Bereits bei Heine hieß es: „Der Schlaf ist doch die köstlichste Erfindung“. Doch für Menschen, die unter Schlafstörungen leiden, klingt das wie blanker Hohn. Denn nicht nur Müdigkeit und schlechte Laune sind Folgen von mangelndem Schlaf. Manchmal treten auch handfeste Erkrankungen auf, die lebensbedrohliche Folgen haben können. Betroffene finden neben medizinischer Hilfe in Selbsthilfegruppen unter Leidensgenossen Trost und Rat. Für sie findet an diesem Donnerstag der bayerische Selbsthilfekongress in Würzburg statt – zentrales Thema werden dabei Schlafstörungen sein.
Für Hans Gerhard Simon begann die Leidensgeschichte vor knapp 20 Jahren. Dabei merkte er zunächst nichts von seinem Problem. Sein Schnarchen bekam er ohnehin kaum mit. Doch dann kamen Atemaussetzer im Schlaf hinzu. Fast panisch schnappte sein Körper laut nach Luft. Bemerkt hat dies seine Frau, die dadurch selbst kaum schlafen konnte.
Schlafapnoe-Syndrom nennt sich Simons Krankheit. 78 Apnoen (Atemaussetzer) hatte er im Schlaf – pro Stunde. Seine Blutsauerstoffwerte waren im tiefroten Bereich. „Ich war kurz vor dem Koma“, erklärt der heute 78-jährige Würzburger. Die erste Empfehlung seines Arztes: abnehmen. Denn Übergewicht begünstigt das Syndrom, bei dem im Halsbereich die Muskulatur erschlafft und somit die Atemwege verschließt. „Obwohl ich über zehn Kilogramm abgenommen hatte, war mein Problem nicht gelöst“, schildert Simon seine Erfahrungen.
Die heiße Milch hilft nicht
Ein neuer Anlauf führte den Würzburger in ein Schlaflabor. Er erhielt ein Atemgerät, das ihn im Schlaf über eine Maske mit Luft versorgt. „Die Apnoen waren verschwunden, aber das Tragen der Maske war für mich unerträglich“, so Simon. Er probierte mehrere Masken, doch alle waren undicht und sorgten für entzündete Augen. Nach fünf Jahren gab er auf.
Den nächsten Versuch wagte er mit einer Schnarcherschiene. Diese verschiebt den Vorderkiefer nach vorne. Zwar hat dies das Schnarchen beseitigt, die Atemstillstände blieben jedoch unverändert. Zudem bekam Simon starke Schmerzen im Kiefer. Seit 2011 nutzt er eine Gaumenspange – ein noch relativ neues Instrument. Nach fast 15 Jahren hat er dadurch endlich wieder einen erholsamen Schlaf. Und auch seine Frau traut sich wieder in das gemeinsame Schlafzimmer. Acht Atemaussetzer pro Stunde muss er dennoch bis heute ertragen.
Dr. Bernhard Roth, HNO-Arzt und Schlafmediziner aus Würzburg, ist einer der Hauptredner beim Selbsthilfekongress. Er kennt die Gefahren von Patienten mit Schlafapnoe. Das Syndrom kann schwerwiegende Folgeerkrankungen begünstigen: Schlaganfälle, Herzinfarkt, Bluthochdruck, Herz-Rhythmus-Störungen und Potenzprobleme sind dabei nur einige Beispiele. Schätzungen zufolge leiden etwa zehn Prozent der Deutschen an Schlafapnoe. Treffen kann es im Grunde jeden, Übergewicht kann das Risiko erhöhen. Die Dunkelziffer ist hoch, da viele Betroffene gar nicht merken, dass sie an der Krankheit leiden.
Doch Atemstörungen sind nicht die einzigen Formen von Schlafproblemen. Auch Bewegungsstörungen kommen relativ häufig vor, wobei bei den Geplagten die Beine im Schlaf zappeln. „Ähnlich wie bei Schlafapnoen bemerkt der Patient oft gar nicht, dass er darunter leidet“, so Roth. Folgen sind hier ein „zerhackter Schlaf“, der für starke Müdigkeit am Tag sorgen kann. Auch hier wird mit einer Zahl zwischen fünf bis zehn Prozent an Betroffenen gerechnet.
Am häufigsten leiden Menschen an Ein- und Durchschlafstörungen. Schlafstörungen, wie sie jeder kennen dürfte, so der Mediziner: „Praktisch Jedermann ist im Laufe seines Lebens von solchen Schlafstörungen betroffen“. Kurzzeitige Schlafstörungen durch seelische Belastungen seien auch völlig normal. Zum Beispiel bei Liebeskummer, familiären Problemen oder Arbeitsstress. Dabei kann es jeden treffen; ob jung oder alt, sensibel oder robust. Wenn der Zustand aber chronisch wird, muss gehandelt werden.
