Dass vor dem Zeller Tor einmal ein Siechenhaus gestanden hat – daran erinnert heute nichts mehr. Oder doch? Doch! Denn in das historische Mauerwerk des Tors ist eine Nische eingelassen, die unmittelbar mit dem Siechenhaus zu tun hat. Der Würzburger Franz-Josef Page fragte sich immer wieder, was wohl einst in dieser heute leeren Nische gestanden haben mag. Bis ihn eines Tages der Ehrgeiz packte und er zu recherchieren begann.
Nische weist auf einen gotischen Votivstein hin
Das Ergebnis: „Hier befand sich früher ein Leprosenstein, ein gotischer Votivstein.“ Er war 1360 oder 1365 für das Siechenhaus St. Nikolaus als Haus der „armen Siechen zu St. Claus vor dem Zellertor“ gestiftet worden. Selbiges muss bereits in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Betrieb gewesen sein, denn in einer Schenkungsurkunde für einen Weinberg heißt es am 23. Januar 1349, dieser befinde sich „ob dem siechhus an unser Frawenberg“.
Als Würzburgs Festungsanlagen im 17. Jahrhundert ausgebaut wurden, musste das Siechenhaus weichen. Auch das Zeller Tor wurde im Zuge dessen neu gestaltet. „Ich vermute, dass man an den alten Standort des Siechenhauses erinnern wollte und deshalb gleich beim Bau eine Nische für den Votivstein, der sich bis dahin in der Kapelle des Siechenhauses befunden hatte, geschaffen hat“, überlegt Page. Während der Votivstein also sein neues Zuhause im Mauerwerk des Tors bezog, wurde draußen vor der Stadt, in Richtung Veitshöchheim, ein neues Siechenhaus eröffnet – bestehend aus Kirche, Haupthaus und mehreren Nebengebäuden.
„Es stand am Fuße des Steinbergs“, sagt Page. Dort war es bis Juli 1853 in Betrieb. Dann wurde die Ludwig-West-Bahn ausgebaut, die Gebäude waren diesem Projekt im Weg. Inzwischen hatten sich aufgrund des medizinischen Fortschritts auch die hygienischen Verhältnisse deutlich verbessert: Würzburg hatte eine Kanalisation und eine Wasserversorgung bekommen. Die Gefahr von Seuchen war deutlich zurückgegangen. „Siechenhäuser brauchte man vor allem im Mittelalter, als man sich gegen Infektionskrankheiten nicht anders zu helfen wusste, als die Kranken mit ansteckenden Seuchen, die sich oft durch mangelnde Hygiene ausbreiteten, zu isolieren“, sagt Page.
Der Leprosenstein ist heute in der Burkarder Kirche zu sehen
Dabei war St. Nikolaus nicht das einzige Siechenhaus in Würzburg: Ein weiteres am Wöllrieder Hof wurde 1245 urkundlich erwähnt und noch eines vor dem Sander Tor lässt sich ab etwa 1320 nachweisen. In Heidingsfeld gab es ab 1321 ein Siechenhaus. Warum der Leprosenstein 1881 seine Nische am Zeller Tor verlassen musste, weiß Franz-Josef Page nicht. Aber er weiß, wo er sich heute befindet: Der Stein hat in der Burkarder Kirche ein neues Zuhause gefunden, dort ist er im nördlichen Querhaus zu bewundern. Allein – die gar nicht so kleine Nische am Zeller Tor bleibt leer. Und kündet stumm von einer Zeit, die zum Glück lange schon vergangen ist.
Text: Eva-Maria Bast
Der Text stammt aus dem Buch „Würzburger Geheimnisse - Band 2“ von Eva-Maria Bast, das in Kooperation mit der Main-Post entstand und soeben erschienen ist. Das Buch enthält 50 Geschichten zu historischen Geschehnissen und Orten. Präsentiert werden die Begebenheiten jeweils von Würzburger Bürgern.