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Greußenheim
Was Dünger für Gartenbauvereine ist
Obst- und Gartenbauvereine entstanden in Zeiten der Existenznot. Heute reagieren sie auf neue Notlagen. Und einer in der Region wendet sich dabei der Wildnis zu.
Zum Gartenbau gehört die Gartenbank: Hier entspannen auf dem vom Greußenheimer OGV gestifteten Möbel (hinten von links) Karl Lother, Heike Rombach, Alicia Hetzer, (vorne von links) Arnulf Duscha, Günter Hetzer, Sigute Wosch und Karin Kuhn.
Foto: Angelika Becker | Zum Gartenbau gehört die Gartenbank: Hier entspannen auf dem vom Greußenheimer OGV gestifteten Möbel (hinten von links) Karl Lother, Heike Rombach, Alicia Hetzer, (vorne von links) Arnulf Duscha, Günter Hetzer, ...
Angelika Becker
Angelika Becker-Völker
 |  aktualisiert: 03.12.2019 11:15 Uhr

Die Begeisterung fürs Garteln merkt man Sigute Wosch sofort an. Beim Treffen mit ein paar anderen Mitgliedern am Wildkräuterbeet des Obst- und Gartenbauvereins (OGV) in Greußenheim im Landkreis Würzburg hat sie gleich ein Gartengerät zur Hand. Hackt und gräbt und pflanzt die mitgebrachten Kräuter. Sigute Wosch steht damit beispielhaft für die Entwicklung der Obst- und Gartenbauvereine: Sie ist im mittleren Alter und gehört damit zum Nachwuchs. Sie hat noch jüngere Kinder, ist zugezogen und engagiert sich mit viel Energie für eine eigene Idee, die sie im Verein verwirklichen kann.

Die Alteingesessenen seien eher in traditionellen Vereinen wie Feuerwehr, Sport- oder Gesangverein, sagt Greußenheims Bürgermeisterin Karin Kuhn. Für die anderen Vereine wie den OGV interessierten sich eher zugezogene, junge Familien. Dabei hat der Gartenbauverein hier im Ort eine lange Tradition. Im kommenden Jahr feiert er 125-jähriges Bestehen. Er entstand 1885 aus der Not, erzählt Kuhn. Die 1870er müssen wegen des ständigen Regens Hungerjahre gewesen sein. Die Frucht verfaulte auf den Äckern. Dazu kam ein ungewöhnlich strenger Winter, die Bauern verschuldeten sich bis über die Ohren. Der Berufsstand des Gerichtsvollziehers entstand und vermehrte die Not der Menschen. In Würzburg habe es damals sechs Gerichtsvollzieher gegeben, fünf davon für das Land, sagt Günter Hetzer, der sich im Arbeitskreis Heimat- und Geschichtspflege des Gartenbauvereins engagiert.

Sigute Wosch pflegt mit Leidenschaft das Greußenheimer Wildkräuterbeet.
Foto: Angelika Becker | Sigute Wosch pflegt mit Leidenschaft das Greußenheimer Wildkräuterbeet.

Um den geplagten Bauern zu helfen, gründete der damalige Ortspfarrer Carl Theodor Müller einen Darlehenskassenverein. 47 Familien meldeten sich an. Hauptziel war, die Obstbaumzucht zu finanzieren. In zwei Jahren wurden 3000 Bäumchen gepflanzt, zunächst von Bauern, später auch von anderen Dorfbewohnern. Im Darlehenskassenverein bildete sich ein eigener Obstbauverein.

Die Greußenheimer gehörten damit zu einer Bewegung, die sich in ganz Bayern entwickelte. Kirchenrat Albrecht Eyring war der Ideengeber. In Lipprichhausen im mittelfränkischen Landkreis Uffenheim, wo er als Pfarrer wirkte, gründete der gebürtige Oberlauringer 1883 den ersten bayerischen Obstbauverein und setzte damit Impulse im ganzen Land. Auf Eyrings Empfehlung wurden Obstmuttergärten angelegt, Edelreiserdepots geschaffen und in Triesdorf mit der Ausbildung von Baumwarten begonnen. 1894 entstand aus den obstbaulichen Tätigkeiten in Mittelfranken der erste Landesverband.  Rasch trug das Vorbild auch in anderen Kreisen Bayerns Früchte, so dass sich 1893 der oberfränkische Verband, 1894 der unterfränkische und ein Jahr später der Oberpfälzer Verband organisierten. 

