Mit 40 Paar Ski, rund 20 Paar Schuhen und ein paar zusammengekauften Snowboards fing Andreas Gstrein 1998 an mit dem Verleih- und Servicegeschäft. Heute hat seine „Südtiroler Skiklinik“ in Unterpleichfeld rund 750 Paar Ski – und eine riesige Kundenkartei. Wie schafft man das, fernab der Bergwelt in eher schneearmer Gegend zu einem Treffpunkt für Wintersportler aus dem weiten Umkreis zu werden? Und warum fährt der 63-Jährige nie in der Rhön?
Herr Gstrein, wie verschlägt es einen Südtiroler denn nach Unterfranken, ins Flachland?
Andreas Gstrein: Beruflich. Ich war bis 1980 in Südtirol kreuz und quer in verschiedenen Jobs unterwegs – und dann hatte ich die Schnauze voll. Dann ist mir Südtirol zu eng geworden. Zufälligerweise habe ich dann einen Münchner kennengelernt, der in einer Warenhauskette die Wintersportabteilung geleitet hat. Durch den kam ich im Winter nach München. Im dritten Jahr hat er mich nach Würzburg geschickt. Wir waren zuständig für Skiservice, Verkauf, alles. . . Dann hat mich Sport Spohr geholt, erst als Werkstattleiter, später habe ich Einkauf und Verkauf geleitet. Ich komm' ja eigentlich aus dem Rennlauf und bin früher in Italien Rennen gefahren.
Die schnellen Disziplinen oder Slalom?
Gstrein: Technik! Slalom, Riesenslalom. So fahre ich auch heute noch. Für mich ist Skifahren Kurzschwung. Geschwindigkeit hat mich noch nie interessiert. Kurzschwung! Nicht nur gerade runter, sondern genießen. Am liebsten fahre ich Buckelpisten oder wenn es im Frühjahr so richtig sulzig wird, worüber alle jammern. Die Buckel schön ausfahren und nicht einfach runterheizen – das ist Skifahren.
Sport Spohr hat 1997 zugemacht . . .
Gstrein: . . . und dann habe ich mich in ganz Unter-, Ober- und Mittelfranken in allen großen Sportgeschäften beworben. Aber niemand hat einen Werkstattleiter gebraucht. Da gab es zwei Möglichkeiten: zurück nach Südtirol oder dableiben und eine Schnapsidee umsetzen und sich selbstständig machen.
Die Berge haben nicht gelockt, wieder gerufen?
Gstrein: Ja und nein. Ich bin immer in den Bergen. Im Winter bin ich im Monat zwei-, dreimal unten als Skilehrer oder Reiseleiter. Und im Sommer fahre ich mit dem Mountainbike mindestens einmal im Monat runter. Aber ich brauche Freiheit, brauche Luft. In Südtirol in den Tälern drinnen, immer die gleichen Leute um dich, die gleichen Berge. Als Tourist sieht das anders aus.
Die Schnapsidee war dann vor 20 Jahren die Skiklinik.
Gstrein: Ich wollte was mit Ski zu tun haben. Nur, allein vom Service kannst du nicht leben. Aber vor 20 Jahren hat man im Gebirge gemerkt, dass es mit dem Skiverleih losgeht. In Würzburg hat das damals kein Sportgeschäft angeboten. Die Einstellung zum Urlaub hat sich total geändert. Früher hat man zwei, drei Wochen am Stück Skiurlaub gemacht. Heute ist es viel, wenn jemand eine Woche unterwegs ist. Die Leute gehen zweimal ein Wochenende in die Berge. Vielleicht mal drei oder vier Tage – aber keine zwei Wochen am Stück.
Wann ist ein Ski alt? Wie lange hält ein Ski?
Gstrein: Ich rechne nie nach Jahren, sondern nach Tagen. Es kommt drauf an, wie oft die Ski gefahren werden. 50, 60 Skitage – dann ist ein Ski fertig. Manchmal sticht ein Ski mit seiner Farbe ins Auge, speziell bei den Frauen – dann will den jede und der Ski ist jedes Wochenende draußen. Nach einem Jahr wird der aussortiert.
Dann ist das kein Klischee? Dachte, das sei nur eine Verkaufsmasche, mit den Trendfarben der Saison. . .
Gstrein: Aber es ist so. Mit den Farben ist es echt krass. Das ändert sich so schnell, von einem Jahr zum andern. Viele gehen nicht nach Qualität, sondern Farbe.
Was fahren Sie selbst denn für Ski?
Gstrein: Ich habe immer zwei Paar dabei, immer. Ich passe mich ein bisschen den Gegebenheiten der Piste und dem Schnee an. Ich habe prinzipiell einen Slalom-Rennski dabei, für die Piste. Und wenn wir traumhafte Schneeverhältnisse haben, so wie heuer, nehme ich einen richtig breiten Ski fürs Gelände.
Dann sind Carving-Ski . . .
Gstrein: Es gibt nur noch Carving-Ski. Ausschließlich. Einfacher zu lernen, einfacher zu fahren. Die Ski haben die Form einer Frau, sagen wir immer. Wenn du dich je auf die Seite legst, auf die Kante, dann geht der Ski ganz von alleine. Wenn der Ski aber gerade ist. . .
. . .muss ich was können . . .
Gstrein: Muss ich was können und was dafür tun. Die Leute können heute nicht besser Skifahren, aber sie haben es einfacher. Die meisten stellen sich ohne Skikurs auf die Carvingski, rutschen runter wie früher – und wissen gar nicht, was sie mit dem Produkt machen könnten. Wenn ich von einem Polo auf einen Porsche wechsle, sollte ich eigentlich auch ein Fahrsicherheitstraining machen.
