Wer Vitrinen erwartet, restaurierte Kostbarkeiten und Tafeln mit historischen Erläuterungen, wird überrascht sein. All das gibt es nicht. Das Würzburger Eisenbahnmuseum hat auf den ersten Blick so gar nichts von "Museum" an sich. Und deshalb auch keine regulären Öffnungszeiten. "Eigentlich sind wir eine Museumswerkstatt", meint Einrichtungsleiter Christian Krodel. Andere sprechen vom "fahrenden Museum". Den spätestens dann, wenn die Loks durch die Gegend tuckern, wird, wie in einem "echten" Museum, Geschichte lebendig.
Das Würzburger Eisenbahnmuseum gehört der Deutschen Gesellschaft für Eisenbahngeschichte (DGEG) an. Seit rund 20 Jahren ist es auf einem 2500 Quadratmeter großen Areal zwischen dem alten Würzburger Rangierbahnhof und dem Bahnhof Zell beheimatet. In der großen Halle, wo gerade die Dampflok 52 7409 und die Diesellok V100 darauf warten, dass endlich sämtliche Defekte behoben sind, befindet sich eine Metallwerkstatt, in der all jene Ersatzteile hergestellt werden, die es nicht mehr zu kaufen gibt.
Auf dem Außengelände tummeln sich "Silberlinge" und andere historische Waggons. Fünf wären jederzeit einsatzbereit, weitere fünf warten darauf, aufbereitet zu werden. Das Museum besitzt außerdem einen Kilometer Schiene sowie sieben Weichen.
Herzstück ist die Dampflok 52 7409. Ohne sie würde es das Eisenbahnmuseum gar nicht geben. Dass in Würzburg eine alte Dampflok steht, ist Eisenbahnenthusiasten zu verdanken, die in den 1980er Jahren anregten, auf irgendeine Art und Weise an Würzburg als Eisenbahnerstadt zu erinnern.
Der Gedanke gefiel der Stadt. Doch: Wie sollte man erinnern? Da kam die Idee "Dampflok" auf. Eine ausrangierte Lok zu finden, war jedoch nicht einfach gewesen. In Österreich stöberte man schließlich die 52 7409 auf. Der 120 Tonnen schwere Koloss wurde 1943 in der "Lokomotiv-Fabriks-Aktien-Gesellschaft Wien-Floridsdorf" gebaut. Völlig verrostet kam die Lok vor 35 Jahren in Würzburg an. Tausende Arbeitsstunden waren nötig, um sie auf Vordermann zu bringen.
1998 ging es erstmals mit ihr auf dampfumwehte Tour. Doch schon 2011 war damit Schluss. Ein Achslagerschaden an der fünften Kuppelachse legte die Lok lahm. Seither wird an dem Koloss geschraubt. "Wir hoffen, dass wir sie heuer an Weihnachten endlich wieder einsetzen können", sagt Krodel.
Bis dahin ist allerdings noch viel zu tun. Die durchgerosteten Kesselrohre müssen ausgetauscht werden. Was aber erst geschehen kann, wenn der Motor der Diesellok V100, der gerade auswärts repariert wird, wieder eingebaut ist und funktioniert. Die V100 hat im Moment Priorität, denn sie wird dringend gebraucht: Mit ihr soll es am 11. Mai bei der ersten Nostalgiefahrt des Jahres 2019 durchs Werntal gehen. Die Zeit drängt. Wobei es einen Plan B gibt: Im Museum steht derzeit ein grüne, "Krokodil" genannte E-Lok aus Privatbesitz, die in zwei Monaten notfalls vor die historischen Waggons gespannt werden könnte.
Etwa zwei Dutzend Aktive, die sich für historische Technik begeistern, sind dienstagsabends und vor allem samstags in der 100 Jahre alten Werkhalle auf dem Museumsgelände zu Gange. Das Tüfteln macht Spaß, sagt Christian Krodel, gelernte Einzelhandelskaufmann, der vor zehn Jahren zu der Museumstruppe stieß. Und es stellt oft vor enorme Herausforderungen: "Wir mussten beispielsweise aus hunderten Einzelteilen den Führerstand unserer Dampflok neu zusammenbauen." Baupläne, Zeichnungen oder sonstige Unterlagen gab es nicht: "Wir besaßen nur ein paar alte Bilder." Es dauerte lange und es war viel Grips nötig, um das anspruchsvolle technische Puzzle zu lösen.
