Vom kommenden Montag bis Mittwoch treffen sich an der Universität Würzburg Lebensmittelexperten aus ganz Deutschland: Die Lebensmittelchemische Gesellschaft (LChG), mit mehr als 2900 Mitgliedern die größte Fachgruppe der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), lädt zum Deutschen Lebensmittelchemikertag. Und da stehen in diesem Jahr verbrauchernahe Themen auf dem Programm. Ist das vegane Sojaschnitzel wirklich vegan? Wie lässt sich herausfinden, woher ein Honig wirklich kommt? Können Risikostoffe in Lebensmitteln durch Pilz-Enzyme reduziert werden? An der Uni Würzburg untersucht Professorin Leane Lehmann vom Lehrstuhl für Lebensmittelchemie vor allem den Einfluss von Lebensmittelinhaltsstoffen auf die Krebsentstehung. Ein Gespräch über Risiken und Bedenken beim Essen.
Frage: Wie sicher und unbedenklich sind unsere Lebensmittel heute? Oder so gefragt: Welche Lebensmittel bereiten den Lebensmittelchemikern eigentlich die größten Sorgen?
Prof. Leane Lehmann: Nach dem deutschen Lebensmittelrecht müssen Lebensmittel sicher sein. In den wenigsten Fällen, in denen Lebensmittelchemiker tätig werden, geht es allerdings um die Sicherheit. Der weitaus größere Teil der Arbeit ist es, eine Täuschung der Verbraucher zu verhindern. Selbst wenn Grenzwerte für nicht erwünschte Stoffe überschritten werden, bedeutet dies nur ganz selten eine akute Gefährdung der Gesundheit. Die Grenzwerte sind nämlich auf einen lebenslangen, täglichen Konsum eines Lebensmittels ausgelegt. Eine gesundheitliche Gefährdung gibt es vor allem beim Überschreiten mikrobiologischer Grenzwerte, also der Belastung mit Keimen. Daher bereitet mir beispielsweise die Belastung von rohen Sprossen durch Keime Sorgen.
Und was ist mit Krebs? Was weiß die Wissenschaft heute über die Zusammenhänge von Ernährung und Tumorerkrankungen?
Lehmann: Schon seit 40 Jahren ist bekannt, dass mindestens 20 Prozent der Tumorerkrankungen auf irgendeine Art und Weise mit der Ernährung zusammenhängen. Meist wird dann zuerst ein statistischer Zusammenhang zwischen dem Verzehr eines bestimmten Lebensmittels und einem erhöhten Krebsrisiko beobachtet. Die Herausforderung ist dann herauszufinden, woran das genau liegt, damit man die richtigen Empfehlungen geben kann. Liegt es an krebserzeugenden Inhaltsstoffe in den Lebensmitteln oder fehlen in diesen Lebensmitteln vor Krebs schützende Stoffe, die in anderen Lebensmitteln vorhanden sind?
Sie selbst haben den Einfluss von Soja, beziehungsweise Soja-Inhaltsstoffen auf das Brustkrebsrisiko untersucht. Sollten wir in Europa auch häufiger Tofu essen?
Lehmann: In westlichen Bevölkerungsgruppen hat Soja vermutlich weder einen positiven, noch einen negativen Einfluss auf das Brustkrebsrisiko. Wer Tofu mag, kann also gut seinen Fleischkonsum durch den Verzehr von Tofu senken. Wer nicht, kann auch andere Leguminosen wie Erbsen und Linsen als Proteinquelle wählen. Kritisch zu sehen sind sojabasierte Nahrungsergänzungsmittel. Also Lebensmittel in lebensmitteluntypischer Form, also als Tabletten, Kapseln oder Pulver, die als „natürliche“ Alternative zur Hormonersatztherapie bei Wechseljahresbeschwerden eingesetzt werden.
Für gesunde Frauen haben diese Nahrungsergänzungsmittel zwar wahrscheinlich keine nachteiligen Wirkungen, aber auch keinen Nutzen. Zudem besteht die Sorge, dass sie das Wachstum noch unerkannter Brusttumore fördern könnten. Aus diesen Gründen rät die Kommission für Lebensmittelsicherheit der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom Konsum weiterhin ab.
