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WÜRZBURG
Warum es am Äquator wimmelt
Ein Klimagefälle, wie man es an kaum einem anderen Ort der Welt so groß auf kleinem Raum findet: der Kilimandscharo in Tansania. Würzburger Forscher haben dort die Artenvielfalt untersucht – mit bislang einzigartig vielen Gruppen von Tieren und Pflanzen. Das Foto entstand auf einer Höhe von etwa 3800 Metern.
Foto: Andreas Ensslin | Ein Klimagefälle, wie man es an kaum einem anderen Ort der Welt so groß auf kleinem Raum findet: der Kilimandscharo in Tansania.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:48 Uhr

Es ist überschaubar an den Polen. Eisbären und Pinguine, Robben und Walrosse. Dazu ein paar Fischarten, Moschusochsen, Küstenseeschwalben. Und echte Anpassungskünstler wie Algen und Kleinstlebewesen, die im Meereis oder an seiner Unterseite leben und denen das minus zwei Grad Celsius kalte Wasser nichts anhaben kann. Es gibt Leben in den arktischen Regionen der Erde, sogar mehr als mancher denkt. Und doch stellt sich die Vielfalt an Tieren und Pflanzen in der Arktis und Antarktis für die Biologen recht übersichtlich dar.

In den Tropen dagegen ist der Artenreichtum noch längst nicht erfasst: Die Gegenden am Äquator bersten geradezu vor Vielfalt und Fülle unterschiedlichster Lebewesen. Da wimmelt, kreucht und fleucht es, im Boden, am Boden und in der Luft. Und immer noch werden unbekannte Pflanzen und Tiere entdeckt, immer wieder kommen neue Arten dazu.

Doch wieso ist das so? Warum ist die Vielfalt in Flora und Fauna auf der Erde so unterschiedlich verteilt? Wodurch kommt dieses Ungleichgewicht zwischen Tropen und höheren Breiten zustande?

„Das ist nach wie vor eine Kernfrage der Ökologie“, sagt Professor Ingolf Steffan-Dewenter vom Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie an der Universität Würzburg. Vor zehn Jahren wurde das Rätsel der Artenvielfalt von den Herausgebern des Fachmagazins „Science“ zu den 25 wichtigsten ungeklärten Fragen der Wissenschaft gezählt. Und bis heute wird darüber kontrovers diskutiert, sind mehrere Hypothesen im Umlauf.

Große Artenvielfalt, kleine Artenvielfalt: Liegt das am Wasser? Am Klima? An der Geoografie?

Zum Beispiel die, dass die „Primärproduktivität“ eines Lebensraums am Ende über die Anzahl der Arten dort entscheidet. Also die Menge an Pflanzen, die es zum Fressen gibt, die Summe der Nährstoffe, die zur Verfügung stehen. „Vereinfacht gesagt: Von einem größeren Kuchen können sich mehr Arten ernähren als von einem kleinen Kuchen“, erklärt Ökologe Dr. Marcell Peters. Eine andere Hypothese geht davon aus, dass Evolutionsraten und die Bildung von Arten von der Temperatur abhängen. Demnach existieren in einem wärmeren Klima mehr Arten als in einem kalten. Oder ist es doch das Wasserangebot? Die Ausdehnung eines Lebensraums? Sind geografische Rahmenbedingungen entscheidend?

Untersucht wurden all diese Hypothesen bisher meist anhand bestimmter Artengruppen: Die Wissenschaftler betrachteten zum Beispiel Vögel. Oder Bienen. Oder Fledermäuse. Oder Ameisen. Oder sie untersuchten Farne und analysierten deren Vielfalt in verschiedenen Regionen der Welt – in Nordamerika etwa oder entlang des Höhenunterschieds in den Alpen. „In der einen Studie fand man diese, in der anderen Studie jene Hypothese gestützt“, sagt der Würzburger Biologe Marcell Peters. Doch so viele Einzelbeobachtungen es zu kleinen Gruppen von Organismen auch bislang gab, von einer „allgemeinen Regel“ für die Ökologie und Artenvielfalt sei man durch die unterschiedlichen Resultate weit entfernt, so Peters.

Das besondere: Viele Tierarten, viele Pflanzenarten in einer Region beobachtet

Die Würzburger Ökologen wollten der Frage umfassender nachgehen. An möglichst einem Ort – mit möglichst vielen verschiedenen Tier- und Pflanzenarten.

