Sie spielt mit ihrem Sohn, turnt mit ihm durchs Wohnzimmer, rennt mit ihm die Straße entlang zum Spielplatz. Mutteralltag eben – so selbstverständlich, so banal. Doch dann beschleicht Melanie Urner eine Frage, die für viele Mütter nicht alltäglich ist: Wie lange bin ich noch so fit? Wie lange kann ich mit meinem Sohn noch so toben?
Melanie Urner ist 42, ihr Sohn Maximilian ist eineinhalb. Wenn er zehn ist, ist sie über 50 Jahre alt, rechnet sie vor. Wenn die blonde Frau aus Rottendorf (Lkr. Würzburg) erzählt, spricht sie mit energischer, fester Stimme. Sie arbeitete lange in einer Führungsposition und das merkt man ihrem entschlossenen Auftreten an. Nur bei diesem Thema wird sie nachdenklicher. Gerade die Frage, ob sie lange genug fit für ihre Kinder sind, beschäftige viele ältere Mütter, sagt auch Beate Schlett-Mewis von der Beratungsstelle pro familia in Würzburg. "Sie haben Sorge vor der körperlichen Belastung und vor den Vorurteilen, die auch die Kinder treffen könnten."
Schlett-Mewis versucht den Frauen diese Bedenken zu nehmen: "Junge Mütter erziehen mit einer jugendlichen Leichtigkeit, ältere mit einer weiblichen Reife." Beides habe seine Vorteile. Sie sei etwa im Geburtsvorbereitungskurs viel gelassener und abgeklärter als die jüngeren Frauen gewesen, erinnert sich Melanie Urner. "Viele hatten ein verklärtes Bild der Geburt. Ich wollte, dass mein Kind gesund auf die Welt kommt, ob Kaiserschnitt oder spontane Geburt, war mir egal." Diesen Eindruck teilt auch Schlett-Mewis: Möglicherweise sei man im Alter gelassener oder finanziell besser abgesichert - und selbst wenn man körperlich nicht mehr fit genug sei, um über den Spielplatz zu toben, könne man sich mit dem Kind hinsetzen und ein Buch vorlesen.
Der Wunsch nach der Komplettheit einer Familie wurde immer stärker
Als sie erlebte, wie ihre Freundinnen Kinder bekommen haben, merkte Melanie Urner immer deutlicher, dass ein Kind eine Bereicherung für ihr Leben sei. "Ich hatte den Wunsch nach der Komplettheit, den Wunsch, gewisse Dinge weiterzugeben und mich um jemanden zu kümmern." Sie und ihr Partner waren sich einig, dass es schön wäre, Kinder zu haben. "Wir haben uns ein Fenster von zwei Jahren gesetzt, in denen wir nicht verhüten wollten. Nach einem Monat war ich schwanger", erzählt die damals 39-Jährige.
Melanie Urner zählt per Definition zu den so genannten Spätgebärenden. So werden in Deutschland Frauen bezeichnet, die bei der Geburt ihres Kindes 35 Jahre und älter sind. Eine statistische Grenze, die nur bedingt Auskunft über individuelle körperliche Konstitution einer Frau geben kann. Dennoch weisen einige Studien einen Zusammenhang zwischen dem Alter der Mutter und Schwangerschaftskomplikationen oder Erkrankungen des Kindes auf. Demnach nehme etwa das Risiko für Chromosomenschäden des Kindes oder von Präeklampsien zu.
Fakt ist: Frauen bekommen immer später Kinder. 2017 kamen in Deutschland 40 437 Kinder zur Welt, deren Mütter 40 Jahre und älter waren. 2012 hingegen waren es 34 641 . Die Gründe weshalb sich Frauen immer später dazu entscheiden, Kinder zu bekommen, sind vielfältig. Die Suche nach dem richtigen Partner spielt dabei ebenso eine Rolle wie die berufliche Ausbildung. Die Schule dauert länger, bei vielen folgt das Studium. Wer so viel Zeit in seine Ausbildung investiert hat, will erst einmal im Berufsleben Fuß fassen.
Umstellungen und Einschränkungen, die ein Leben mit Kind bedeuten
So war es auch bei Melanie Urner. Sie arbeitete viele Jahre als Führungskraft in der Pharmaindustrie. "Ich habe viel Energie in den Beruf gesteckt und immer gedacht: Kinder, damit habe ich noch Zeit. Dann ist man 32, 36, 38 und auf einmal ist man 40 Jahre alt." Der berufliche Erfolg sei auch bei ihr ein Thema gewesen. Hinzu kommen die Umstellungen und Einschränkungen, die ein Leben mit Kind bedeuten. "Vorher verdient man Geld, fährt mehrmals im Jahr in Urlaub, baut ein eigenes Haus." Das Einkommen reduziert sich nach der Geburt erst einmal, die laufenden Kosten bleiben. "Ich glaube nicht, dass viele Menschen bereit sind, ihren Lebensstandard zu reduzieren."
Für Melanie Urner war daher klar, dass sie schnell wieder arbeiten wollte. Nach einem halben Jahr wollte sie wieder einsteigen, nach einem Jahr Vollzeit. Doch dazu kam es nicht. Schon als sie ihrem Arbeitgeber mitteilte, dass sie schwanger ist, begannen für sie die Schwierigkeiten. "Ich habe alles erfahren, was man an Ablehnung erfahren kann," sagt sie rückblickend. "Frauen mit Kindern seien keine guten Manager", solche und ähnliche Aussagen habe sie sich anhören müssen. Urner bekam in dieser Zeit frühzeitige Wehen, wurde für mehrere Monate krank geschrieben. Beim Wiedereinstieg kam der nächste Schlag. Ihre Stelle war nachbesetzt, man habe nicht mit ihr gerechnet. Inzwischen hat Melanie Urner den Job gewechselt.
Erfahrungen wie diese haben die Pharmazeutin in der Schwangerschaft zusätzlich belastet - neben all den Wehwehchen und Beschwerden, die werdende Mütter ohnehin plagen. "Ich fand die Schwangerschaft furchtbar anstrengend. Ich hatte Ischias, ich hatte so stark Wasser in den Händen, dass ich nicht mehr greifen konnte, ich war permanent müde, ich hatte Probleme mit den Venen. Andere, jüngere Frauen haben sich viel, viel leichter getan als ich."
Kein zweites Kind
Trotz allem: Rückblickend sagt Melanie Urner, sie ist zum richtigen Zeitpunkt Mutter geworden. "Ich habe mich damit abgefunden, dass ich überall die Älteste bin: im Babyschwimmen, in der Krabbelgruppe, im Geburtsvorbereitungskurs." Auch die zusätzlichen Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft wie eine Fruchtwasseruntersuchung oder ein Bluttest waren für sie selbstverständlich. "Das wären sie auch gewesen, wenn ich jünger gewesen wäre", sagt sie. Die Sorge eines negativen Ergebnisses war immer präsent. "Das ist für jede werdende Mutter ein schwieriger Gedanke. Aber wie man mit solchen Untersuchungen umgeht, das muss jeder für sich selbst entscheiden. " Es ist alles gut gegangen. Im August 2017 kam ihr Sohn Maximilian zur Welt.
Ob sie ein zweites Kind möchte? "Nein", sagt sie entschlossen. "Wir hatten sehr viel Glück, dass wir trotz der Komplikationen und meines Alters ein gesundes Kind haben. Wir wollen das Glück nicht ein zweites Mal herausfordern. "