Peter Jonczyk genießt die Wärme, die Farben der Blumen, das Grün vor seiner Wohnung im kleinen Dorf Zeubelried (Lkr. Würzburg), die er bezogen hatte, nachdem er vor vier Jahren eine Stelle als Oberarzt in der Ochsenfurter Main-Klinik angetreten war. Der Unfallchirurg genießt den Sommer mehr als sonst. Es wird für lange Zeit sein letzter warmer Sommer sein. Peter Jonczyk geht in die Antarktis. Für 14 Monate wird er dort auf der Neumayer-Station III des Bremerhavener Alfred-Wegner-Instituts für Klima- und Polarforschung (AWI) zu Hause sein, im ewigen Eis, 2000 Kilometer vom Südpol entfernt. Es wird beileibe nicht das erste Abenteuer im Leben des 57-jährigen Mediziners sein, aber mit einiger Sicherheit das bisher größte.
In jungen Jahren schon hatte Peter Jonczyk vom russischen Arzt Leonid Rogosow erfahren, der Medizingeschichte schrieb, als er sich am 1. Mai 1961 in einer sowjetischen Antarktis-Station selbst den entzündeten Blinddarm entfernte. Seitdem brannte auch in ihm der Wunsch, einmal den entlegensten Flecken auf diesem Globus zu bereisen.
Die 2009 errichtete Neumayer-Station ist die Basis der deutschen Antarktis-Forschung und liegt zehn Kilometer von der Stelle entfernt, an der das antarktische Ekström-Eisschelf in den Südatlantik abbricht. Bis zu 50 Menschen arbeiten im antarktischen Sommer in der Station, die auf 16 ausfahrbaren Stelzen montiert ist, um mit der Zeit nicht im ewigen Eis zu versinken. Vom 15. November bis zum 27. Januar geht die Sonne über der Station nicht unter. Vom 21. Mai bis zum 22. Juli hingegen bleibt es dunkel. Es ist Polarnacht, und die Besatzung der Neumayer-Station schrumpft zusammen auf das zehnköpfige Überwinterungsteam. Wissenschaftler und Ingenieure, ein Koch und ein Arzt.
Mit dem Rad nach Moskau und ans Nordkap
Peter Joncyzk reizt das Abenteuer. Mit 18 radelte er ans Nordkap, 1985 quer durch die Sahara und vor zwei Jahren erst nach Moskau. Auch für die Fahrt nach Bremerhaven, zum Medizincheck vor dem Antarktis-Aufenthalt, vertraute er auf seinen Drahtesel, mit dem Zelt im Gepäck, weil die Hotels coronabedingt geschlossen waren.
Als Arzt war Jonczyk ebenfalls schon in vielen Teilen der Welt unterwegs. Sein praktisches Jahr am Ende des Studiums verbrachte er in Australien und Neuseeland. Einen Monat lang hat er in einer indischen Lepraklinik gearbeitet, und drei Wochen lang bei den "Flying Doctors" in Nairobi, die medizinische Hilfe für die Landbevölkerung in Ostafrika leisten.
Seine Freunde seien deshalb wenig überrascht gewesen, als Peter Jonczyk ihnen von seiner Expedition berichtete. "Die Kollegen, die mich kennen, haben gesagt: Peter, du bist dafür genau der Richtige", sagt er. Trotzdem hat er gehörigen Respekt vor der Aufgabe, die nun vor ihm liegt.
Die übrigen Teammitglieder sind um die 30. "Ich werde vermutlich so etwas wie der Stationsvater werden", meint er. Die Vermutung kommt nicht von ungefähr. Als Ältestem, und weil er als Arzt nur wenig in die Forschungsarbeit eingebunden ist, wird ihm die Aufgabe des Stationsleiters zukommen. "Da ist es schon beruhigend, dass alle Teammitglieder auf Herz und Nieren durchgetestet sind." Die wahren Herausforderungen liegen aber vermutlich auf einem anderen Gebiet.
