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Würzburg
Warum barrierefreie Landtagswahlen in Bayern nicht nur für Menschen mit einer Behinderung wichtig wären
Trotz aller Absichtserklärungen: Die bayerischen Landtagswahlen sind nicht barrierefrei. Zu diesem Ergebnis kommt eine Arbeitsgruppe aus Unterfranken.
Wollen Wählen für möglichst alle Menschen barrierefrei machen: Evi Gerhard, Sibylle Brandt, Stephanie Böhm und Julian Wendel. 
Foto: Daniel Peter | Wollen Wählen für möglichst alle Menschen barrierefrei machen: Evi Gerhard, Sibylle Brandt, Stephanie Böhm und Julian Wendel. 
Folker Quack
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:58 Uhr

Die Wahlen zum Landtag und den Bezirkstagen in Bayern am 8. Oktober 2023 sollen barrierefrei sein. Das haben Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf und Innenminister Joachim Herrmann (beide CSU) erst kürzlich noch einmal betont.

"Alle Wahlberechtigten müssen per Briefwahl oder direkt im Wahllokal vor Ort die Möglichkeit haben, ihre Stimme abzugeben," sagt Scharf. Innenminister Herrmann ergänzt, dass beispielsweise die Gemeinden die Abstimmungsräume nach den örtlichen Verhältnissen so auswählen und einrichten sollten, dass allen Stimmberechtigten, insbesondere Menschen mit Behinderung und anderen Mobilitätsbeeinträchtigung, die Teilnahme an der Wahl möglichst erleichtert werde.

Wie es mit der Barrierefreiheit tatsächlich aussieht, hat eine unterfränkische Arbeitsgruppe auf Einladung der Akademie Frankenwarte in Würzburg untersucht. Sie kommt zu eher ernüchternden Ergebnissen.

Würzburger Behindertenbeauftragter: Barrierefreies Wählen für alle Menschen ist kaum möglich

Für Julian Wendel, Behindertenbeauftragter der Stadt Würzburg ist Integration kein Zustand, sondern ein Prozess: 'Wir stehen nicht am Anfang, sondern irgendwo mittendrin.'
Foto: Daniel Peter | Für Julian Wendel, Behindertenbeauftragter der Stadt Würzburg ist Integration kein Zustand, sondern ein Prozess: "Wir stehen nicht am Anfang, sondern irgendwo mittendrin."

Julian Wendel (38), Behindertenbeauftragter der Stadt Würzburg, bringt es auf den Punkt: Barrierefreies Wählen für alle Menschen mit Behinderung könne es gar nicht geben, trotzdem sei es wichtig, möglichst viele Barrieren zu beseitigen, um Menschen mit Behinderung eine Wahl gemäß der fünf Wahlgrundsätze zu ermöglichen. Wendel hat eine schwere Muskelerkrankung. Er werde immer einen Assistenten seines Vertrauens benötigen, um zu wählen, sagt er.

Auch die erblindete Sibylle Brandt (63, aus Veitshöchheim) sagt, in ganz Bayern kenne sie kein Wahllokal, dass wirklich barrierefrei sei. Und zwar nicht nur für Rollstuhlfahrer, sondern auch für Blinde, Ertaubte, Kleinwüchsige oder psychisch kranke Menschen. Bleibt Menschen mit einer Behinderung nur die Briefwahl?

Auch ältere Menschen profitieren, wenn Wahllokale barrierefrei sind

"Ich mache immer Briefwahl, sagt Evi Gerhard aus Würzburg, die seit ihrer Geburt nicht laufen kann und inzwischen auf einen E-Rollstuhl angewiesen ist. Die 48-jährige Mitarbeiterin der Jugendbildungsstätte Unterfranken legt aber Wert darauf, dass alle Menschen die Wahlfreiheit haben, wo sie ihre Stimme abgeben.

Und das gehe alle Menschen etwas an, sagt Gerhard. Denn auch ältere Menschen mit Rollator, Mütter mit Kinderwägen, und ältere Menschen, die schlecht sehen könnten, würden davon profitieren, wenn Wahllokale möglichst barrierefrei angelegt seien.

