Einsam ist, wer sich einsam fühlt. Diese schlichte, dennoch tiefgreifende Definition von Einsamkeit verdeutlicht ihre subjektive Natur. Denn einsam zu sein, geht nicht zwangsläufig mit dem physischen Zustand des Alleinseins einher. Das hebt auch der Professor, Arzt und FDP-Bundestagsabgeordnete Andrew Ullmann aus Würzburg hervor: "Es ist ein subjektives Empfinden und darf nicht mit dem Alleinsein gleichgesetzt werden, das ein objektiver Zustand ist."
Ob sich jemand einsam fühlt, hängt demnach nicht von der Anzahl der sozialen Kontakte ab, die eine Person pflegt. Vielmehr entscheide darüber die Art und Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen. Laut Ullmann kann Einsamkeit jeden treffen, unabhängig vom Alter und den Lebensumständen. Sich nur gelegentlich einsam zu fühlen, mache jedoch noch keine Einsamkeit aus.
Das Problem bei der Einsamkeit ist das Vereinsamen
Das sagt auch Alex K., ein junger Philosophie-Absolvent aus Würzburg, der anonym bleiben möchte. Für ihn sei Einsamkeit mehr als nur ein vorübergehendes Gefühl. Das eigentliche Problem sei das Vereinsamen: "Man kann das Einsamsein mit dem Hungern vergleichen. Jeder Mensch verspürt manchmal Hunger. Die wenigsten aber kennen das Gefühl, fast zu verhungern. Einsam zu sein, ist wie emotional zu verhungern."
In der Jugend sei ihm zum ersten Mal schmerzlich bewusst geworden, dass niemand in seinem Leben existierte, dem er wirklich wichtig war. Es fehlten tiefgreifende soziale Beziehungen oder Personen, mit denen er regelmäßig Zeit verbrachte. Mehr als zehn Jahre habe sich der 28-Jährige einsam gefühlt. Zwar habe er oberflächliche Bekanntschaften gepflegt, doch keine, die das Bedürfnis nach engem sozialen Kontakt stillen konnte. Erst kürzlich änderte sich dieser Zustand für ihn als er seine erste Freundin kennenlernte.
"Das meiner Meinung nach größte Problem an der Einsamkeit ist", sagt K., "dass man nicht allein aus ihr herauskommen kann. Man ist angewiesen auf andere." Zwar könne man in die Öffentlichkeit gehen, doch dies garantiere noch keine guten sozialen Beziehungen. Um aus der Einsamkeit herauszufinden, sei es daher essentiell, jemanden zu finden – ob einen guten Freund, Liebespartner oder Gefährten. Dafür sei es wichtig, Situationen aufzusuchen, in denen man die Chance hat, jemanden näher kennenzulernen: "Auch wenn man oft scheitert, die Alternative ist deutlich schlimmer."
Einsamkeit kann mit Depressionen, Panikattacken und Suizidgedanken einhergehen
Joachim Schroeter, stellvertretende Leiter der Telefonseelsorge in Würzburg, weiß um die negativen Auswirkungen von Einsamkeit auf die psychische Gesundheit. Betroffene sehen sich mit Depressionen, sozialen Ängsten, Panikattacken und sogar suizidalen Gedanken konfrontiert. Besonders einsam empfinden sich Menschen Schroeter zufolge in der Jugendzeit und im Alter, weil "in beiden Lebensphasen Identitätskrisen und soziale Veränderungen eine große Rolle spielen".
Dass auch viele junge Erwachsene unter Einsamkeit leiden, offenbarte schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie eine repräsentative deutschlandweite Befragung von Privathaushalten: 14,5 Prozent der unter 30-Jährigen gaben an, sich zumindest gelegentlich einsam zu fühlen. Bei den über 85-Jährigen lag der Anteil bei 20 Prozent. Es handelt sich demnach um ein weitverbreitetes und, wie Schroeter findet, ein politisch unterschätztes Problem.
Einsame Menschen beteiligen sich seltener an Wahlen
Um die politische Dimension von Einsamkeit wusste auch schon die deutsche Philosophin Hannah Arendt (1906-1975): "Einsame Individuen", schrieb die Denkerin, "sind anfällig für antidemokratische Einstellungen." Das legen auch Studien nahe: Einsame Menschen haben weniger Vertrauen in ihre Mitmenschen und beteiligen sich deutlich seltener an Wahlen als nicht-einsame Bürgerinnen und Bürger.