Am Kilimandscharo haben sie – mit viel Akribie und großem Einsatz – mit Kollegen in den vergangenen vier Jahren eine Studie erarbeitet, die bislang einzigartig ist: Denn mitten in Ostafrika, einer Gegend mit einem der größten Klimagefälle der Erde, betrachteten sie parallel so viele Tier- und Pflanzengruppen wie nie zuvor. Farne, Gräser und Korbblütler, Fledermäuse, Dungkäfer, Ameisen, Bienen und Vögel – insgesamt untersuchten die Forscher acht Gruppen von Pflanzen und 17 Tiergruppen. 38 Wissenschaftler aus Deutschland, Tansania und anderen Ländern waren beteiligt, erzählt Marcell Peters. Um die Feldarbeit kümmerten sich vor allem viele Doktoranden, dazu kamen vor Ort rund 50 Fahrer, Träger und andere Hilfskräfte. Denn um manche Flächen zu erreichen, waren Bergwanderungen von mehreren Tagen nötig.

Kilimandscharo: Der Ort mit dem größte Klima-Gradienten

Das Studiengebiet erstreckte sich von den Savannen an der Südseite des Kilimandscharo auf 800 Metern Höhe bis zu den Lebensräumen auf 4550 Metern, wo Pflanzen gerade noch so wachsen. Das Temperaturgefälle ist entsprechend groß: Wenn es am Fuß des Berges eine mittlere Jahrestemperatur von 23 Grad hat und in der Savanne schon mal über 40 Grad heiß werden kann, so sind es 4000 Meter höher nur noch ein bis zwei Grad im Schnitt. Am höchsten freistehenden Berg der Erde herrschen auf kleinem Raum Klimabedingungen, wie man sie sonst anderswo am Äquator oder in Norwegen findet. 30 Untersuchungsflächen insgesamt hatten die Wissenschaftler festgelegt. Die Daten über alle Gruppen wurden jeweils auf den gleichen Flächen und in der gleichen Zeit erhoben. „So konnten wir nicht nur den Artenreichtum jeder einzelnen Gruppe analysieren, sondern den von ganzen Lebensgemeinschaften“, sagt Marcell Peters, selbst Tierökologie mit Spezialgebiet Ameisen und im Projekt vor allem Experte für die statistische Datenauswertung.

Je höher die Temperatur, desto größer die Vielfalt

Das Ergebnis heißt, auf einen Nenner gebracht: Je wärmer es ist, umso größer ist die Vielfalt. Ganz offensichtlich wird der Artenreichtum in den verschiedenen Lebensgemeinschaften alleine durch die Temperatur bestimmt. „Je mehr Gruppen von Tieren und Pflanzen man parallel untersucht, desto stärker kristallisiert sich die Temperatur als wichtigster Faktor heraus“, sagt Marcell Peters. Und die Bedeutung aller anderen Variablen nimmt entsprechend ab.

Für Lehrstuhlinhaber Ingolf Steffan-Dewenter und das Team ist das ein starkes Indiz dafür, dass es tatsächlich die Temperatur ist, die über die Biodiversität bestimmt, nicht die „Produktivität“, das Nahrungsangebot oder die Größe von Lebensräumen. Die Studie sei beispiellos mit Blick auf die Anzahl von Gruppen, die „Verallgemeinerungen und Schlussfolgerungen zulassen, die mit früheren Datensätzen nicht möglich waren“.

Bei etwa 50 Prozent der Gruppen, berichten die Würzburger Tierökologen, sei die Temperatur der stärkste Faktor für den Artenreichtum gewesen, bei der anderen Hälfte schienen andere Variablen größere Bedeutung zu haben. So fanden die Forscher in der tief gelegenen und besonders warmen Trockensavanne für die meisten Gruppen die höchste Artenvielfalt, obwohl dort die Niederschläge gering ausfallen und auch das Angebot an Futter nicht gerade üppig ist.

Dass die Temperatur der primäre Faktor für die Artenvielfalt ist und erst danach die Verfügbarkeit von Wasser entscheidend wird, gilt offenbar nicht nur für Höhenstufen in Gebirgen, sondern auch für Landschaftsgürtel entlang geografischer Breiten.

Jetzt wollen die Forscher wissen: Wie wirkt sich Landnutzung auf die Artenvielfalt aus?

Für die Würzburger Tropenbiologen geht die Arbeit weiter: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert die Arbeit der Forschergruppe drei weitere Jahre. Jetzt geht es darum, wie sich die Landnutzung auf die Biodiversität und Artenvielfalt auswirkt, sagt Peters. Vor allem auf den mittleren Höhen des Kilimandscharo hat die Landwirtschaft stark zugenommen. Europäische Unternehmen haben große Kaffeeplantagen anlegen lassen, Maisanbauflächen verdrängen die kleine Waldwirtschaft mit Kochbananen und Cassava. „Der Bergwald“, sagt Peters, „ist schon reduziert.“

Experte für Ameisen und in den vergangenen vier Jahren vor allem mit statistischer Datenanalyse beschäftigt: Der Würzburger Tierökologe Dr. Marcell Peters untersucht mit einem großen Team die Artenvielfalt am Kilimandscharo.
Foto: Peters | Experte für Ameisen und in den vergangenen vier Jahren vor allem mit statistischer Datenanalyse beschäftigt: Der Würzburger Tierökologe Dr.
 
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