Dieses Grabmal gibt Rätsel auf, dort steht geschrieben: "Dem Andenken der während des Feldzugs 1870/71 hier verstorbenen französischen Krieger". Es folgen die Namen und Herkunftsorte von sechs französischen Offizieren, dann noch: R. I. P. – requiescat in pacem. Besonders spannend aber ist die letzte Zeile: "Gewidmet von der Stadt Würzburg".
Warum widmet die Stadt Würzburg französischen Soldaten ein Grabmal? Ausgerechnet 1870/71? Im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 war Frankreich schließlich Feindesland und kämpfte gegen den Norddeutschen Bund sowie Bayern, Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt! "Genau deshalb ist das für mich ja so ein ungewöhnliches und anrührendes Denkmal", sagt Andreas Kutschelis. Er deutet auf den efeubewachsenen Stein, auf dem neben Inschrift und Namen auch ein Schwert und ein Stahlhelm zu sehen sind: "Wenn man so will, handelt es sich hierbei um ein Memento mori des Krieges, das aber nicht die eigenen gefallenen Söhne ehrt, sondern den Gegner. Und zwar auf eine sehr noble, ja fast schon prächtige Weise! Was für eine Haltung. Im grausamen 20. Jahrhundert war sie längst abhandengekommen."
Ein kunsthandwerklich hochkarätiges Grabmal
Beeindruckt ist der Historiker auch davon, wie detailgetreu das kunsthandwerklich ausgesprochen hochkarätige Grabdenkmal gearbeitet ist. Und wie viel Militär- und Staatssymbolik des Zweiten Französischen Kaiserreichs darin steckt: Ein napoleonischer Tschako – eine zylindrische Kopfbedeckung im Militär – ist von einem großen Lorbeerkranz mit Schleife umgeben, unter beide ist ein inzwischen leider abgebrochenes Schwert geschoben. "Es lohnt sich, die Einzelheiten genauer zu betrachten. Denn in der ausgeführten Exaktheit der Uniformkunde spiegelt sich die ganze Hochachtung vor dem Gegner", unterstreicht Kutschelis. "Sie ist eben kein reines Verliebtsein in Zeichen und Symbole, für die heutzutage meistens jegliches Verständnis bei uns fehlt."
Der Tschako zeigt vorn, auf Blitzen ruhend, den napoleonischen Adler, gekrönt von der französischen Kaiserkrone. Unter ihm sitzt eine von der Zahl 18 durchbrochene kleine Platte. "Es handelt sich bei denen, derer man hier gedenkt, also um Offiziere des französischen Infanterie-Regiments Nr. 18. Vorn über dem Helm ist der üblicherweise rote Wollpompon, oder auch Aurora-Pompon, deutlich zu erkennen. Das ist ein typisches Schmuckstück bei Paradeuniformen Frankreichs, auch heute noch", weiß Kutschelis.
Welche Kampfhandlung der Hintergrund war, steht nicht fest
Welche Schlacht es genau war, bei der die sechs Franzosen von deutscher Seite gefangengenommen wurden und dann in Würzburg in Kriegsgefangenschaft mussten, lässt sich nur schwer beantworten. "Es muss auch nicht unbedingt bei einer größeren Schlacht gewesen sein, es kann auch im Rahmen des Vormarsches bei kleineren Geplänkeln eine Gefangennahme passiert sein", überlegt Kutschelis. Und sie waren nicht die einzigen Kriegsgefangenen in Würzburg: Insgesamt rund 5000 französische Kriegsgefangene hatte das damals etwa 40 000 Einwohner zählende Würzburg zu beherbergen, sie machten also 12,5 Prozent der Einwohnerschaft aus.
Warum aber bekamen die auf dem Grabmal namentlich Genannten eine derartige Widmung und alle anderen nicht? Waren sie etwa die einzigen, die in Würzburg starben? Und alle anderen kehrten glücklich nach Hause zurück? Kutschelis verneint: Viel mehr Kriegsgefangene seien an Seuchen oder Verletzungen gestorben, wie viele, lasse sich allerdings nicht sagen. "Bis März 1871 wurden die Franzosen aber noch auf dem alten Würzburger Militärfriedhof beigesetzt, das wurde dann geändert", erklärt er und vermutet, dass die sechs Männer nach März 1871 verstarben.
"Ich glaube, dass das hier als neue Begräbnisstelle für die französischen Kriegsgefangenen gedacht war. Zu dem Zeitpunkt konnte noch niemand ahnen, wann und wie schnell der Krieg zu Ende sein würde, man rechnete damit, sicher noch etliche Franzosen dort beerdigen zu müssen. Dann war aber bald der Frieden da, nämlich am 10. Mai 1871, und die Franzosen waren wieder weg." Wenn Kutschelis’ These stimmt, dann ist also ein überraschend schneller Frieden der Grund dafür, warum hier "nur" sechs verstorbene französische Kriegsgefangene gewürdigt werden. Allein: Für sie kam der Friede zu spät.
Text: Eva-Maria Bast
Der Text stammt aus dem Buch „Würzburger Geheimnisse - Band 2“ von Eva-Maria Bast, das in Kooperation mit der Main-Post entstand. Das Buch enthält 50 Geschichten zu historischen Geschehnissen und Orten. Präsentiert werden die Begebenheiten jeweils von Würzburger Bürgern.