Motiviert von der Idee, die Vereine in einer gefestigten Gemeinschaft zusammenzuführen, ergriff der mittelfränkische Kreisverband die Initiative. Am 20. November 1894 kamen in Nürnberg die Obstbaupioniere aus ganz Bayern zusammen und gründeten den „Bayerischen Landesverband für Obst- und Gartenbau” - mit Pfarrer Eyring an der Spitze. Die Mitgliederzahlen nahmen unentwegt zu, schon im ersten Jahr schlossen sich 242 Vereine mit 11 410 Mitgliedern dem Landesverband an.

Dass es ausgerechnet Kirchenleute waren, die sich für die Ernährung der Menschen engagierten, liegt für Karin Kuhn auf der Hand. Schließlich kannten sie sich durch die üblichen Pfarrgärten mit der Materie aus und hatten nicht nur ein Interesse am Seelenheil der Gläubigen, sondern eben auch an ihrem Wohlergehen darüber hinaus. Aber eigentlich sei die Organisation des Gartenbaus noch viel älter, sagt Sigute Wosch.

Als ausgebildete Wildkräuterführerin hat sie ein Herz für den heilkundigen Schäfer Fulco, eine Figur im Schauspiel „Kaiser Karls Gericht“ der Heimatdichterin Reineldis Roth, das 2012 in Greußenheim uraufgeführt wurde. Demnach soll im 9. Jahrhundert der weise Schäfer in Greußenheim den Kaiser getroffen und ihn zu dessen Landgüterverordnung inspiriert haben, die detailierte Vorgaben für zukunftsträchtige Landwirtschaft, Imkerei und Gartenbau machte. „Man weiß nicht, ob sich die beiden hier wirklich begegnet sind, aber möglich wäre es“, sagt Wosch.

Und es ist eine Geschichte mit Perspektiven, die gerade wieder sehr aktuell sind. Nachhaltig leben ist im Sinn vor allem der jungen Generation, die sich um die Zukunft des Planeten sorgt und in Klimawandel und Naturzerstörung eine neue Notlage sieht. Gleichzeitig geht es darum, die Stärken traditioneller Anbaumethoden, alter Sorten und regionaler Produkte zu nutzen. Das könnte Nährstoff und Dünger für die Gartenbauvereine sein, gerade in Verbindung mit der Diskussion um Biodiversität, sagt Christine Bender, die Bezirksgeschäftsführerin der unterfränkischen Gartenbauvereine.

Nicht nur die Landwirte könnten da etwas tun, sondern alle, die ein paar Quadratmeter Boden besitzen. „Da müssen halt mit Schotter und Steinen abgedeckte Vorgärten wieder in Blumen- und Kräuterflächen umgewandelt werden oder der Mähroboter muss ausgemustert werden“, sagt Bender. „Wer für die Biodiversität wirklich etwas tun und nicht nur eine Unterschrift beim Volksbegehren leisten will, sollte zu einem Obst- und Gartenbauverein gehen und sich die reiche Erfahrung dieser Vereine zu Nutzen machen.“

Werbung für den Verband, der zunehmend kleiner wird: Zwischen 2014 und 2018 schrumpfte die Mitgliederzahl in Unterfranken von 52 153 auf 49 328. In Greußenheim hat er etwa 100 Mitglieder. „Noch“, sagt Arnulf Duscha ein wenig bedrückt. Er weiß allerdings, wie Interessenten zu gewinnen sind. Attraktiv seien vor allem Angebote, die mit gutem Leben zu tun haben. Vorträge zu gesunder Ernährung lockten junge Familien. Ihnen zu zeigen, dass der Gartenbauverein einen handfesten Nutzen für den Alltag bietet, sei ein Weg in die Zukunft. Duschas Erfahrung ist allerdings auch, dass neue Leute zwar zu Veranstaltungen kommen und sich bei Projekten engagieren, aber nicht an den Verein binden wollen.

„Eigentlich bekommt man mehr zurück, als man zahlt.“ 
Arnulf Duscha, Vorsitzender in Greußenheim

Dabei betrage der Jahresbeitrag gerade mal sieben Euro, für die bekommt man Vergünstigungen beim Pflanzenkauf. „Und bei der Mitgliederversammlung noch einen Blumentopf“, sagt Duscha. „Eigentlich bekommt man mehr zurück, als man zahlt.“

Den Anflug von Resignation in Duschas Worten wischt Sigute Wosch beiseite. Sie hat sich zwar vor gut einem Jahr als Mitglied des Obst- und Gartenbauvereins werben lassen. Vor allem geht es ihr aber um die Idee des Wildkräuterbeets, auf dem alle, die vorbei kommen, Hand anlegen und ernten können. In Günter Hetzer fand sie einen Unterstützer mit Spaten und Harke. Er und seine Vorstandskollegen sahen wohl, dass der Weg in die Zukunft über neue, etwas ungewöhnlichere Pfade führt.

