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ROTTENDORF
Was darf man noch essen, Herr Kast?
Bas Kast war 40, schlank und fit. Dann streikte sein Herz beim Joggen. Der Wissenschaftsautor aus Rottendorf fing an, Tausende teils widersprüchliche Studien durchzuarbeiten. Was soll man essen?
Healthy eating background.       -  _
Foto: RomarioIen (iStockphoto)
Alice Natter
 |  aktualisiert: 02.04.2019 09:45 Uhr

Als Wissenschaftsredakteur in Berlin habe er seinen Körper über Tage hinweg problemlos mit Kaffee und Kartoffelchips in Betrieb halten können, erzählt Bas Kast. Manchmal gab's die Chips auch zum Abendessen, er war ja schlank und joggte gern. Bis er mit Anfang 40 mit Schmerzen in der Brust zusammenbrach.

Hatte er mit Junkfood seine Gesundheit ruiniert? Was konnte er essen, um sein Herz zu schonen? Bas Kast nahm sich vor, seine Ernährung radikal umzustellen. Doch was ist wirklich gesund? Der Journalist, der inzwischen in Rottendorf im Landkreis Würzburg lebt, arbeitete sich zwei Jahre lang durch Berge von Untersuchungen und teils widersprüchlichen Studien. Er wollte keine Ernährungsweisheiten hören, sondern sich auf Daten verlassen. Er sortierte, wertete aus, studierte zusammenfassende Meta-Studien und filterte aus all dem Wust die für ihn wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über gesunde Ernährung heraus.

Frage: Herr Kast, was gab es bei Ihnen denn heute zum Frühstück?

Bas Kast: Vor allem Kaffee, mit einem kleinen Stückchen dunkler Schokolade. Es gibt viele Studien, die dafür sprechen, dass man die meisten Kalorien in der ersten Tageshälfte zu sich nehmen sollte. Ich gehöre zu den Leuten, die morgens schlichtweg keinen Hunger haben und erst einmal nicht frühstücken. Und das ist auch eine Methode, die Fastenzeit der Nacht ein wenig zu verlängern. Wie man mehr und mehr herausfindet, ist das kurzfristige Fasten ja ein heilsamer Prozess.

Das Kaffeetrinken haben Sie sich durch die Lektüre der vielen wissenschaftlichen Studien nicht nehmen lassen?

Kast: Im Gegenteil. Das Einzige ist: Ich trinke heute Filterkaffee statt Espresso oder Cappuccino.

Wieso das?

Kast: Weil ich anfällig bin für Herz-Kreislauf-Probleme. Und man gesehen hat, dass dieser grobe, vom Papier nicht gefilterte Kaffee ölige Substanzen hat, die das „böse“ Cholesterin und die Triglyceride, die Blutfette, erhöhen. Beides sind Risikofaktoren für Herzinfarkt oder Schlaganfall. Das Gesamtbild ist schon, dass Kaffee insgesamt schützend ist. Das Vorurteil, Kaffee sei ein Gift, stimmt nicht. Man hat zwar gesehen, dass Kaffeetrinker häufiger unter Herz-Kreislauferkrankungen leiden. Nach und nach hat man aber festgestellt, dass es unter den Kaffeetrinkern mehr Raucher gibt. Wenn man das statistisch berücksichtigt, erweist sich Kaffee – und zwar in recht hohen Dosen – als schützend. Er senkt das Sterblichkeitsrisiko um bis zu 15 Prozent.

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Foto: Mike Meyer

Ihre eigene Gesundheit war der Grund für Ihre Beschäftigung mit den Ernährungsstudien?

Kast: Auf jeden Fall. Ich war zwar nie fett und bin regelmäßig gejoggt. Aber dann hatte ich eine Herzattacke und immer wieder Herzprobleme. Extrem beängstigend. Ich habe das erst verdrängt, aber als meine Schwester ihre Ernährung umstellte und sich für den Halbmarathon angemeldet hat, habe ich das auch ausprobiert. Eigentlich ohne an mein Herz zu denken. Da habe ich festgestellt: Wow! Es gibt verblüffend schnell einen spürbaren Unterschied.

Was haben Sie gemacht? Was umgestellt?

