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Glosse "Unterm Strich": Was gibt's denn da zu lachen?
Unsere Glosse „Unterm Strich“ erklärt mithilfe von Scherz, Satire und Ironie die Welt. Jetzt wird sie 20 Jahre alt. Ein Blick hinter die Kulissen der Glossenproduktion.
Worüber lachen Menschen? Und wie funktioniert Humor? In unserer Titelseitenglosse 'Unterm Strich' verfolgen wir dabei unterschiedliche Perspektiven.
Foto: Getty Images | Worüber lachen Menschen? Und wie funktioniert Humor? In unserer Titelseitenglosse "Unterm Strich" verfolgen wir dabei unterschiedliche Perspektiven.
Herbert Scheuring
Herbert Scheuring
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:17 Uhr

Was machen Sie da eigentlich? Das fragen sich viele Leserinnen und Leser dieser Zeitung oft zu recht. Ich will versuchen, diese Frage im Hinblick auf unsere Titelseiten-Glosse „Unterm Strich“ zu beantworten. Angefangen hat alles vor 20 Jahren. Am 14. Mai 2001 erschien das erste „Unterm Strich“. Peter M. Mack, der damalige Chef der Politikredaktion, schrieb zur Einführung, die Glosse wolle, als Ergänzung zu den „harten Nachrichten“, Unterhaltung bieten: „Schließlich gehören zum Leben und zum Lesen nicht nur Katastrophen, Bundestagsdebatten und Partei-Querelen, sondern auch Spaß.“ Zu Beginn gab es Bedenken, ob Leser ironische und satirische Texte auf der Titelseite, die bislang den wichtigsten Nachrichten vorbehalten war, akzeptieren. Diese Frage konnte schnell mit einem klaren Ja beantwortet werden. Rund 6000 Glossen sind bis heute erschienen.

Das Autorenkarussell hat sich seitdem mächtig gedreht: Einige sind ausgestiegen, andere sind dazugekommen. Heute ist es ein harter Kern von sechs bis acht Autorinnen und Autoren, die Beiträge für „Unterm Strich“ verfassen. Sie machen sonst nichts anderes und können sich ganz auf diese Aufgabe konzentrieren. Das war jetzt ein Scherz. Die meisten von uns arbeiten als Reporter, ich selbst als Redakteur für überregionale Nachrichten. Die Texte schreiben wir zwischen und neben dem normalen Tagewerk.

Reichlich Stoff für Gelächter

Was will die Glosse? Anders als der Kommentar, mit dem sie oft in einen Topf geworfen wird, will sie unterhalten. Ihr Blick auf die Welt ist ein ganz anderer als der eines ernsthaften Meinungsartikels. Während ein Kommentar an die Vernunft appelliert und glaubt, die Welt zum Besseren hin verändern zu können, geht die Glosse vom Gegenteil aus: Sie betrachtet die Welt als Tollhaus, in dem Narren das Sagen haben. Eine Therapie ist zwecklos, aber der etwas andere Blick auf diese Welt bietet immerhin reichlich Stoff für Gelächter.

"Ein Witz ist, als bastele man eine Mausefalle aus dem Nichts. Man muss ziemlich schwer arbeiten, damit das Ding zuschnappt."
Kurt Vonnegut, Schriftsteller

Was bedeutet Glosse überhaupt? Das Wort „glossa“ stammt aus dem Altgriechischen und lässt sich mit „Zunge“ oder „Sprache“ übersetzen. In mittelalterlichen Handschriften wurden Erläuterungen oder Kommentare zu einem Text als Glossen bezeichnet. Heute versteht man unter einer Glosse eine spöttische Randbemerkung, einen kleinen, humorvollen Text, der durch Ironie, Wortspiele und gewagte gedankliche Verknüpfungen auf aktuelle Ereignisse reagiert oder Absurditäten des Alltags aufs Korn nimmt.

