Wenn man in einer Stadt lebt und täglich die gleichen Wege geht, dann fallen einem viele Dinge gar nicht mehr auf. Manchmal müssen erst Menschen von außerhalb kommen, um mit ihrem frischen Blick Besonderheiten zu entdecken. Denn wenn man eine Stadt noch nicht kennt, betrachtet man die Dinge häufig genauer. Das stellte auch Andreas Kutschelis fest, als er Besuch aus Irland bekam.
Dass Würzburg durch seine irischen Schutzheiligen Kilian, Totnan und Kolonat einen besonders engen Bezug zur grünen Insel hat, wusste Kutschelis als Historiker mit besonderem Faible für Stadtgeschichte und bekennender Irland-Fan selbstverständlich. Schließlich hat er viel über die drei gelesen, die um 686 aus Irland nach Würzburg kamen, um die Menschen zum christlichen Glauben zu bekehren.
Die wegen ihrer praktischen Kenntnisse in Landwirtschaft und somit auch als Entwicklungshelfer sehr geschätzten Missionare überwarfen sich dann aber mit Herzog Gozbert und dessen Gattin Gailana und mussten diesen Streit mit dem Leben bezahlen. Sie wurden 689 ermordet. Rund 60 Jahre nachdem die Mörder die Gebeine zunächst unwürdig verscharrt und einen Pferdestall darüber gebaut hatten, ließ Würzburgs erster Bischof Burkard den drei irischen Mönchen die Ehre zuteilwerden, die sie verdienten: Er ließ die Gebeine ausgraben, würdig nachbestatten und die drei Iren 752 zu Heiligen erheben.
Wo in Würzburg die irischen Orte sind
Ihre Schädelreliquien und Gebeine ruhen heute im Altar des Kiliansdoms und in der Krypta der Neumünsterkirche. Sie werden alljährlich in der Zeit der Kiliani-Oktav, also der Woche um den 8. Juli, bei einer feierlichen Prozession durch die Stadt getragen, während auf dem Talavera das gleichnamige Volksfest stattfindet.
„Bisher habe ich immer gedacht, dass der Kiliansdom und die Neumünsterkirche deshalb sozusagen die irischsten Orte der Stadt sind“, sagt Kutschelis. Doch dann kam eben besagter Besuch aus Irland und entdeckte quasi gleich bei der Ankunft ein ganz besonders irisches Zeichen auf dem Bahnhofsvorplatz. Damit ist nicht der Heilige Kilian gemeint, sondern das keltische Kreuz, das er in der Hand hält und hoch hinauf in den unterfränkischen Himmel streckt.
Ein frühmittelalterliches Element sakraler Kunst
„Ich habe dieses Kreuz noch nie bemerkt, und dies, obwohl ich mich sowohl für die Geschichte der Stadt als auch für Irland sehr interessiere“, wundert sich Kutschelis. „Es ist ein frühmittelalterliches Element sakraler Kunst, ein Balkenkreuz mit verlängertem Stützbalken, bei dem um den Schnittpunkt der Balken ein Ring liegt“, begeistert sich der Historiker und fährt fort: „Sogar die Knotenmuster der frühirischen Radkreuze sind auf dem Kreuz dieses Bronzekilian von 1895 angedeutet! Zudem ist sein Bischofsstab gerade kein Krummstab! Irische Ironie würde fragend konstatieren, ob hier womöglich Würzburg am irischsten ist!“
Kutschelis weist darauf hin, dass die Missionare nicht der einzige Irland-Bezug sind. Lola Montez, Geliebte Ludwigs I., kam aus Irland. Ihr Name war ein Pseudonym, das sie sich nach einem Spanienaufenthalt zugelegt hatte. Dann gibt es eine irische Partnerstadt – Bray in der Grafschaft Wicklow. Und letztendlich, sagt Kutschelis, erinnere das Keltenkreuz auf dem Bahnhofsvorplatz noch an das Schicksal des irischen Freiheitshelden Roger Casement, der in seinem bedeutenden "Berlin Diary" Würzburg als Aufenthaltsort seines päpstlichen Seelsorgers, des Augustinerpaters Canice O’Gorman nennt.
Kilian als Vorbild für das Martyrium Irlands
Und Kutschelis hat noch mehr irisch-würzburgische Bezüge ausgemacht: „Für das ranghöchste militärische Mitglied der Casement’s German Irish Brigade, Sergeant Major Michael Patrick Keogh, galt der irische, quasi erste Würzburger Bischof, immer als Vorbild für das Martyrium seines Landes unter der Krone Englands. Und auch als Vorbild für alle irischen Soldaten, die gegen diese Unterdrückung kämpften.“ Keogh wusste auch um den Würzburger Brunnen. Wie er darauf aufmerksam wurde? Er war, wie auch sein Kamerad Jeremiah O’Callaghan, seit 1919 mit einer Frau aus dem Würzburger Umland verheiratet.
„Auch im Bereich der neueren irischen Geschichte gibt es also Würzburger Bezüge“, freut sich Kutschelis. Ebenso begeistert ist er von dem Keltenkreuz – und seinem Standort am Bahnhof. Symbolisiere es dort doch nicht nur die frühe christliche Botschaft, sondern es markiere gerade auch nach alter irischer Tradition einen gesellschaftlichen Treffpunkt. Doch dort stand Kilian mit dem Kreuz nicht immer: Nachdem Prinzregent Luitpold der Stadt Würzburg den Brunnen 1895 geschenkt hatte, wurde Kilian 1942 unsanft von seinem Sockel geholt: Die Brunnenfigur – samt Kreuz – teilte im Zweiten Weltkrieg das Schicksal vieler Glocken und Figuren und sollte eingeschmolzen und zu Kanonenfutter umfunktioniert werden.
Die Stadt kaufte die Figur von einem Schrotthändler zurück
Doch Kilian wurde gerettet: Die Würzburger Heiligenfigur fiel in die Hände eines Hamburger Schrotthändlers, die Stadt kaufte sie zurück. „Für die Iren mit ihrem Sinn für Mystik dürfte es kein Zufall gewesen sein, dass dieser Heilige nach seiner Demontage durch die Nazis 1942 auf dem ‚Hamburger Glockenfriedhof‘ vor dem Einschmelzen zu Kanonen bewahrt wurde; weil die Glocken zuerst drankamen und für den Würzburger Heiligen das Unrechtsregime gerade noch rechtzeitig endlich selbst zerschmolz“, sagt Kutschelis.
Er kennt auch noch ein kleines Detail: „Hinter seiner rechten Sandale beurkundet eine Gravur von 1942 noch heute die Demontage.“ Sieben Jahre, nachdem man ihn so unsanft von seinem Sockel geholt hatte, wurde die Figur in Anwesenheit von Bischof Julius Döpfner und Oberbürgermeister Franz Stadelmayer wieder auf den Brunnen montiert.
„Für die damaligen Würzburger symbolisierte das den Wiederaufbau, die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft in Verbindung mit ihrer 1945 doch nicht komplett vernichteten über tausendjährigen Vergangenheit. Iren würden hier die segnende Wirkung des Heiligen Kilian für gewiss halten“, ist sich Kutschelis sicher. Zumal der Heilige ja auch noch das Keltenkreuz in Händen hält.
Text: Eva-Maria Bast
Der Text stammt aus dem Buch „Würzburger Geheimnisse - Band 2“ von Eva-Maria Bast, das in Kooperation mit der Main-Post entstand. Das Buch enthält 50 Geschichten zu historischen Geschehnissen und Orten. Präsentiert werden die Begebenheiten jeweils von Würzburger Bürgern.