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Würzburg
Wann, wo und wie bekommt man einen Schwerbehinderten-Ausweis?
Jeder elfte Bürger in Unterfranken lebt mit einer Schwerbehinderung. Bei welchen Einschränkungen gilt man als schwerbehindert? Die zuständige Regionalstelle gibt Auskunft.
Erklären, wer wann wie einen Schwerbehindertenausweis bekommt: Kerstin Altenbeck, Leiterin der Regionalstelle Unterfranken des Zentrums Bayern Familie und Soziales in Würzburg, und Frank Lippold, Fachverantwortlicher für das Schwerbehindertenrecht.
Foto: Johannes Kiefer | Erklären, wer wann wie einen Schwerbehindertenausweis bekommt: Kerstin Altenbeck, Leiterin der Regionalstelle Unterfranken des Zentrums Bayern Familie und Soziales in Würzburg, und Frank Lippold, Fachverantwortlicher ...
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 22.12.2023 03:12 Uhr

In Unterfranken leben aktuell über  130.000 Menschen mit einer Schwerbehinderung, das sind etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Und pro Jahr stellen etwa 25.000 Menschen in der Region erstmalig oder erneut einen Antrag auf die Anerkennung einer Schwerbehinderung.

Bearbeitet werden diese Anträge in der Regionalstelle für Unterfranken des Zentrums Bayern Familie und Soziales (ZBFS). Etwa 40 Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter sind dafür zuständig, den Grad der Behinderung festzustellen.

Doch die Anerkennung eines Behinderungsgrades (GdB) zu erhalten, ist nicht immer einfach, wie Betroffene schildern. "Es wird erst einmal grundsätzlich alles abgewehrt, im Widerspruch wird dann eine viel zu niedrige Einordnung festgestellt und erst bei der Klage vor dem Sozialgericht bekommt man vielleicht Recht und eine gewisse Anerkennung", schreibt beispielsweise eine Leserin. 

Wie und wo beantragt man einen Schwerbehindertenausweis? Welche Krankheiten werden für eine Schwerbehinderung anerkannt und welche Hürden gibt es? Die Leiterin und der Fachverantwortliche der Regionalstelle und eine Rechtsexpertin vom Sozialverband Vdk in Würzburg geben Auskunft.

Wer bekommt einen Schwerbehindertenausweis?

Einen Schwerbehindertenausweis erhalten nur Menschen mit Schwerbehinderung, die in Deutschland wohnen. "Schwerbehindert sind Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 oder mehr", erklärt Kerstin Altenbeck, Leiterin der Würzburger Regionalstelle des Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) in Würzburg. Den Grad der Behinderung lege die Regionalstelle fest.

Grundsätzlich gehe es bei der Feststellung der Behinderung nicht um die Art der Erkrankung oder um eine Diagnose. "Es geht immer um ein Funktionsdefizit, eine entsprechende Dauer - länger als sechs Monate- und die Auswirkung der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft", sagt Frank Lippold, Fachverantwortlicher für das Schwerbehindertenrecht bei der Regionalstelle.

Wie und wo beantragt man einen Schwerbehindertenausweis?

Die Antragstellung ist beim Zentrum Bayern Familie und Soziales online, per Formular oder persönlicher Vorsprache möglich. Frank Lippold empfiehlt, aktuelle Befundberichte gleich dem  Antrag beizufügen. Denn die medizinische Begutachtung erfolge überwiegend nach Aktenlage. Es gibt in der Regel keine persönliche Begutachtung der Antragsteller.

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Warum werden Antragsteller nicht persönlich begutachtet?

"Bei 25.000 Anträgen pro Jahr wären sehr viele Gutachter rund um die Uhr beschäftigt und trotzdem würde es noch sehr lange dauern, bis die Personen ihren Ausweis bekommen", erklärt Frank Lippold von der Regionalstelle. Eine persönliche Begutachtung finde daher nur statt, "wenn dies im Einzelfall erforderlich ist oder bei einer Klage vor dem Sozialgericht".

Wie lange dauert die Bearbeitung eines Antrags?

Das ist unterschiedlich. "Sobald der Antrag beim Zentrum Bayern Familie und Soziales eingegangen ist, sollte die Bearbeitung aber nach drei Monaten abgeschlossen sein", sagt Frank Lippold. In manchen Fällen könne es aber länger dauern, beispielsweise wenn Arztpraxen oder Krankenhäuser auf Anforderung der Behörde noch medizinische Befunde weiterleiten.

Was ist die häufigste Ursache einer Schwerbehinderung?

Häufigste Ursache einer Schwerbehinderung ist eine im Laufe des Lebens auftretende Krankheit. "Viele Menschen, die einen Antrag auf Schwerbehinderung stellen, sind daher meist Mitte 50 und älter", sagt Lippold. Die Bundesagentur für Arbeit erwartet deshalb, das mit dem demografischen Wandel die Zahl steigt.  

Welche Krankheiten werden als Schwerbehinderung anerkannt?

Die Zahl der Krankheiten, die als Schwerbehinderung anerkannt werden, ist hoch: Krebserkrankungen, Schlaganfall, schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabeteserkrankungen, Rheumaleiden, Asthma, aber auch psychische Erkrankungen wie eine Depression zählen dazu. Es gehe aber nicht immer allein um eine Diagnose, sagt Regionalstellenleiterin Kerstin Altenbeck. Viele Menschen hätten mehrere gesundheitliche Probleme. "Aus allen gesundheitlichen Problemen wird ein Gesamtgrad an Behinderung herausgebildet."