Dass es dafür auch ein bisschen Mut braucht, wird an der Wildkräuteranlage deutlich. Immer wieder kommen Leute vorbei, die in der Gegend ihren Garten haben und die Beete mit Pflanzen, die sie bisher eher als Unkraut eingestuft haben, skeptisch betrachten. Aber eben auch neugierig.
Sigute Wosch, von Beruf Marketingexpertin, geht das Projekt Wildkräuterpflanzung in der Hinsicht professionell an. Ihre Ideen sprudeln. Während sie flugs den mitgebrachten Giersch in der Erde versenkt, entwirft sie spontan einen Plan, wie die Greußenheimer Kultur- und Freizeiteinrichtungen einschließlich des Vereinsgärtchens verbunden, beworben und ergänzt werden können.

Das wirkt anregend. „Wir könnten Wildkräutertage mit Tees und anderen im Alltag nutzbaren Sachen anbieten“, überlegt der Vorsitzende Arnulf Duscha. Auch die Geschäftsführerin des Bezirksverbandes für Gartenbau- und Landespflege mit Sitz in Kitzingen, Christine Bender, sieht das als Möglichkeit: ureigene Interessen der Gartenbesitzer aufgreifen, ihre Fragen zu Gartenpraxis, Gestaltung und Ökologie. „Obst- und Gartenbauvereine haben einen schier unerschöpflichen Fundus an Ideen und Beispielen." 

„Da müssen Vorgärten wieder in Blumen- und Kräuterflächen umgewandelt werden.“
Christine Bender, Bezirksgeschäftsführerin der Gartenbauvereine in Unterfranken

Sie sieht allerdings auch, dass sich trotz aller Bemühungen, weniger Menschen als Mitglieder organisieren. „Der Beruf bindet heute in der Regel viel Zeit und Kraft, sodass sich nicht mehr so viele ehrenamtlich engagieren wollen.“ Trotzdem könne die Verjüngung der Vereine gelingen.
Sie hat eine ganze Reihe Beispiele. In Rottendorf (Lkr. Würzburg) gebe es sehr rege Jugendgruppen. Der OGV in Neubrunn (Lkr. Hassberge) habe gar 45 Kinder und Jugendliche auf der Mitgliederliste. In Mühlhausen (Lkr. Schweinfurt) sei der Vorstand jung und sehr aktiv. Vorreiter in der Familienarbeit sei der Gartenbauverein in Hambach (Lkr. Schweinfurt). „Alle Aktionen werden gemeinsam gemacht“, sagt Bender.

Schön fürs Auge und für alle: In Zellingen (Lkr. Main-Spessart) hat der Obst- und Gartenbauverein Zellingen vor dem vergangenen Sommer die Mainlände erblühen lassen. 
Foto: Erna Hartmann | Schön fürs Auge und für alle: In Zellingen (Lkr. Main-Spessart) hat der Obst- und Gartenbauverein Zellingen vor dem vergangenen Sommer die Mainlände erblühen lassen. 

Auch der Vorstand in Bergrheinfeld sei jung und gerade werde dort auch eine Jugendgruppe gegründet. Andere machen mit Aktionen auf sich aufmerksam. So legt der Verein in Zeuzleben (Lkr. Schweinfurt) jährlich mit dem Kindergarten Kartoffeln. In Untermerzbach (Lkr. Hassberge) haben sie einen eigenen Weinberg. In Augsfeld (Lkr. Hassberge) gibt es alle zwei Jahre ein Blumenkorso.

Und in Greußenheim soll es verstärkt um die Kraft aus der wilden Natur gehen. Das Wildkräuterbeet wird in diesem Jahr um 18 Felder erweitert. Bei unserem Termin vermessen ein paar Männer des Vereins das Gelände. Und Sigute Wosch hat ein paar Frauen an der Hand, die ihr beim Beschildern, Pflanzen und bei Aktionen helfen, allesamt allerdings wollen sich frei und ohne Mitgliedsausweis für den Verein engagieren. Dieser Hang zur Ungebundenheit bleibt für Vorsitzenden Arnulf Duscha ein Problem, denn Vereine brauchen eben nicht nur Ideen, sondern auch Mitglieder.
 

 
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