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WÜRZBURG
Warum die vhs so wichtig wie vor 100 Jahren ist
Stefan Moos Volkshochschule       -  Der Leiter der Würzburger Volkshochschule Stefan Moos
Foto: Daniel Peter | Der Leiter der Würzburger Volkshochschule Stefan Moos
Wolfgang Jung
Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:30 Uhr

Faulheit und Feigheit, schrieb 1784 der Aufklärer Immanuel Kant, seien die Ursachen, „warum ein so großer Teil der Menschen (…) gerne zeitlebens unmündig“ bleibe. Sie machten es anderen leicht, „sich zu deren Vormündern aufzuwerfen“. Der Aufruf zum Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, war der Wahlspruch der Aufklärung.

134 Jahre später, am 25. November 1918, gründeten Honoratioren die Volkshochschule (vhs) Würzburg. Auf ihrer Webseite berichtet sie, laut dem „Würzburger General-Anzeiger“ (WGA) seien 800 Leute zur Gründungsversammlung gekommen. Das stimmt nicht, die Zahl stammt wahrscheinlich aus einem Bericht über eine spätere Versammlung der Sozialdemokraten. Dem „WGA“ zufolge kamen Bürger aus allen Teilen der Gesellschaft zusammen, eine Zahl nannte das Blatt nicht.

Gründung in unruhiger Zeit

Der SPD-nahe „Fränkische Volksfreund“ stellte den Zweck der Volkshochschule vor: eine Bildungsstätte für das Volk solle sie sein, in der „jedermann“ Gelegenheit gegeben werden soll, „sein Wissen in politischen, natur- und geisteswissenschaftlichen sowie allen Gegenständen der praktischen und elementaren Bildung zu bereichern und zu vertiefen“.

Die Würzburger gründeten ihre Volkshochschule in einer unruhigen Zeit. Am 7. November hatten Revolutionäre Bayerns König Ludwig III. gestürzt, am 8. November der Sozialist Kurt Eisner den Freistaat Bayern ausgerufen. Am 11. November ist die Niederlage des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg besiegelt. In Würzburg wie anderswo regieren revolutionäre Arbeiter- und Soldatenräte. Die Lebensmittel sind knapp, Hunderte Hungrige pilgern Tag für Tag zur Armenspeisung. Eine Grippe-Epidemie, die Dutzende Tote forderte, ist gerade ausgestanden. Stadt und Land stehen vor einem fundamentalen Umbruch. Von der Zukunft ist nur gewiss, dass sie umkämpft sein wird.

Auflösung wegen demokratischer Tendenzen

Die Gründung der Volkshochschule in dieser chaotischen Zeit ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer neu gewonnenen Freiheit. Die Würzburger wollten sie schon lange, aber im Königreich Bayern war sie ihnen verboten.

Bildung ist ein Politikum. Im August 1848 gründen Arbeiter und Handwerksgesellen einen Arbeiterverein mit dem Zweck, Arbeiter „durch Lehre und Tat“ zu fördern. Bildung ist für sie der „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“, von dem Kant sprach. Ihr Ziel formuliert Karl Marx: Bildung solle „die gemeinsame Beherrschung der Produktion und die gemeinsame Verwaltung der Gesellschaft“ vorbereiten. Nach zwei Jahren harter Verfolgung löst das Königreich den Arbeiterverein auf, wegen demokratischer Tendenzen.

Willfährige Untertanen

Umstritten war Jahrhunderte lang, wer was wissen darf und was rechte Bildung ist. Kern der universitären Bildung war die Theologie. Im Hochstift Würzburg, bis 1802 ein selbstständiger Staat mit dem Fürstbischof als geistlichem und weltlichem Herrscher, gilt seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Schulpflicht. Über die Bildungsinhalte entschied der Klerus.

Wissend, dass Wissen Macht ist, verhinderten die Geistlichen energisch Pläne aus der Bürgerschaft, sich selbst mit Wissen zu versorgen, etwa in Lesegesellschaften. Vor 100 Jahren noch wehrte die katholische Bischofskonferenz sich vehement gegen die Absicht des jungen Freistaats Bayern, den Kirchen die Schulaufsicht abzunehmen.

Kirche, Königreich und später die Nationalsozialisten schulten die Menschen zu willfährigen Untertanen und Mitläufern. Freie Bildung erkannten sie als subversiv, demokratisch und revolutionär. Stefan Moos, der heutige Leiter der vhs sagt, „ein gebildeter Bürger war immer gefährlich“.

Ein Mittel gegen Falschmeldungen

Würzburger Volkshochschulgründer sind zwei Universitätsprofessoren, ein Domherr und ein führender Sozialdemokrat. Katholische Vereine unterstützten sie ebenso wie die Vereine aus dem sozialdemokratischen Milieu. Ob die sehr unterschiedlichen Akteure ein gemeinsamer Wille zur Volksbildung zusammenhielt oder die Absicht, der anderen Partei nicht die Bildungsinhalte allein bestimmen zu lassen, ist unbekannt.

1933 löste die Volkshochschule sich auf, bevor die Nationalsozialisten sie mit anderen Vereinen gleichschalten konnten. Die Nazis, so scheint es, haben fast ihren kompletten Aktenbestand vernichtet. Offenbar ist nur ein Stundenplan aus dem Wintersemester 1919/20 übriggeblieben. Erst 1955 gründeten die Würzburger die Volkshochschule wieder.

Volkshochschul-Chef Moos meint, sie sei heute so wichtig vor 100 Jahren: „Wir brauchen wieder mehr Bildung und Kompetenz, Menschen, die unterscheiden können, was falsch und richtig ist, die Informationen nicht nur reinfressen, sondern unterscheiden können.“ Das sei gerade jetzt wichtig, angesichts der gezielten massenhaften Verbreitung von Falschmeldungen in den Sozialen Medien. Unwissenheit, sagt er, führe immer zu Unterdrückung.

 
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