
Das Gerät ist mannshoch, rund – und wer einen Herzschrittmacher trägt, eine Kreditkarte in der Tasche oder eine teure Uhr am Handgelenk hat, sollte ihm nicht zu nahe kommen. Ein gewaltiges, stabiles Magnetfeld hat das Gerät aufgebaut. Seit 1991 leistet es den Mitarbeitern im Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) in Würzburg gute Dienste. „Wie ein Kernspintomograf für Proben“, sagt Dr. Steffen Seifert. Aus der medizinischen Diagnostik ist Magnetresonanztomografie heute nicht mehr wegzudenken. Am LGL aber geht es um Biermischgetränke und Wein.
Wein ist eine komplexe Flüssigkeit - und die Analyse kompliziert
Auf dem Flur des Amts steht irgendwo eine Holzkiste mit leeren Bocksbeuteln, im Labor mit dem Großgerät riecht es nach Federweißem, eine Mitarbeiterin füllt Most um in Glaskolben. Mit der Kernspinresonanzspektroskopie werden im starken Magnetfeld die elektronische Umgebung einzelner Atome und die Wechselwirkungen mit den Nachbaratomen erfasst. Die Wissenschaftler können daran die Struktur und der Dynamik von Molekülen ablesen und Konzentrationen bestimmen. Eine komplizierte Sache. Aber Lebensmittelchemiker Dr. Steffen Seifert und seine Kollegen gehen hier einer so simplen wie schwierigen Frage nach: Aus welcher Region kommt ein Wein?
Kontrollen im Weinberg, Stichproben vom Zoll
Was die Lebensmittelchemiker vom LGL eigentlich wissen wollen: Ist Regionalität nachweisbar? Die Würzburger Dienststelle ist traditionell für die Analytik von Wein und anderen Getränken zuständig. Die Kontrolleure des LGL sind in den Weinbergen unterwegs, überprüfen bei den Winzern die Hygiene, schauen ob in den Weingütern die Buchführung stimmt. Und sie bringen Proben ins Labor an der Friedensbrücke: Von fränkischen Winzern, aber auch aus anderen EU- und Nicht-EU-Staaten. Was im Supermarktregal steht und im Ausschank ist, wird hier stichprobenartig kontrolliert. Auch der Zoll schickt immer wieder Weine aus Südafrika, Chile, Australien, Kalifornien vorbei. Und aus Bayern werden alle Prädikatsweine hier überprüft. Anderswo übernehmen das freie Labors – im Freistaat gibt es für die Analyse die staatliche Behörde. Alkoholgehalt, Dichte, Weinsäure, schweflige Säure, Zuckergehalt – alle relevanten Parameter des Traubensaftes werden erfasst und dokumentiert. „Wir machen den Fingerabdruck für jeden Wein“, sagt Lebensmittelchemiker Dr. Helmut Wachter.
Die Täuschungsmöglichkeiten sind groß
Wein ist ein komplexes Lebensmittel – mit eigenen Regelungen, eigenem Recht. Die Verschnitt- und Täuschungsmöglichkeiten sind groß – der Nachweis aber ist schwierig. Für die meisten Lebensmittel gibt es kaum Vorgaben, was die Angaben zur Herkunft betrifft. Bei Wein aber ist genau geregelt, was auf dem Etikett stehen muss und darf: geschützte Ursprungsbezeichnung, Anbaugebiet, Lage, Gemeinde – die Angaben zur geografischen Herkunft der Trauben sind genau vorgegeben.
Die übliche Methode ist aufwändig und teuer: Isotopenanalyse
Und das brachte Steffen Seifert zu eben dieser Frage: Ist Regionalität nachweisbar? Kann man Lagen unterscheiden? Ist denn herauszufinden, ob ein Wein mit der engen geografischen Herkunft Escherndorfer Lump tatsächlich vom Weinberg am Escherndorfer Lump stammt? Bislang blieben den Lebensmittelkontrolleuren da nur die Stichproben vor Ort und der Blick auf die Dokumente. Oder die Isotopenanalyse. Die Weinrebe braucht Wasser und Kohlenstoffdioxid. Bei beiden Nährstoffen können sich die Isotopenzusammensetzungen unterscheiden. Das heißt: Es gibt Wasser- und CO2-Moleküle, die in den Atomkernen zwar immer gleich viele Protonen haben, doch unterschiedlich viele Neutronen.
Je nach geografischer Lage und besonders dem Klima in einer Region unterscheidet sich die Isotopenzusammensetzung. Die am Thüngersheimer Johannisberg ist anders als in Randersacker in der Lage Ewig Leben oder am Würzburger Stein.