Wie riskant sind ganz heiße Heißgetränke?
Lehmann: Die „International Agency for Research on Cancer“ (IARC) hat kürzlich das kanzerogene Potenzial bewertet und dabei Heißgetränke als „wahrscheinlich krebserzeugend für den Menschen“ eingestuft. Eine Risikobewertung – unter welchen Bedingungen steigt das Risiko an Krebs zu erkranken um wie viel Prozent – hat sie allerdings nicht durchgeführt. Man weiß daher leider noch nicht gesichert, was das wirklich bedeutet. Ein Kollege aus Karlsruhe, der beim Lebensmittelchemikertag vortragen wird, bestätigt die Einschätzung der IARC, dass das krebserzeugende Potenzial von Kaffee, Tee oder Mate eher an der Temperatur als an krebserzeugenden Inhaltsstoffen liegt.
Wann ist das Heißgetränk zu heiß? Bei welcher Temperatur sollte man den Kaffee erst mal abkühlen lassen?
Lehmann: Mehr als 65 Grad Celsius – das ist ziemlich heiß! Aber da kann der Verbraucher sehr leicht selbst auf „Nummer sicher“ gehen.
Welche Lebensmittel sind in diesem Sinne „gute“ Lebensmittel, welche sind „schlecht“?
Lehmann: Generell würde ich immer das natürliche, „normale“ Lebensmittel dem Nahrungsergänzungsmittel vorziehen. Denn bei ihm spielen viele Inhaltsstoffe in kleinen Mengen vollständig zusammen. Das Nahrungsergänzungsmittel dagegen ermöglicht durch die Anreicherung ausgewählter Stoffe die Aufnahme weitaus höherer Mengen einzelner, weniger Stoffe.
Wie problematisch sind Zusatzstoffe? Also das Kleingedruckte auf der Packung, diese vielen „E“?
Lehmann: Zusatzstoffe unterliegen einem Zulassungsverfahren, bei dem auch die Sicherheit geprüft wird. Daher sind die „E“ an sich nicht problematisch. Ein Lebensmittel mit vielen „E“ ist aber sicherlich stärker weiterverarbeitet als eines mit wenigen „E“. Manche Zusatzstoffe sind notwendig, um bestimmte Produkteigenschaften zu erreichen. Teilweise kann so der Anteil an qualitativ hochwertigen Zutaten verringert werden, das Lebensmittel wird billiger. Bei vielen „E“ liegt also der Verdacht nahe, dass der Anteil wertbestimmender Zutaten nicht so schrecklich hoch sein kann.
Wie problematisch sind Verpackungen? Oder so gefragt: Gibt es im Supermarkt – aus gesundheitlicher Sicht – problematische Verpackungen?
Lehmann: Neue Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, unterliegen einem Zulassungsprozess. Für den Übergang von manchen Stoffen aus Verpackungen in Lebensmittel gibt es Grenzwerte, deren Einhaltung durch Lebensmittelchemiker geprüft wird. Für andere Stoffe wie Aluminium gibt es keine Maximalwerte, die übergehen dürfen, sondern „tolerierbare wöchentliche Aufnahmen“.
Dieser Wert legt fest, wie viel ein Verbraucher lebenslang an Aluminium zu sich nehmen kann, ohne gesundheitliche Schäden zu nehmen. Eine kurzfristige, leichte Überschreitung ist daher nicht bedenklich. Wenn eine einzige Quelle aber den Wert fast ausschöpft oder sogar überschreitet, sollte unbedingt etwas geändert werden, damit die Verbraucher nicht langfristig belastet werden. Weil geringe Mengen an Aluminium bereits natürlicherweise in den alltäglichen Lebensmitteln wie Getreideprodukte, Gemüse, Tee oder Kakao vorhanden sind, sollte durch Bedarfsgegenstände wie Trinkflaschen und Geschirr so wenig wie möglich dazukommen.
Also lieber keine Alu-Thermoskanne verwenden?
Lehmann: Beim Lebensmittelchemikertag wird ein Kollege berichten, ob und wie stark durch die Benutzung von Trinkflaschen oder Espressokochern die „tolerierbare wöchentliche Aufnahme“ an Aluminium überschritten wird.