Die Behandlungsformen sind sehr individuell. „Mit Medikamenten muss man aber vorsichtig sein“, erklärt Roth. Diese könnten zwar beim Einschlafen helfen, jedoch beeinträchtigen sie einen erholsamen und natürlichen Schlaf. Oft führen sie auch zu Müdigkeit und Unwohlsein. Zudem besteht stets die Gefahr einer Gewöhnungssucht. „Die Einnahme muss daher immer intensiv ärztlich begleitet werden“, so der Schlafexperte.
„Bei allgemeinen Ein- und Durchschlafstörungen ist es wichtig abends zur Ruhe zu kommen“, erklärt Roth. Ein Fernseher im Schlafzimmer sollte ebenso vermieden werden wie abendliche Aufgaben vor dem PC. Auch auf schweres Essen und Alkohol sollte am Abend verzichtet werden.
„Praktisch Jedermann ist im Laufe seines Lebens von
Schlafstörungen betroffen“
Die traditionelle heiße Milch sei auch nicht förderlich – im Gegenteil, sie wirke eher antreibend. Der Mediziner empfiehlt heißen Tee. Zudem sollte das Schlafzimmer gut gelüftet und nicht zu warm sein. Abendliche Rituale, wie Tagebuch schreiben oder ein Buch lesen, seien ebenfalls förderlich.
Zudem sollte man nachts niemals auf die Uhr schauen: „Das baut lediglich noch mehr Druck auf und erschwert das Einschlafen“, so der Mediziner. Weitere Hilfe finden Menschen mit Schlafstörungen bei Selbsthilfegruppen. Für viele sei es beruhigend sich mit Leidensgenossen zu treffen. Das bestätigt auch Theresa Keidel, Geschäftsführerin der bayerischen Selbsthilfekoordination (SeKo): „Das Wichtigste ist für viele der Informations- und Erfahrungsaustausch.“
Dabei bekomme man neue Erfahrungen aus erster Hand und könne für sich selbst neue Wege finden. Das Prinzip sei daher „Betroffene helfen Betroffenen“, so Keidel weiter,
In Unterfranken gibt es insgesamt etwa 20 Selbsthilfegruppen, die sich mit dem Thema Schlaf beschäftigen. Dabei kann jeder Betroffene vorbeikommen. Kosten und Mitgliedschaften gibt es nicht. Wie die Gruppe arbeitet, entscheidet jede Gruppe individuell für sich. Oft wird im Stuhlkreis geredet, es werden Tipps ausgetauscht und Trost gespendet. Manche Gruppen planen Vorträge in lockerer Atmosphäre oder gemeinsame Aktivitäten.
Dass das Angebot gut aufgenommen wird, zeig der kommende Kongress der Selbsthilfekoordination Bayern. Dieser tagt am 30. Oktober bereits zum zweiten Mal in Würzburg. „Der Kongress war binnen weniger Wochen ausgebucht“, erklärt Keidel sichtlich begeistert. Mehrere Workshops zur Selbsthilfe – beispielsweise zu Bewegung, Inklusion oder auch Flüchtlingen – stehen dabei auf der Tagesordnung. Und: Das Thema „Gesunder Schlaf“ wird in diesem Jahr Kernpunkt der Tagung sein.
Die Selbsthilfekoordination Bayern mit Sitz in Würzburg
Im April 2002 begann die Selbsthilfekoordination Bayern (SeKo) ihre Arbeit. Ihren Sitz hat die Landesvereinigung in Würzburg. Sie wurde eingerichtet zur landesweiten Vernetzung und Unterstützung der Selbsthilfe im Sozial- und Gesundheitsbereich. Selbsterklärtes Ziel ist die Hilfestellung und Stärkung der etwa 11 000 Selbsthilfegruppen und 500 000 Gruppenmitglieder in ganz Bayern. Knapp 600 verschiedene Themen deckt die SeKo ab. Diese reichen von Adipositas bis zu Zwangsstörungen. In Würzburg veranstaltet die SeKo am 30. Oktober ihren zehnten Selbsthilfekongress. Hier sollen Fachleute und Engagierte Erfahrungen austauschen und sich vernetzen. Neben Workshops zu Themen der Selbsthilfe, steht meist ein Bereich im Fokus der Kongresse. Zentrales Thema 2015 ist „Gesunder Schlaf“. Text: krl