Kast: Ich bin sehr schnell bei den Studien des US-Kardiologen Caldwell B. Esselstyn gelandet, ehemaliger Berater auch von Bill Clinton. Er setzte bei Bypass-Patienten, die von anderen Ärzten aufgegeben wurden, auf eine rein pflanzliche, extrem fettarme Diät. Deshalb habe ich auf eine extrem pflanzenbasierte Kost umgestellt, immer weiter recherchiert. Und am Ende, nach zwei Jahren, hatte ich Tausende von Studien durchgeackert, einiges ausprobiert und meine eigene Ernährung feinjustiert.

War das die wichtigste Erkenntnis: für die Gesundheit fast nur Gemüse?

Kast: Das scheint mir die wichtigste Erkenntnis aller Studien zu sein. Man sollte den Pflanzenanteil in seiner Ernährung so weit wie möglich hochfahren.

Darf es noch schmecken?

Kast: Absolut, es spielt schon eine Rolle, ob es mir schmeckt im Alltag. Aber ich hatte immer das Barometer: Wie geht es meinem Herzen? Tut mir das gut, was ich esse? Habe ich mehr Energie? Es geht um die richtige Balance zwischen Verzicht und Genuss.

Aber Sie achten schon penibel darauf, was Sie essen, oder?

Kast: Ich bin teilweise schon sehr strikt was Junkfood betrifft. Da will ich gar nicht erst in Versuchung kommen, es schmeckt ja auch, das Zeug. Die letzte Chipspackung, die ich gekauft habe, war für das Foto in meinem Buch. Ich betrete teilweise die Gänge mit den entsprechenden Regalen nicht mehr im Supermarkt. Auch bei den Fertiggerichten bin ich strikt: Fertigpizza esse ich einfach nicht, Wurst esse ich schlichtweg nicht. Und von vielem esse ich einfach viel, viel weniger. Fleisch zum Beispiel. Am Wochenende gibt es eine Forelle oder mal ein Stück Lachs.

Was sagt Ihre Frau?

Kast: Sie isst, was sie will. Sie ist nicht so streng bei Zuckersachen. Die meide ich dagegen extrem. Ich esse nur das bisschen Zucker, das noch in der dunklen, 90-prozentigen Schokolade steckt.

Wegen bestimmter Studien?

Kast: Über Zucker? Dass das kein Vitamin ist, hat sich ja herumgesprochen. Zucker besteht aus zwei unterschiedlichen Molekülen, Glukose und Fruktose. Die Glukose verbreitet sich über den ganzen Körper und erhöht das Insulin. Insulin ist ein Wachstumsfaktor für die Zellen. Und viele Krebszellen haben eben auch eine Insulin-Andockstelle. Vereinfacht gesagt: Insulin ist eine Art Düngemittel für Krebszellen. Interessant ist, dass die andere Hälfte des Zuckers, die Fruktose, von der Leber abgefangen wird. Das Schlimmste ist Cola, wenn in kurzer Zeit ganz viel Zucker auf die Leber trifft. Deshalb sieht man heute Kinder mit Fettleber, wo früher ein Arzt gesagt hätte, Fettleber gibt es nur bei einem Alkoholiker. Das entsteht nicht mit einer Cola. Aber mit 1000 Colas und wenn Zucker allen unseren Lebensmitteln hinzugefügt wird und alle Speisen durch den versteckten Zucker zu einer Art Dessert werden. Leider gibt es diese voreilige Fettverteufelung.

Warum leider?

Kast: Die Nahrungsmittelindustrie hat darauf reagiert, das „böse“ Fett aus ihren Produkten geholt und stattdessen ordentlich Zucker reingejagt. Aber nach und nach stellt sich heraus, dass die allermeisten Fette nicht nur harmlos sind, sondern sogar heilsam. Natürlich nicht die Transfette, die mit ziemlicher Sicherheit richtig übel sind. Sondern Omega-3-Quellen: Rapsöl, Walnüsse, Leinsamen. Es ist ja immer so: Wenn sie etwas nicht essen, müssen sie etwas anderes essen. Verzichten sie auf Fett, müssen sie auf Kohlenhydrate ausweichen. Das ist an sich nicht schlecht, wenn es Gemüse und Obst wären. Aber tendenziell essen die Leute Weißbrot, Kartoffeln, Reis, Nudeln, Süßigkeiten. Viel schädlicher als die meisten Fette.