Wie viele Anträge auf Schwerbehinderung werden abgelehnt?

Bei den jährlich über 12.000 gestellten Erstanträgen in Unterfranken wird dem ZBFS zufolge in über 90 Prozent der Fälle eine Behinderung festgestellt, bei knapp 50 Prozent eine Schwerbehinderung. Bei den Verschlimmerungsanträgen (pro Jahr ebenfalls etwa 12.000) erfolgt bei ca. 70 Prozent eine Neufeststellung, bei 30 Prozent wird eine Neufeststellung abgelehnt. "Wenn die Antragsteller mit der Entscheidung nicht zufrieden sind, können sie Widerspruch einlegen, dann wird der Antrag erneut geprüft", erklärt Altenbeck.

Dazu würden die Unterlagen noch einmal gesichtet und der behandelnde Arzt erneut um seine Einschätzung gebeten – teilweise würden auch eine erneute Untersuchung durch den Versorgungsärztlichen Dienst, der dem ZBFS untersteht, oder ein externes Gutachten angeordnet.

Wird der Antrag nach dem Widerspruch ein zweites Mal abgelehnt, bestehe noch die Möglichkeit zu einer Klage vor dem Sozialgericht.

Wie oft kommt es zu einer Klage vor dem Sozialgericht?

Im Jahr 2022 wurde in 662 Fällen Klage beim Sozialgericht Würzburg erhoben. Die Klage sei in der Regel der erste Verfahrensschritt, der - zumindest beim Sozialgericht Würzburg - zu einer persönlichen Begutachtung führt, sagt Julia Ernst vom Sozialverband VdK. "Es lohnt sich in jedem Fall eine Einzelfallberatung in Anspruch zu nehmen, ob der Schritt ins Klageverfahren sinnvoll und aussichtsreich erscheint", rät die Sozialrechtsvertreterin. "Die Klage fällt - zumindest was die vom VdK in Würzburg vertretenen Verfahren angeht - in immerhin mehr als 50 Prozent der Fälle positiv aus", erklärt Ernst.

Julia Ernst ist Sozialrechtsvertreterin beim Sozialverband VdK in Würzburg, der Menschen mit Problemen im Sozial- und Gesundheitsbereich berät.
Foto: Thomas Obermeier | Julia Ernst ist Sozialrechtsvertreterin beim Sozialverband VdK in Würzburg, der Menschen mit Problemen im Sozial- und Gesundheitsbereich berät.

Wie viel kostet eine Klage vor dem Sozialgericht?

Das Widerspruchs- oder Klageverfahren vor dem Sozialgericht kostet den Kläger oder die Klägerin in der Regel nichts. Gerichtskosten sowie die zur Beweiserhebung anfallenden Kosten werden vom Staat getragen. Wird für den Widerspruch oder das Klageverfahren ein Anwalt hinzugezogen, muss das ZBFS die Anwaltskosten übernehmen, wenn das Sozialgericht im Sinne des Klägers urteilt.

Allerdings enden Kerstin Altenbeck zufolge nur rund zehn Prozent der Klagen mit einer gerichtlichen Entscheidung, die dem Kläger von Beginn an Recht gibt.

Wozu braucht man einen Schwerbehindertenausweis?

Betroffene haben durch ihre Behinderung einen größeren Aufwand und höhere Kosten im Alltag - zum Beispiel für Medikamente oder Pflege. Um dies zumindest etwas abzufedern, gibt es sogenannte Nachteilsausgleiche, erklärt Julia Ernst vom Sozialverband VdK in Würzburg. Für bestimmte Nachteilsausgleiche müsse man eine Schwerbehinderung nachweisen.

Welche Nachteilsausgleiche erhalten Schwerbehinderte?

Mit einer anerkannten Schwerbehinderung erhält man beispielsweise einen besonderen Kündigungsschutz am Arbeitsplatz, erklärt Ernst. Dazu kommen zusätzliche Urlaubstage: Bei einer Fünf-Tage-Woche stünden Schwerbehinderten fünf Tage zusätzlicher Urlaub pro Jahr zu. Auch Steuervergünstigungen aufgrund eines Behinderungsgrades sind laut der Sozialrechtsexpertin möglich, sowie günstigere Karten für Museen oder Schwimmbäder. Zudem können Betroffenen mit anerkannter Schwerbehinderung und bestimmten Vorversicherungszeiten früher in Rente gehen. 

Was ist mit der Berufstätigkeit bei Schwerbehinderung?

Häufig werde Schwerbehinderung mit Rollstuhl oder Bettlägerigkeit gleichgesetzt, sagt die Sozialrechtsvertreterin des VdK. Dies sei aber falsch. Eine Schwerbehinderung könne man auch bei schwerwiegenden orthopädischen Beschwerden, Epilepsie oder einer psychischen Erkrankung haben. Viele Schwerbehinderte können durchaus arbeiten. 

 
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Kommentare
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  • Barbara Fersch
    Wenn man den KOpf unter dem Arm trägt, hat man Aussicht auf einen schwerbehinderten Ausweis !!
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