Leben in völliger Isolation
Die völlige Isolation im Polarwinter, noch dazu bei wochenlanger Nacht, zehrt an der Psyche. Auch das Leben ist spartanisch. "Der Koch kriegt einmal im Jahr sein Essen geliefert, er kann nicht noch mal schnell zu Aldi", sagt Jonczyk. "Wer täglich einen frischen Obstsalat zum Frühstück braucht, ist dort schlecht aufgehoben." Lediglich das im Versuchslabor gezüchtete Gemüse bringt Frisches auf den Speiseplan. Im Polarsommer steigt das Thermometer schon mal bis an den Gefrierpunkt. Im Winter herrschen Außentemperaturen von bis zu minus 50 Grad. Nicht selten wehen dann orkanartige Stürme um die Station.
Schon in der viermonatigen Vorbereitungsphase geht es vor allem um Teambildung. Während dieser Zeit leben die zehn Teammitglieder in einer Ferienhaussiedlung zusammen. "Dort lernen wir uns kennen und hoffentlich lieben", scherzt der künftige Stationsleiter. Gemeinsam geht es auch auf einen Gletscher in Österreich, wo das Team unter nahezu antarktischen Bedingungen im Zelt übernachtet und den Umgang mit gefährlichen Situation einübt, etwa die Rettung aus einer Gletscherspalte. Brandbekämpfung und Krisenintervention stehen außerdem auf dem Stundenplan.
Im Crashkurs zum Zahnarzt
Für Stationsarzt Peter Jonczyk kommen noch ein paar Fächer hinzu. In der Antarktis muss er die Aufgaben eines Röntgen- und Laborassistenten mit übernehmen. Im Crashkurs lernt er außerdem Zahnmedizin, muss im Notfall einen wehen Zahn oder eine defekte Füllung behandeln können. "Einige im Team haben sich vorsorglich die Weisheitszähne ziehen lassen, bevor es ein Hobby-Zahnarzt wie ich tun muss", witzelt er.
Seine wichtigste Aufgabe sieht Peter Jonczyk aber darin, die Stimmung im Team hoch zu halten. Dass er dieser Aufgabe gewachsen ist, daran hat er keinen Zweifel. "Es ist das gleiche Setting wie in der Klinik mit jungen Assistenzärzten, und da bin ich immer klar gekommen", sagt er. In der Freizeit stehen dem Team ein Fitnessstudio, ein Billardtisch und ein Musikraum mit Instrumenten zur Verfügung. Außerdem hat Peter Jonczyk ein paar Jonglierbälle eingepackt. "Überall wo ich bisher gearbeitet habe, habe ich versucht, teambildende Dinge zu machen." Warum nicht auch in der Antarktis?
Anfang Dezember wird das Team nach Kapstadt reisen. Ein russisches Flugzeug soll sie von dort zur Neumayer-Station bringen. Wann genau das sein wird, hängt vom Wetter ab. Regelmäßig fegen um diese Zeit Stürme übers Eis und könnten den Flug verzögern. Drei Monate wird das Team dann mit den Vorgängern verbringen, um die Station kennenzulernen, bevor sich der antarktische Sommer dem Ende neigt und die dunkle Jahreszeit beginnt.
Am meisten wird er sein Fahrrad vermissen
Bevor der 14-monatige Aufenthalt zu Ende geht, wird es Peter Jonczyk sein, der seine Nachfolger mit der Forschungsstation vertraut macht. Er selbst wird dann noch ein halbes Jahr lang beim Alfred-Wegner-Institut beschäftigt sein, um seine Erfahrungen aus der Expedition weiterzugeben. Genügend Zeit auch, um sich wieder für eine "normale" Arbeit als Chirurg zu bewerben. "Früher hätte ich es nicht gewagt, meinen Job aufzugeben, aber inzwischen sind die Chancen so gut, dass es kein Problem sein wird, wieder eine Stelle zu finden."
Die soll wieder in der Nähe von Würzburg sein, wo der gebürtige Hesse längst heimisch geworden ist. Dann wird er auch endlich wieder aufs Fahrrad steigen können, um seine nächste - vermutlich weniger abenteuerliche - Tour zu starten. Das Fahrrad, das werde er wohl in der Antarktis am meisten vermissen, sagt er.
Alles Gute, Peter!
Uta