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WÜRZBURG
„Wenn die Bilder schon verblassen“
Von unserem Mitarbeiter Christian Ammon
 |  aktualisiert: 08.02.2013 12:02 Uhr

„Ich bin in Kopenhagen geboren, ich hatte sechs Geschwister, wunderbare Eltern und habe später Ingenieur gelernt.“ Knapp und sachlich war die Vorstellung von Salle Fischermann bei seinem Zeitzeugen-Vortrag „Wenn die Bilder schon verblassen“ für die Schüler des Deutschhaus-Gymnasiums. Es könnte nun eine glückliche Familiengeschichte folgen, doch ebenso ruhig ergänzt der heute über 80-Jährige, der im Konzentrationslagers Theresienstadt war: „Der Zweite Weltkrieg war eine Tragödie.“

Es ist gerade dieser authentische, völlig undramatische Ton, mit dem der dänische Jude über seine Erlebnisse im Konzentrationslager Theresienstadt erzählt, der die jungen Zuhörer fesselt. Sie spüren, dass sie 70 Jahre nach Kriegsende eine der wohl letzten Gelegenheiten haben, von einem Zeitzeugen Auskunft über die heute so fern wirkende Vergangenheit zu bekommen. Von den 141 000 Menschen, die nach Theresienstadt gebracht wurden, überlebten nur etwa 20 000.

„Solange ich lebe, erzähle ich, was ich erlebt habe.“

Salle Fischermann 80-jähriger Zeitzeuge

Als Fischermann noch zu Beginn der 1970er Jahre bei einer Konferenz gefragt wurde, ob der Holocaust wirklich so schlimm war, stand für ihn fest: „Solange ich lebe, erzähle ich, was ich erlebt habe.“ Seither hat er 600 Vorträge gehalten und acht Filme gedreht. Auch an diesem Tag nutzt er die Zeit in Würzburg für zwei weitere Vorträge: im Shalom Europa und an der Universität für eine Fachschaftsinitiative.

Nur Glück und dem Schutz der dänischen Regierung ist zu verdanken, dass Fischermann und große Teile seiner Familie den Holocaust überlebten. Zusammen mit seiner Mutter und vier Geschwistern war er von 1943 bis kurz vor Kriegsende als einer von 481 dänischen Juden im Konzentrationslager Theresienstadt interniert. Sie erhielten aus Dänemark regelmäßig Lebensmittelpakete, vor der Deportation in den Tod waren sie geschützt. „Für die Dänen waren wir in erster Linie Staatsbürger und dann erst Juden.“ Auch Fischermann verliert eine Schwester, einen Bruder und den Vater.

Dem damals gerade einmal 13 Jahre alten Jungen haben sich die Erlebnisse tief eingeprägt. Er weiß: „Theresienstadt war nicht Bergen-Belsen oder Auschwitz, Theresienstadt war ein Durchgangslager.“ Dennoch starb beinahe jeder dritte Häftling. In der nur für wenige Tausend Einwohner ausgelegten früheren Garnisonsstadt waren auf engstem Raum etwa 70 000 Häftlinge untergebracht. Die historischen Gebäude aus der Habsburger Kaiserzeit waren nur Fassade, es herrschte Hunger, Wanzen quälten die geschwächten Häftlinge, täglich waren Tode zu sehen, die ins Krematorium gebracht wurden, berichtet Fischermann.

Regelmäßig wurden Menschen in Viehwaggons aus dem Lager abtransportiert. „Die SS hat dem Bürgermeister eine Liste mit 2000 Namen gegeben. Für sie war es das Todesurteil.“ Insgesamt wurden 90 000 ins Vernichtungslager Auschwitz gebracht. Besonders ist Fischermann ein Transport in Erinnerung geblieben, bei dem 2000 Kinder deportiert wurden. Viele von ihnen hatten noch zuvor in einem Propagandafilm über das Lager mitgespielt, den der jüdisch-niederländische Regisseur Kurt Gerron im Juni 1944 drehen musste.

Für den Film, den die Insassen ironisch „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ nannten, wurde das Lager künstlich aufgehübscht: Rosen wurden gepflanzt, ein Krankenhaus, ja sogar ein Kaffeehaus und eine Bibliothek eingerichtet. Auch Fischermann wirkte mit: Er trug die Kabel und hielt die Beleuchtung. In einer Szene ist er selbst zu sehen: „Beim Hinausgehen traue ich mich nicht, in die Kamera zusehen, weil die ganze Situation so komisch war.“

Zu Gast in Margetshöchheim

Auch die Schüler der 9. Klasse der Mittelschule Margetshöchheim hatten die Gelegenheit, Salle Fischermann kennenzulernen. Im Gespräch mit ihnen erzählte Fischermann, dass ihm ein SS Mann mit dem Stiefel den Finger zertrümmert hat. Den lädierten Finger zeigte er den Schülern. Außerdem berichtete er von Strafaktionen gegen andere Häftlinge, die er miterleben musste. Er erzählte von den Betten, die voll mit Wanzen und Läusen waren und davon, was wirklicher Hunger ist. Trotzdem war er sich immer sicher, dass er aus dem KZ lebend wieder nach Hause kommen würde, sagte er.

Als er gefragt wurde, ob so etwas wieder passieren könnte, sagte er, dass das Böse unter der Haut der Menschen stecke. Es könne immer wieder hervorkommen. Doch obwohl er als Jugendlicher mit den Deutschen so schlechte Erfahrungen gemacht hat, hat er heute keinen Hass mehr in sich. Er sagte, mit Hass hätte er nicht weiterleben können. Er habe heute viele deutsche Freunde.

 
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