Und das würde noch nicht einmal viel Geld kosten, sagt Sibylle Brandt. Ein paar Stühle, wenn man warten muss, helle Räume oder ein paar LED-Lampen in der Wahlkabine für sehschwache Wählerinnen und Wähler, eine Fußbank, eine Auflehnhilfe oder ein Helfer am Eingang, der Menschen mit einem Handicap in Empfang nimmt und unterstützt. Das seien einige der Ergebnisse der Arbeitsgruppe gewesen, sagt Stephanie Böhm, Leiterin der Akademie Frankenwarte.

Oft koste Barrierefreiheit nur ein bisschen guten Willen. Und warum sollte es in einer Stadt wie Würzburg nicht möglich sein, drei Wahllokale so barrierefrei wie möglich zu gestalten und allen Menschen mit Behinderung einen Shuttle-Service zu diesen Wahllokalen anzubieten? 

Große Stimmzettel für Landtagswahl sind für Menschen mit Behinderung oft schwer zu handhaben

Und dann sind da noch die Stimmzettel, mit denen man Wände tapezieren könnte, klagt Sibylle Brandt. Bei der Bundestagswahl habe es eine Schablone gegeben, die blinden Menschen das Wählen etwas einfacher gemacht hätte. Bei den Landtags-, Bezirkstags- und erst recht bei den Kommunalwahlen würden die riesigen Stimmzettel gar nicht in eine solche Schablone passen.

Für die Bundestagswahl gab es Schablonen, mit deren Hilfe Menschen mit einer Sehbehinderung wählen konnten. Für die bayerischen Landtags- und Bezirkstagswahlen gibt es die nicht. 
Foto: Daniel Peter | Für die Bundestagswahl gab es Schablonen, mit deren Hilfe Menschen mit einer Sehbehinderung wählen konnten. Für die bayerischen Landtags- und Bezirkstagswahlen gibt es die nicht. 

Es gibt keinen Wahlgrundsatz "barrierefreie Wahl", aber selbst der Grundsatz der "geheimen Wahl" sei für Menschen mit einer Behinderung meistens aufgehoben, so Wendel.

Er müsse mit seinem Assistenten nun über seine Wahlentscheidung  reden, genau wie Menschen, die erblindet sind oder geistige Beeinträchtigungen hätten. Schalldichte Wahlkabinen aber gebe es keine. Trotzdem hat Wendel auch schon im Wahllokal gewählt. Die intime Privatsphäre von Menschen mit einer Behinderung werde sehr oft begrenzt. Man gewöhne sich daran, schade sei es aber trotzdem.   

Ganz wichtig findet Wendel die Wahlhelfer. Wenn die ihm signalisierten, dass er willkommen sei, habe das für ihn mehr wert als die komplette Barrierefreiheit. Dazu gehöre vor allem, dass sie mit ihm redeten, nicht mit seinem Assistenten. Wenn er selbst gefragt werde, ob er Unterstützung brauche, fühle er sich ernst genommen.

Barrierefreiheit beginnt bei der Wahlbenachrichtigung für die Landtagswahl

Gut sei deshalb die Broschüre "Barrierefreie Wahllokale" des Behinderten-Beauftragten der bayerischen Staatsregierung, Holger Kiesel, die Verhaltenstipps für Wahlhelfer beinhalte, berichtet Evi Gerhard. Jedoch habe eine kleine stichprobenartige Umfrage unter Wahlhelfern und Kommunen vor der Landtagswahl in Unterfranken ergeben, dass die meisten sie gar nicht bekommen hätten. 

Doch nicht nur das Wahllokal macht eine barrierefreie Wahl aus. Die beginne schon bei der Wahlbenachrichtigung, so Böhm. Ist sie verständlich? Erfahre ich, ob mein Wahllokal barrierefrei ist? Kann ich Nachfragen nur per Telefon stellen, was für Gehörlose ein Ausschlusskriterium wäre?

"Nur eine komplett schnörkelfreie Schrift mit mindestens 14, besser 16 Punkt sei für Sehbehinderte Menschen lesbar", sagt Brandt. Doch die werde oft nicht mal im Internet zum Beispiel bei Wahlprogrammen verwendet.

 
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