Auch Ullmann weist auf die politische Bedeutung der Einsamkeit hin: "Es ist unsere Aufgabe als Politiker, die Bedingungen zu schaffen, unter denen Bürgerinnen und Bürger ein erfülltes und gesundes Leben in Eigenverantwortung führen können." Dazu gehöre es, die soziale Isolation und Ausgrenzung von Menschen zu bekämpfen.
Es gebe Ansätze, um der Zunahme an einsamen Menschen entgegenzuwirken. Etwa über Aufklärung und das Sichtbarmachen des Problems sowie die Förderung von Interaktionsräumen. Wichtig sei außerdem der Abbau von bürokratischen Hürden, die das freiwillige Engagement erschweren sowie eine stärkere Anerkennung von ehrenamtlichen Tätigkeiten.
Dass das Thema zunehmend eine gesellschaftliche Relevanz gewinnt, sagt auch Schroeter. In den letzten Jahren verzeichneten er und sein Team einen deutlichen Anstieg der Anrufe von Betroffenen.
Im Jahr 2019 wurden 2528 Gespräche geführt, während es 2022 bereits 3457 waren. Im Durchschnitt bearbeiten die Seelsorgerinnen und Seelsorger neun Anrufe pro Tag von Personen, die sich aufgrund von Einsamkeit an die Telefonseelsorge wenden. Dabei wenden sich Menschen aus Würzburg, Erlangen, Nürnberg, Aschaffenburg und sogar aus Weiden und Bayreuth bei den Seelsorgern.
Neben der Telefonseelsorge ist der Gesprächsladen in Würzburg eine Anlaufstelle für Betroffene. Theologin Gudrun Heid begleitet seit vielen Jahren Menschen, die in ihrer Not den Gesprächsladen aufsuchen. Etwa jeder Dritte komme dabei aufgrund von akuter oder chronischer Einsamkeit, erzählt Heid.
Viele stünden vor existentiellen Krisen, hätten schwere Krankheiten oder schlicht keine lebenden Verwandten mehr: "Nicht nur der Verlust der Selbstständigkeit wegen einer Erkrankung kann ein Grund dafür sein, weshalb Menschen vereinsamen. Wenn geliebte Menschen wie der Ehepartner sterben, kommen manche auch nach einer langen Zeit nicht darüber hinweg."
Trauer um geliebte Verstorbene mündet häufig in einer Depression
Häufig münde die Trauer dann in einer Depression. Das führt Heid zufolge dazu, dass sich Betroffene weiter isolieren. Nach langer Ehe oder Partnerschaft alleine zu sein und aus der selbstverständlichen Paaridentität herausgerissen zu werden, gehe für viele mit einer Identitätskrise einher: "Und je plötzlicher der Tod eines geliebten Menschen eintritt, desto schmerzhafter ist er." Viele Angehörige hätten kein Verständnis für die langanhaltende Trauer von Hinterbliebenen. Das verstärke das Gefühl der Einsamkeit.
Auch Kurt S., der eigentlich anders heißt, fühlt sich seit Jahrzehnten verlassen und einsam. Seit 25 Jahren kommt er in den Würzburger Gesprächsladen. Momentan, sagt er, beschäftigt ihn die schwierige Beziehung zu seinem Sohn: "Er lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Japan und will keinen Kontakt zu mir. Ich habe mehr als sieben Jahre lang versucht, Nähe aufzubauen. Aber er wies mich zurück."
Als S. dann vor zwei Jahren über Umwege erfuhr, dass sein Sohn in Japan geheiratet hat, ohne ihn darüber zu informieren, sei für ihn eine Welt zusammengebrochen: "Es ist ein Riesenschmerz."
Das Gefühl abgelehnt und verlassen zu werden begleite ihn schon sein Leben lang. Nicht nur sein Sohn, sondern auch sein bereits verstorbener Vater, ebenso sein Bruder hätten sich von ihm vor langer Zeit distanziert: "Sie alle haben mich abgelehnt. Bis auf eine Cousine, die in Amerika lebt, habe ich heute keine engen sozialen Kontakte mehr." Dass es den Gesprächsladen gibt, sei für ihn ein Segen: "Hier fühle ich mich verstanden und bin dankbar, dass es diese Einrichtung gibt."
Einsamkeit: Hilfe in der Region
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