Wenn ich die mir vorliegende Kurzfassung des Vortrags richtig interpretiere, dann gibt es wenigstens gute Nachrichten für Espressotrinker – wenn sie ihn nicht sehr heiß trinken: Die Benutzung von Espressokochern trägt wenig zur „tolerierbaren wöchentlichen Aufnahme“ bei. Aber Trinkflaschen aus Aluminium und Campinggeschirr scheinen kritisch zu sein. Vor allem, wenn sie mit Lebensmitteln gefüllt werden, die Säure enthalten. Da kann die Benutzung zur Überschreitung der tolerierbaren wöchentlichen Aufnahme führen. Wenn man einmal im Jahr Campen geht, macht das vermutlich nichts. Aber von der täglichen Benutzung einer Trinkflasche aus Aluminium würde ich persönlich derzeit Abstand nehmen.
Was ist denn von den „Superfoods“ zu halten? Aus Sicht der Lebensmittelchemikerin: Was macht die vielbeworbenen „funktionellen“ Lebensmittel so super? Welchen Zusatznutzen können sie wirklich haben?
Lehmann: Funktionelle Lebensmittel haben über ihren Nähr- oder Genusswert hinaus positive Eigenschaften auf die menschliche Gesundheit. Dies kann entweder eine besondere Funktion sein wie die Erhaltung der Zahnmineralisation oder die Verringerung eines Krankheitsrisikos wie des Kariesrisikos. Beworben werden diese Eigenschaften mit sogenannten gesundheitsbezogenen Angaben – zum Beispiel „Zuckerfreier Kaugummi trägt zur Erhaltung der Zahnmineralisierung bei“. Diese dürfen nur verwendet werden, wenn sie wissenschaftlich belegt sind. Die Expertengremien der European Food Safety Authority (EFSA) haben in den letzten Jahren Tausende solcher „health claims“ geprüft, zugelassen wurde nur ein Bruchteil davon. Die meisten „gesundheitsbezogenen Angaben“ betreffen Vitamine und Spurenelemente, aber auch Walnüsse sind dabei. Manche alten Weisheiten und Alltagserfahrungen wurden so mittlerweile wissenschaftlich bestätigt: Trockenpflaumen regen tatsächlich die Darmtätigkeit an, und Koffein steigert wirklich die Aufmerksamkeit.
Die Trockenpflaume – ein Superfood! Das ist doch schön.
Lehmann: Es gibt auch eine Positivliste der zugelassenen allgemeinen gesundheitsbezogenen Funktionsangaben. Der aktuelle Stand aller zur Bewertung eingereichten „health claims“ kann in einer Datenbank auf der Homepage der EFSA nachgesehen werden. Aber Achtung: Die meisten Hersteller achten zwar darauf, bei den Etiketten die lebensrechtlichen Bestimmungen einzuhalten. Auf den Internetseiten aber wird dann gerne mal zu viel versprochen. Und man muss berücksichtigen, dass die EFSA nur den wissenschaftlichen Beleg der gesundheitsbezogenen Angabe prüft. Dass eine solche Angabe verwendet werden darf, stellt keine generelle Empfehlung für den Verzehr des Lebensmittels dar. Beispielsweise reduzieren mit Phytosterolen angereicherte Produkte zwar nachweislich den Blutcholesterinspiegel. Es ist jedoch umstritten, ob ihr Verzehr wirklich sinnvoll ist.
Vanilleeis ohne Vanille, Erdbeerjoghurt mit Sägespänen, Himbeerwackelpudding mit Schweineschwarte – ist Lebensmittelchemie die Kunst des Täuschens?
Lehmann: Die Lebensmitteltechnologie ist für das Erreichen bestimmter Produkteigenschaften verantwortlich, nicht die Lebensmittelchemie, das wird oft verwechselt. Nach dem Lebensmittelrecht dürfen Lebensmittel nicht geeignet sein, den Verbraucher zu täuschen. Der Verbraucher muss anhand der Bezeichnung und der Zutatenliste die Qualität der Lebensmittel beurteilen können und dann selbst entscheiden, was er kaufen möchte. Wenn auf dem Eis nur „Vanillegeschmack“ steht, dann ist keine Vanille drin und der Verbraucher kann überlegen, ob er das Eis trotzdem kaufen möchte. Der Verbraucher ist also völlig auf die Richtigkeit der Angaben auf dem Etikett angewiesen.