Weil sich das Klima von Jahr zu Jahr ändert, nehmen die Würzburger Getränkeüberwacher – so schreibt es europäisches Gesetz vor – von jedem Jahrgang in einer Region authentische Traubenproben von Silvaner, Riesling, Müller-Thurgau – und keltern daraus Wein. Der Isotopen-Mix von Weinwasser und Weinalkohol wird für das jeweilige Gebiet erfasst – und in einer Datenbank der EU hinterlegt. Wenn die Kontrolleure also wissen wollen, ob ein Chianti ein Chianti ist – untersuchen sie die Isotopenzusammensetzung und vergleichen mit der Datenbank. „Relativ teuer und aufwendig“, sagt Helmut Wachter.
Für die neue Methode braucht es nur einen Milliliter Wein
Für das neue Verfahren, das er und seine Kollegen jetzt gerade getestet haben, braucht es nur einen Milliliter Wein – der Rest ist Mathematik. Und das mannshohe Magnetresonanzspektroskop. Es erfasst nahezu alle Wasserstoffatome der Probe gleichzeitig und wertet sie aus. Die störenden Signale der beiden Hauptinhaltsstoffe Wasser und Alkohol werden ausgeblendet – es geht um die Signale aller anderen Stoffe im Wein. Magnetresonanzspektroskopie wurde lange Zeit nur bei festen, reinen Substanzen genutzt, vor allem in der Pharmazie. Erst seit ein paar Jahren können damit auch komplexe flüssige Mischungen wie Urin oder Saft untersucht werden.
Für die Überwacher von Lebensmittelqualität, Lebensmittelsicherheit und Authentizität bietet die Profiling-Methode ein enormes Potenzial. Die Würzburger Kontrolleure haben mit ihrem Spektroskop (das in der Lebensmittelüberwachung bundesweit außer dem Landesamt in Bayern sonst nur noch Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben) auch schon Tomaten untersucht – und ökologisch angebaute von konventionellen Tomaten unterschieden. Jetzt haben sie die Methode erstmals zur Weinanalyse genutzt.
Bis auf die Lage und den Weinberg genau
„Ein einfaches und schnelles Verfahren“, sagt Steffen Seifert. Für ihre erste Studie nahmen die Forscher vom LGL 135 Weißweine aus den vergangenen drei Jahrgängen aus Randersacker, Thüngersheim, vom „Escherndorfer Lump“ und vom Iphöfer Julius-Echter-Berg. Alles Silvaner, alle vier Lagen kaum 30 Kilometer voneinander entfernt.
Das Ergebnis des Trauben-Profilings? Mit den Daten der Weine konnten die Forscher statistische Modelle erstellen, mit denen sich die vier Herkünfte deutlich unterscheiden lassen – „unabhängig vom Einfluss des Weinbaubetriebs und des Jahrgangs“, sagt LGL-Mitarbeiterin Olga Krenz. Silvaner vom Würzburger Stein hatten sie und ihre Kollegen bewusst nicht in die Studie genommen: „Hätten wir gerne, aber da gibt es nur vier Winzer, das ist zu wenig.“
Was nötig ist: eine umfangreiche Datenbank mit Referenz-Weinen
Denn das wichtigste der statistischen Methode: eine gute, möglichst umfangreiche Datenbank mit den Profilen von Referenzweinen aller Lagen, aller Trauben, aller Jahrgänge. „Wir sind noch in der Entwicklungsphase“, sagt Seifert, „wir können Wein noch nicht im großen Stil damit untersuchen, aber da wollen wir hin.“ Er ist sicher, dass irgendwann in naher Zukunft alle konkreten Angaben auf einem Etikett – Herkunft, Rebsorte, Jahrgang – und auch die Art des Ausbaus der Traube – bio, im Barrique, vegan – mit der neuen Technik überprüft werden können.
Seifert hatte es zwar gehofft, war dann über die Ergebnisse der ersten Silvaner-Studie doch überrascht: „Eine bisher nie dagewesene regionale Auflösung“ sagt er zu den statistischen Modellen. Ob Scheurebe oder Kerner, ob Jahrgang 2010 oder 2011, ob Thüngersheimer Johannisberg oder der benachbarte Scharlachberg – das mannshohe Gerät mit dem starken Magnetfeld findet es heraus. Allerdings, das versichert Seifert auch, allein mit Mathematik wird?s bei der Lebensmittelkontrolle nicht gehen: „Wir brauchen immer noch einen, der was vom Wein versteht.“
Lebensmittelchemikertag