Was ist mit Snowboards?
Gstrein: Im Gebirge ist der Trend eindeutig rückläufig. Bedingt durch die Bauweise der neuen Ski, die hinten und vorne aufgerundet sind. Mit denen kann ich höhere, weitere Sprünge machen und mehr Figuren. Und ich habe zwei Stöcke und komme weiter! Wenn ich mit dem Snowboard im Tiefschnee stecke, dann stecke ich.
Fahren Sie immer ins gleiche Skigebiet? Immer Südtirol?
Gstrein: Nur Südtirol. Entweder Jaufenpass-Ratschings oder Kronplatz. Das hat ein bisschen mit Dreisatz zu tun. Die Hotels sind in Südtirol noch günstiger als in Österreich, der Skipass ist günstiger. Die Preise von Essen und Trinken auf der Hütte sind noch vernünftig.
Mit Dreisatz – und Heimatliebe?
Gstrein: Nein, nicht unbedingt. Heimat ist relativ. Aber man muss einfach sagen, und da kann man fragen, wenn man will: Es gibt da die bessere Schneequalität! Und was Südtirol auszeichnet: das Klima, die Temperaturen. In Südtirol hast du einfach besseres Wetter.
Stichwort Massentourismus, immer gigantischere Skigebiete in den Alpen – wie hat sich das in Ihrer Rückschau in den 20 Jahren verändert?
Gstrein: Es gibt bestimmte Skigebiete, die haben mit Sicherheit in den vergangenen Jahren in dieser Hinsicht sehr, sehr zugenommen. Die typischen Apres-Ski-Gebiete: Ischgl, Saalbach, Sölden, Zillertal, Obertauern. Und was extrem zugenommen hat: das Mountainbiken. Im Wintersport ist es sonst wie immer.
Sind die Unterfranken eigentlich passable Skifahrer?
Gstrein: Sagen wir es mal anders: Es gibt gute Skifahrer, aber die sagen das nicht. Die siehst du. Die anderen sind die Möchtegern-gute-Skifahrer. Bei den Frauen ist es genau andersherum. Die meisten, die in die Werkstatt kommen, wollen einfach Spaß haben.
Sie auch? Deshalb der Kurzschwung im weichen sulzigen Schnee?
Gstrein: Genau, wenn man es sich zutraut. Man braucht keine Kraft aufzuwenden. Man schwebt einfach den Berg hinunter. Im Frühjahr, wenn es viel Sulz gibt, tausche ich mittags den Ski. Dann wechsle ich vom kurzen zum breiten, langen Ski. Je mehr Sulz, desto interessanter wird der breite Ski.
Stichwort Skiklinik. Was sind die häufigsten Krankheiten, was ist der Job des Skidoktors?
Gstrein: Beläge wieder auf Vordermann bringen, schleifen, wachsen.
Wie ist es um die Qualität der Ski bestellt? Viel besser als vor 20 Jahren?
Gstrein: Die Qualität hat sich überhaupt nicht verändert. Es gab früher schon super Ski. Heute haben die Ski nur andere Materialien innen drinnen. Entscheidend ist Holz, und das gab es schon immer. Je mehr Holzschichten ich im Ski habe, desto mehr Klebestoffe habe ich, desto härter wird der Ski.
Fährt der Südtiroler auch in der Rhön Ski?
Gstrein: Prinzipiell nein. Von Montag bis Freitag habe ich nicht die Zeit, Samstag und Sonntag brauchst du da nicht reinzufahren, weil: Da ist es voll. Ich fahre nicht in die Rhön, um am Lift anzustehen. Da gehe ich lieber im Sommer hin, zum Mountainbiken. Ich hab nichts gegen die Rhön! Aber Skifahren? Nein.
Zu klein?
Gstrein: Nein, gar nicht. Ich brauche kein Skigebiet mit 150 Pistenkilometern. Ich liebe die kleinen Skigebiete. Schnee, Lift, super. Ich will nur keine Stunde warten.
Apropos Mountainbiken. Was macht der Skidoktor sonst im Sommer?
Gstrein: Beruflich? Bademeister.
Vom Berg an den Beckenrand? Wie kam das?
Gstrein: Durch einen Kunden, gleich in der ersten Saison der Skiklinik kurz vor Ostern. Da kam zufällig der Personalchef der Stadt Schweinfurt. Er hat gefragt, was ich im Sommer mache. Ob ich nicht Bademeister werden will. Am nächsten Tag bin ich hin, zwei Stunden später habe ich einen Job gehabt. Bergrettung kannte und konnte ich ja. Schwimmen ging auch. Jetzt bin ich seit 20 Jahren von März bis September Bademeister in Schweinfurt. Und Saunameister.
20 Jahre Skilehrer, Bademeister – da muss man ein echter Menschenkenner sein. Oder werden.
Gstrein: Zumindest hat man das ganze Jahr über mit Menschen zu tun, ja. Und weiß: Es gibt solche und solche. Und man sieht, wie sich die Leute verändert haben. . .
Nämlich?
Gstrein: Es ist eine Ellenbogen-Gesellschaft geworden. Man muss sich heute im Beruf mit Ellenbogen durchsetzen. Das färbt auf alles ab. Und Wohlstand verändert den Charakter. Wenn man aus den Bergen kommt, kennt man das Miteinander. Da braucht man sich gegenseitig, es geht nicht gegeneinander.