Viel zu wenige Eisenbahnfans, bedauert die Museumscrew, sind bereit, einmal in der Woche in den Blaumann zu schlüpfen und Getriebe zu fetten, Bremsen zu zerlegen, Waggons zu lackieren, Weichen zu warten oder Lampen in Wägen auszutauschen. Zwar fasziniert das Thema "Eisenbahn" nach wie vor. "Doch die wenigsten Modelleisenbahnbesitzen wollen sich mit echten historischen Bahnen beschäftigen", bedauert Stefan Gärditz, Geschäftsführer der zur Abwicklung des Sonderfahrtenbetriebs gegründeten DGEG Bahnen & Reisen Würzburg GmbH.
In der 35-jährigen Museumsgeschichte gab es schon manches Auf und Ab. 2018 war mal ein gutes Jahr. Bei der ersten Sonderfahrt bestiegen über 600 Gäste die Waggons. Das spülte richtig viel Geld in die Vereinskasse. Geld, das dringend benötigt wird. Denn weil es sich bei den meisten Loks und Waggons nicht um reine Ausstellungsstücke handelt, müssen die Fahrzeuge sicher sein. Regelmäßig steht ein "Eisenbahn-TÜV" an. Die Hauptuntersuchung einer Lok kann, inklusive sämtlicher notwendiger Reparaturen, bis zu 100.000 Euro verschlingen.
"Darum muss die V100 bald wieder fit sein", unterstreicht Sascha Fischer. Der 62-Tonner aus dem Jahr 1963 bringt viel Geld ein. Er steht zum Verleih und wird gern entliehen. Was mit der dritten Museumslok, der roten Kleinlok KöF 6731 aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich ist. Sie frisst sozusagen im Eisenbahnmuseum ihr Gnadenbrot.
Mit der Lok der Baureihe V100 zeigen die Eisenbahnfans des DGEG-Standorts Würzburg, wie sich die Deutsche Bundesbahn nach dem Krieg technisch neu aufstellte. Damals, sagt Stefan Gräditz, mussten immense Summen in Züge und die Infrastruktur investiert werden. Denn das meiste war zerstört. Was den Krieg überlebt hat, stammte großenteils aus den Jahren 1890 bis 1920.
Überhaupt ist es interessant, vor einer der alten Loks zu stehen und fachsimpelnd in die Geschichte des Eisenbahnwesens einzutauchen. Heuer steht sogar ein zumindest indirektes Jubiläum an: Vor 250 Jahren, nämlich am 5. Januar 1769, erhielt James Watt das Patent für seine Dampfmaschine. Der Schotte schaffte es, den Wirkungsgrad entscheidend zu verbessern. Ohne seine Idee wäre letztlich die Entwicklung von Dampflokomotiven nicht denkbar gewesen.
Der vor 200 Jahren gestorbene Technikfreak erlebte auch noch, wie die erste Dampflok in England in vier Stunden und fünf Minuten fünf Wagen mit zehn Tonnen Eisen und einigen Grubenarbeitern zog. Sie erreichte dabei eine Geschwindigkeit von acht Kilometern in der Stunde. Im Dezember 1835 brauste die Lok "Adler" als erste in Deutschland von Nürnberg nach Fürth. Mediziner warnten vor der "unerhörten Geschwindigkeit". Immerhin brachte es der "Adler" auf stattliche 40 Kilometer in der Stunde. Enorm viel im Vergleich zur Postkutsche. Bei diesem Tempo, warnten die Ärzte, könne die Gehirnkrankheit "Delirium furiosum" entstehen.
Bekanntlich war das Nonsens. Die Menschen überstanden die Fahrt unbeschadet. Und das Eisenbahnwesen breitete sich aus. Noch in den 70er Jahren dürfte "Lokführer" zu den Traumberufen vieler kleiner Jungs gehört haben. Der Job hat inzwischen an Attraktion verloren. Wobei es nach wie vor einige "große Jungs" gibt, die diesen Traum träumen. Auch Christian Krodel möchte sich zum Lokführer ausbilden lassen. Sein Vorvorgänger im Amt, Christian Sultan, hatte sich diesen Traum vor wenigen Jahren erfüllt. Er war danach sogar als Lokführer im Einsatz. Bis vor einem Jahr. Dann gab er den Job wieder auf: "Er ist nicht kompatibel mit Familie."
Jetzt ist Sultan wieder intensiver im Eisenbahnmuseum aktiv. Wo er auch sein Knowhow als Lokführer einbringen kann. Ob er bei der Nostalgietour am 11. Mai - wenn das Würzburger Eisenbahnmuseum zur ersten Sonderfahrt 2019 einlädt - im Führerstand sein wird, weiß er allerdings noch nicht. Das hängt vom Dienstplan ab, der noch nicht steht.