Der kurze Text – im Fall von „Unterm Strich“ sind es exakt 46 Zeilen – will zum Nachdenken anregen, zum Lachen bringen und – halten wir den Ball flach – oft auch einfach nur unterhalten. Humoristische Texte lesen sich leicht. Es ist jedoch ein Irrtum zu glauben, sie schrieben sich auch leicht. Wenn etwas komisch werden soll, muss man ernsthaft an die Sache herangehen. Der US-Schriftsteller Kurt Vonnegut (1922-2007) hat es so formuliert: „Ein Witz ist, als bastele man eine Mausefalle aus dem Nichts. Man muss ziemlich schwer arbeiten, damit das Ding zuschnappt.“

Jedes Lachen ist eine kleine Erleuchtung

Die Glosse gilt als schwierigste journalistische Darstellungsform, denn sie muss auf sehr begrenztem Raum das Kunststück fertigbringen, Leser zu unterhalten oder ihnen nach dem Motto „Jedes Lachen ist eine kleine Erleuchtung“ einen Erkenntnisgewinn zu bescheren. Im Idealfall leistet sie beides. Der grundlegende Unterschied zwischen Kommentar und Glosse: Ein Kommentar folgt inhaltlich den Gesetzen der Logik, eine Glosse lebt von spielerischer Assoziation und Fantasie. Sie bringt Unordnung in die Ordnung des Denkens. Der Kommentar argumentiert ernsthaft, die Glosse auf unernste, ironische Weise. Sie lässt Situationen ins Absurde umkippen oder baut aus Sprachschutt etwas Neues zusammen. Daher ist es auch schwieriger, eine Glosse zu schreiben als einen Kommentar. Denn für einen Kommentar braucht man nur eine Meinung. Für eine Glosse braucht man eine Idee.

Peter Ustinov: 'Humor ist einfach eine komische Art, ernst zu sein.' 
Foto: Wolfgang Thieme, dpa | Peter Ustinov: "Humor ist einfach eine komische Art, ernst zu sein." 

Eine Glosse kann etwas scharf kritisieren, sie bringt diese Kritik aber nicht direkt, sondern auf Umwegen zum Ausdruck – mit den Mitteln der Ironie, Satire, Überspitzung und Übertreibung. Die Glosse kann eine ernsthafte Botschaft haben, verbreitet sie aber auf komische Weise. Ganz nach der Devise des Schriftstellers und Schauspielers Peter Ustinov (1921-2004), der einmal gesagt hat: „Humor ist einfach eine komische Art, ernst zu sein.“

Es gibt aber auch Glossen, die keine Meinung verbreiten wollen, nicht einmal über Umwege. Sie betrachten die Welt nur als Material für die Erzeugung von Komik. Solche Texte wollen einfach nur spielen, mit Worten oder Inhalten. Sie konstruieren scheinbar logische Zusammenhänge, die nicht existieren, zerlegen die Wirklichkeit und montieren sie neu zusammen. Sie stellen Dinge in einen Kontext, der nicht zu ihnen passt und erzielen durch diese Reibung eine komische Wirkung. Zumindest dann, wenn die Sache gut gemacht ist und die aus dem Nichts gebaute Mausefalle am Ende zuschnappt.

Worüber lachen Menschen? Wann ist etwas komisch? Wie funktioniert Humor überhaupt? Darüber haben sich viele kluge Menschen Gedanken gemacht. Der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) hat es so formuliert: „Es muss in allem, was ein Lachen erregen soll, etwas Widersinniges sein, woran der Verstand an sich kein Wohlgefallen finden kann.“ In seiner Studie „Das Lachen“ schreibt der Philosoph Henri Bergson (1859-1941): „Wir lachen über diejenigen Gedankengänge, die wir im wachen Zustand ohne weiteres für falsch erklären.“

Loriot: 'Komik entsteht aus absichtlichem und unabsichtlichem Missverstehen, aus all diesen Verknotungen und Schwierigkeiten.'
Foto: Stephanie Pilick, dpa | Loriot: "Komik entsteht aus absichtlichem und unabsichtlichem Missverstehen, aus all diesen Verknotungen und Schwierigkeiten."