Verzeihung! Dann ist Lebensmittelchemie . . .
Lehmann: . . . die Wissenschaft, die sich mit dem Entlarven von Täuschungen, also beispielsweise falschen Etiketten, beschäftigt. Weil wir die lebensmittelrechtlichen und technologischen Rahmenbedingungen eines Lebensmittels kennen, wissen wir, wonach wir suchen müssen, um die Wahrheit herauszufinden. Da es immer neue Täuschungsmöglichkeiten gibt, entwickeln wir auch immer neue Analysenmethoden.
Letztendlich können Lebensmittelchemiker anhand der Analysen sagen, ob Grenzwerte für Rückstände oder unerwünschte Stoffe überschritten werden, ob wirklich Vanilleschoten verwendet wurden, von welchem Tier ein Stück Fleisch kommt, ob ein Produkt vegan ist und wo ein Wein angebaut wurde.
Apropos vegan. Ist es sinnvoll, dass es immer mehr rein pflanzliche Produkte gibt? „Braucht“ es das vegane Würstchen? Das vegane Rührei?
Lehmann: Reduzierter Fleischkonsum ist ernährungsphysiologisch sicherlich sinnvoll. Der Konsum von rotem Fleisch und Wurstwaren erhöht das Risiko für Darmkrebs und andere Krebsarten, dafür kann man sogar das Risiko angeben: Das Risiko an Dickdarmkrebs zu erkranken erhöht sich um 18 Prozent bei Aufnahme von 50 Gramm rotem Fleisch oder Wurstwaren pro Tag. Da können aufgeklärte Verbraucher also selbst dazu beitragen, ihr Krebsrisiko zu senken! Eine vegetarische Ernährung kann alles liefern, was der Körper braucht.
Wenn in Fleischersatzprodukten hochwertiges Protein verwendet wird, wieso nicht? Allerdings ist bei veganer Ernährung die optimale Versorgung des Körpers mit Nährstoffen schwieriger zu erreichen, gegebenenfalls muss auf Nahrungsergänzungsmittel zurückgegriffen werden. Bei veganen Produkten steht neben dem gesundheitlichen Aspekt mindestens gleichwertig der ethische Aspekt.
Gibt es ein Lebensmittel, das Sie nicht essen würden?
Lehmann: Aus persönlichen Gründen: Pferde- und Kaninchenfleisch. Als Lebensmittelchemikerin: rohe, nicht blanchierte Sprossen. Erst recht nicht, wenn sie selbst auf der Fensterbank gezogen wurden. Das Risiko einer mikrobiologischen Infektion ist mir zu hoch. Persönlich ziehe ich frische, qualitativ hochwertige Lebensmittel hochprozessierten Fertiggerichten vor. Das liegt aber eher am höheren Genusswert als an gesundheitlichen Bedenken.
Welchen Verbrauchertipp kann die Lebensmittelchemikerin geben?
Lehmann: Erstens: Aufmerksam den Produktnamen lesen und sich gegebenenfalls über die Bedeutung der Begriffe informieren: „Fruchtnektar“ ist etwas anderes als „Fruchtsaft“, nämlich Fruchtsaft mit Wasser und Zucker gemischt). Und Vanille- oder Erdbeer-„Geschmack“ bedeutet meist, dass anstatt Vanille oder Erdbeeren nur die entsprechenden Aromastoffe verwendet wurden. Zweitens: Aufmerksam das Zutatenverzeichnis lesen. Wenn ein Erdbeerjoghurt zusätzliche Aromastoffe benötigt, um nach Erdbeeren zu schmecken, wird er mit weniger Erdbeeren hergestellt worden sein als einer, der ohne die Zugabe von Aromastoffen auskommt. Und er ist damit qualitativ minderwertiger. Die Reihenfolge der Zutaten auf der Zutatenliste richtet sich übrigens nach der Menge, beginnend mit der Zutat mit dem größten Anteil.