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Würzburg
Wenn die Angst vor Isolation größer ist als vor dem Virus
Gerade angesichts der Herausforderungen durch die Pandemie ist die Würzburger Bahnhofsmission dringend auf Unterstützung angewiesen (von links): Michael Lindner-Jung, Leiter der Bahnhofsmission, Johannes Hasler, Christa Rüger und Helmut Fries vom Vorstand des Fördervereins sowie Günther Purlein, Geschäftsführer der Christophorus-Gesellschaft.
Foto: Förderverein Bahnhofsmission | Gerade angesichts der Herausforderungen durch die Pandemie ist die Würzburger Bahnhofsmission dringend auf Unterstützung angewiesen (von links): Michael Lindner-Jung, Leiter der Bahnhofsmission, Johannes Hasler, ...
Bearbeitet von Franziska Schmitt
 |  aktualisiert: 12.11.2020 02:18 Uhr

Jeden Tag macht sich die Frau Richtung Innenstadt auf. Sie nimmt den Weg zum Bahnhof. Schaut, ob in der Bahnhofsmission ein Platz frei ist. Die Frau lebt in einer winzigen Wohnung unterm Dach. Nie hält sie es dort lange aus. Neulich sei sie in der Bahnhofsmission in Tränen ausgebrochen. "Die Vorstellung, dass auch sie womöglich irgendwann einmal in Quarantäne muss und so in ihrer kleinen Wohnung eingesperrt ist, jagte ihr schreckliche Angst ein", berichtet Michael Lindner-Jung, Leiter der Bahnhofsmission in einem Schreiben an die Presse.

Die Frau habe keine große Angst gehabt, dass sie von einer schweren Krankheit heimgesucht werden könnte. Die reine Corona-Diagnose "positiv" würde sie schon irgendwie wegstecken, doch der Gedanke an "Gefangenschaft" und Isolation sei für sie unerträglich, schildert Lindner-Jung bei der diesjährigen Spendenübergabe des Fördervereins Bahnhofsmission an die Einrichtung der Christophorus-Gesellschaft. 40 000 Euro waren wieder zusammengekommen. Das Geld werde dringend gebraucht, so die Pressemitteilung des Fördervereins weiter. Denn die Not wachse Corona bedingt drastisch – die seelische genauso wie die materielle.

Nachfrage nach Essen ist gewaltig gestiegen

Der statistische Jahresvergleich zeige das Ausmaß. Im vergangenen Jahr wurden im Durchschnitt 60 Mal pro Tag Lebensmittel ausgegeben. "Diese Zahl liegt aktuell bei über 100", sagt Lindner-Jung. Bei vielen Besuchern der Bahnhofsmission, die sich derzeit etwas zu essen abholen, handele es sich nicht um bekannte Gesichter. Auffällig sei, dass vermehrt Menschen mit Migrationshintergrund kommen. Aber auch Senioren bitten häufiger um etwas zu Essen. 

Weil die Nachfrage nach Essen so gewaltig gestiegen sei, bittet die Bahnhofsmission wegen sehr begrenzter Lagermöglichkeiten vor allem um Geldspenden für Lebensmittel. Denn oft fielen die einzelnen Portionen recht klein aus, wenn nicht genug vorhanden sei. "Geldspenden helfen uns, alles Nötige zu besorgen, sobald die Vorräte ausgehen", so Lindner-Jung. Dass es sich bei jenen, die in der Bahnhofsmission Essen holen, um wirklich Bedürftige handelt, erkennt das Team an den weiten Strecken, die zum Teil zurückgelegt werden: "Einige Menschen kommen aus 30 Kilometer Entfernung zu uns, um zwei Brote abzuholen." Das seien meist Personen mit Behinderung, die Bus und Bahn kostenlos nutzen dürfen.

Viele Besucher der Bahnhofsmission fühlen sich als Menschen zweiter Klasse. Ausgegrenzt. Abgehängt. Nicht wahrgenommen. Dieses Gefühl habe sich bei einigen Besuchern durch die Pandemie in bedenklicher Weise intensiviert, berichtet Lindner-Jung: "Menschen, die wir schon lange kennen, verhalten sich plötzlich völlig verändert." Eine obdachlose Frau zum Beispiel, die schon öfter in der Bahnhofsmission übernachtet hatte, geisterte kürzlich in der Nacht völlig desorientiert durch die Räume. Besucher wie sie, die wenige Ressourcen haben, werden durch die "Corona-Szenerie" völlig irritiert und seelisch massiv erschüttert.

Aktuell haben die Bedürftigen kaum jemanden zum Reden

Die Menschen sind froh um jeden anderen Menschen, der es gut mit ihnen meint. Doch aktuell haben sie kaum jemand zum Reden, weniger Kontakte denn je. "Auch in unserem Besucherraum können sich derzeit nur maximal drei Personen gleichzeitig aufhalten", so Lindner-Jung. Die Aufenthaltsdauer ist auf 30 Minuten beschränkt. Immer wieder müssen Gäste auch abgewiesen werden. "Jeden Tag haben wir über 120 Kontakte zu Hilfesuchenden", berichtet der Theologe.

Die Spende des Fördervereins sei laut Presseschreiben auch heuer wieder in erster Linie für den Nachtdienst gedacht. Laut Lindner-Jung vergeht kaum ein Tag, an dem nicht eine Frau wünscht, aufgenommen zu werden. Bis zu vier Frauen können die Nacht in den Räumen der Bahnhofsmission verbringen. Darunter auch Frauen nach erfahrener Gewalt. 

Beim Kampf gegen die Pandemie dürfe nicht vergessen werden, was die Eindämmungsmaßnahmen mit Menschen in prekären Lebenslagen machen, appelliert das Team der Bahnhofsmission in dem Schreiben abschließend. Viele Besucher der ökumenischen Einrichtung litten massiv unter Verlassenheitsgefühlen, betont Fries.

Wer spenden möchte, kann das unter der Bankverbindung Förderverein Bahnhofsmission Würzburg Liga Bank  DE97 7509 0300 0003 0102 28 tun.

 
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