Loriot (1923-2011), einer der beliebtesten Humoristen unserer Zeit, sagte, Komik entstehe „aus absichtlichem und unabsichtlichem Missverstehen, aus all diesen Verknotungen und Schwierigkeiten“, und: „Zur Komik gehört eine gewisse Fallhöhe. Wenn jemand eine Sache ernst anlegt und sie misslingt, dann entsteht Komik.“ Etwa, wenn ein Würdenträger mit feierlicher Miene über einen roten Teppich schreitet und dabei ausrutscht – „dann lachen wir. Wir können gar nicht anders“, so Loriot.

Geistesblitze und Gedankensprünge

Um Menschen zum Lachen zu bringen, ist es nötig, Dinge zusammenzubringen, die nicht zusammengehören, gegen die Vernunft zu argumentieren oder Missverständnisse in der zwischenmenschlichen Kommunikation auf die Spitze zu treiben. Zum Beispiel. Und noch vieles mehr. Der Humorist Robert Gernhardt (1937-2006) hat es auf den Punkt gebracht: „Du lockst die Leute in ein scheinbar stabiles Sinngebäude und lässt sie dann voll gegen die Wand krachen.“ Eine gewisse Routine ist dabei hilfreich, aber sie allein reicht nicht. Mindestens zwei weitere Dinge sind nötig, für die es – wie übrigens für vieles andere auch – sehr schöne deutsche Wörter gibt: Geistesblitze und Gedankensprünge.

Eine Glosse pflegt meist den Ton des „uneigentlichen Sprechens“, der Ironie, das heißt: Das, was geschrieben steht, ist meist nicht so gemeint. Einige Glossen argumentieren bewusst gegen die Logik, in anderen werden Dinge absichtlich missverstanden, um eine komische Wirkung zu erzielen. Manche behaupten, eine Glosse müsse gezielt auf eine Pointe am Schluss hin zusteuern: Der Autor weiß also, wo er landen will, das Ziel ist bekannt. Diese Methode kann sehr wirkungsvoll sein. Ich bevorzuge meist eine andere. Ich finde es interessanter, wenn die Ideen beim Schreiben kommen und ich mich gedanklich auf einem Weg befinde, von dem ich noch nicht weiß, wohin er mich letztlich führen wird.

Überraschende Wendung am Schluss

Überraschung ist ein Schlüsselwort im Bereich des Komischen: Denn wenn nur Erwartungen erfüllt werden, nur das Erwartbare passiert, dann gibt es meist nichts zu lachen. Erst wenn eine überraschende Wendung oder Auflösung präsentiert wird, wird es komisch. Nicht nur inhaltlich, auch sprachlich wirkt Überraschendes komisch – etwa, wenn Sprachebenen vermischt werden, die nicht zusammenpassen. Auch der Tonfall von Glossen kann unterschiedlich sein, und das ist er „Unterm Strich“ aufgrund des persönlichen Stils der einzelnen Autoren auch: mal frech und locker, mal verschraubt und verrätselnd, mal ziemlich direkt zur Sache kommend. Denn was immer gleich klingt, birgt die Gefahr der Langeweile.