Was spricht gegen Reis? Was gegen Kartoffeln?

Kast: Ich will beides nicht verteufeln. Aber Kartoffeln bringen Harvard-Studien mit einem erhöhten Diabetes-Risiko in Verbindung. Kartoffeln sind Glukose-Bomben. Und bei Reis, vor allem Jasminreis, ist der Blutzuckeranstieg noch höher. Und teilweise ist Reis mit Arsen belastet, das ist klar belegt.

Was dürfen denn Ihre Kinder essen?

Kast: Gute Frage! Das eine bekommt noch das Gesündeste, was es gibt: Muttermilch. Bei Milch für Erwachsene bin ich auch schon wieder skeptisch. Mein Vierjähriger isst extrem viel Müsli und liebt seinen Zucker und seine Sahnenudeln mit Speck. Als Eltern sind Sie im Dilemma. Sie sehen ja das Glück und die Freude über einen Schokohasen oder einen Keks, das ist schon extrem. Wir haben die Regel: Es gibt das, was auf den Tisch kommt. Da gibt es eine Vielfalt, von da darf er nehmen, was er will. Worauf wir sehr geachtet haben: Dass Wasser für unseren Sohn das normale Getränk ist, nicht Fruchtsaft. Das hat verblüffenderweise geklappt.

Was spricht denn gegen Apfelsaft?

Kast: Vor Fruchtsäften muss man wirklich warnen. Das ist einfach kein komplettes Obst, auch frisch gepresst nicht. Damit stürzen sie viel zu viel Fruchtzucker auf einmal herunter und überfordern Leber und Darm. Dazu kommt, dass die ganzen Ballaststoffe weggepresst wurden. Frisches Obst können Sie unbegrenzt essen.

Was darf man noch essen, Herr Kast?       -  _

Kaffee ist gut, Kaffee ist schlecht, Fett ist gut, Fett ist schlecht, Warnung hier, Empfehlung da – für alles gibt es die passende Studie, oder? Warum diese vielen Gegensätze?

Kast: Es scheint verwirrend. Man kann mit Studien tatsächlich alles beweisen – und das Gegenteil. Aber eigentlich ist es ein gutes Zeichen, dass die Wissenschaft aus Diskussion besteht, ein Lernprozess ist und sich immer wieder selbst korrigiert. Natürlich gibt es auch Interessengruppen und Finanzierungen durch die Industrie, was zu systematischen Verzerrungen führt. Das ist nachweisbar. Was inzwischen wohl unbestritten empfehlenswert ist und auch in zehn, 20 Jahren noch Bestand haben wird: frisches Essen, möglichst viel Pflanzliches, Vollkornprodukte und möglichst wenig Fleisch.

Und beim Einkauf im Supermarkt einige Regalreihen auslassen . . .

Kast: Genau. Ich halte mich am längsten am Anfang und an den Rändern auf, wo das Frische ist. In die Regalreihen im Inneren gehe ich nur für Hülsenfrüchte, für Nüsse und für dunkle Schokolade.

Es ist Mittagszeit – was gibt es bei Ihnen jetzt, nach dem Kaffee mit Schokolade?

Kast: Demnächst mal einen Apfel mit meinem grünen Lieblingstee. Dann bekomme ich auch irgendwann Hunger.

Bas Kast

Der Wissenschaftsjournalist, 1973 in Landau in der Pfalz geboren, hat Psychologie und Biologie in Konstanz, Bochum und Boston studiert. Bis 2008 war Bas Kast Redakteur beim Tagesspiegel in Berlin, seitdem arbeitet er als freier Sachbuchautor. 2003 erschien sein erstes Buch „Revolution im Kopf“ darüber, wie die Hirnforschung unser Menschenbild und Bild der Wirklichkeit verändert. Es folgten „Die Liebe und wie sich Leidenschaft erklärt“ (2004), „Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft“ (2007) und „Und plötzlich macht es KLICK!“ (2015). Kast ist mit der Stammzellforscherin Sina Bartfeld verheiratet und wohnt mit seiner Familie in Rottendorf. Sein neues Buch: „Der Ernährungskompass. Das Fazit aller wissenschaftlichen Studien zum Thema Ernährung“, C. Bertelsmann Verlag, 320 S., 20 €.
 
 
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