitgebrachten Sitzkissen soll jeder für sich alleine die Umgebung wirken lassen, um später wieder im Kreis gemeinsam mit geschlossenem Augen den Leuten des Waldes zu lauschen. "Konzentriert euch mal nicht auf das Geschrei dieses einen Vogels", schlägt die Waldbademeisterin vor, "sondern auch auf die anderen kleinen Geräusche." Und sie ermuntert alle sich vorzustellen, wie Wurzeln unterhalb der Fußsohlen sich mit dem Waldboden verbinden.
Ausbildung mit Lehrprobe
Ihre Ausbildung zur Kursleiterin für Waldbaden hat die feste freie Mitarbeiterin des Bayerischen Fernsehens bei der "Deutschen Akademie für Waldbaden und Gesundheit" in Lorsbach im Taunus absolviert. Eine Woche lang gab es dort Theorie und Praxis im Wald. Danach schrieben alle eine Projektarbeit und hielten ein Probewaldbad – eine Art Lehrprobe.
Und was hat die 37-Jährige, die in Gößweinstein in der Fränkischen Schweiz aufgewachsen ist, dazu bewogen? "Ich habe die schönsten Erinnerungen ans Pilzesammeln oder ein Frühstück auf einem Moosbett. Für mich ist der Wald eine Oase und ein ausgleichender Ruhepol zu meinem Job, den ich gleichwohl liebe. Ich will gerne anderen Menschen die Augen dafür öffnen."
Musik auf Baumwurzeln
Den Rundgang durch den Wald hat Christina Haas gezielt geplant. "Zuerst wollte ich weiter auf den Berg Richtung Helmstadt gehen, aber da hätten wir schon die Autobahn gehört." Bei der Suche nach einer guten Route hatte sie einen umgefallenen Baum entdeckt, der im Laufe der Jahre zum Musikinstrument wurde. Die in verschiedene Richtungen zeigenden Wurzelstümpfe klingen beim Draufschlagen unterschiedlich hoch. Ein Teilnehmerpaar stimmt ein Kirchenlied an. Solche Percussion gab es dazu bestimmt noch nie als Begleitung.
Die Waldbademeisterin hat noch eine weitere reizvolle Stelle entdeckt: ein altes Wehr am Aalbach. In der Vorstellungsrunde hatten einige gesagt, dass sie sich am Wasser besonders wohl und entspannt fühlen. Hier lassen sie bunte Herbstblätter, die sie auf dem Weg dorthin gesammelt haben, in das Bächlein taumeln – ein gelungenes Abschiedsritual.
Iris Mosmann ist eine Teilnehmerin, die als Biobäuerin aus Oberaltertheim ständig mit der Natur in Berührung ist. Konnte sie dem Waldbaden noch etwas abgewinnen? "Sonst bin ich draußen bei der Arbeit. Diesmal habe ich gespürt, dass ich mich auf mich selbst besinne und die Dinge anders wahrnehme, wenn es ins Detail geht."