So funktioniert das also. Und wie kommt das alles bei den Lesern an? Wie wir aus vielen Zuschriften wissen, ganz gut. Als „Unterm Strich“ 2016 im Zuge einer Neugestaltung der Zeitung plötzlich verschwand, reagierten viele Leser verärgert und und forderten die tägliche Glosse zurück – weil diese für sie ein wichtiger Teil der Zeitung ist, auf den sie nicht verzichten wollten. „Die Glosse war für mich täglich das Erste, was ich las“, schrieb eine Leserin. Die Proteste waren so zahlreich, dass „Unterm Strich“ wenig später wieder eingeführt wurde. Entsprechend freudig waren die Reaktionen. Eine Leserin schrieb uns: „Halleluja, die Glosse lebt!“

Glossen erregen zuweilen Unmut

Natürlich gibt es immer mal wieder auch kritische Stimmen, zum Beispiel diese: „Welche Leserschaft wollen Sie mit diesem Schwachsinn erreichen?“ Glossen erregen zuweilen Unmut – zum Teil aus nachvollziehbaren Gründen, weil die vorgetragene Kritik an einer Person, Partei oder Geisteshaltung richtig verstanden wurde und Widerspruch auslöst. Oft werden Glossen aber aus einem anderen Grund kritisiert: weil sie eben nicht verstanden, sondern missverstanden werden; weil die nicht ernsthaften Texte mit einem ernsthaften Kommentar verwechselt werden; weil Übertreibungen, Zuspitzungen und Ironie, das Argumentieren wider die Vernunft – also all das, was Glossen auszeichnet – für bare Münze genommen werden.

"Die Wirkung des Komischen wird durch Reflexion und Verständnis vermittelt, durch die Arbeit des Verstandes."
Agnes Heller, Soziologin

Eine Kollegin schrieb in einer Glosse einmal ironisch, dass Telefonieren das wichtigste aller menschlichen Grundbedürfnisse sei, worauf in einem Leserbrief stand: „Das zeigt, dass diese Schreiberin nicht normal ist.“ Da hatte der Leser nichts zu lachen – und zwar auf eine Art und Weise, dass es schon fast wieder komisch wurde. Die Soziologin Agnes Heller schreibt in ihrer Untersuchung „Was ist komisch?“, die Wirkung des Komischen erfolge oft nur indirekt: „Sie wird durch Reflexion und Verständnis vermittelt, durch die Arbeit des Verstandes.“ Es bedarf also einer gewissen Form der geistigen Mitarbeit. Ich lasse das jetzt einfach mal so im Raum stehen.

Worüber darf man lachen?

Worüber darf man lachen? Manche behaupten, über dies oder jenes dürfe man keine Witze machen. Ich bin nicht der Meinung, dass Satire alles darf. Aber sie darf sehr vieles – mehr als die selbst ernannte Humorpolizei erlaubt. Humor muss oft an Grenzen gehen. Wenn er das nicht tut und alle möglichen Einwände von Bedenkenträgern berücksichtigt, dann wird es, das verspreche ich Ihnen, nicht sehr komisch werden. Lachen hat eine befreiende Wirkung und ist gesund. Doch der Wirkstoff, der Lachen auslöst, funktioniert nicht bei allen in gleichem Maße. Worüber manche lachen, lässt andere ratlos zurück. Verschiedene Menschen lachen eben über unterschiedliche Dinge. Doch Humor verschafft in jedem Fall Erleichterung. Er hilft dabei, das oft unerfreuliche Leben besser auszuhalten. Das Leben ist nicht leicht. Für Humorlose ist es noch schwerer. Sie sind nicht zu beneiden.

Die Komik ist ein weites Feld. Es erstreckt sich von Filmkomödien und Fernsehserien, Comedy und Kabarett, Cartoons und Karikaturen, Internetvideos und Nachrichtensatire über Theaterstücke, Lyrik und Romane bis hin zu Glossen in der Zeitung. Wir versuchen durch „Unterm Strich“ und „Scheurings Wort zum Samstag“ einen schmalen Streifen dieses weiten Feldes zu beackern, und hoffen, dass er Früchte trägt.

 
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Kommentare
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  • jutta.noether@web.de
    "Humor ist der Knopf, der verhindert, dass einem der Kragen platzt"

    Ich liebe Glossen.
    Auch wenn hinterher dann oft Kommentare kommen, die beweisen, dass sie jemand nicht verstanden hat.
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