Niko Paech radelt gern. Und er tut es oft. Irgendwann hielt der Hosenboden seiner Jeans nicht mehr stand. Das wäre für andere Menschen ein Grund gewesen, die Hose wegzuschmeißen. Nicht so für den Wachstumskritiker. „Ich ging zu meiner Nachbarin, lieh mir ihre Nähmaschine und ließ mir erklären, wie man damit näht“, berichtete der Postwachstumsökonom bei einer Veranstaltung kirchlicher Verbände aus Würzburg im Kolping-Center Mainfranken.
Paech gehört zu einer der populärsten Figuren der „Postwachstumsszene“ in Deutschland. Seit Jahren plädiert der habilitierte Volkswirt, der derzeit an der Uni Siegen lehrt, für eine radikale wirtschaftliche Wende. Weiter zu wachsen, macht er auf vielen Vorträgen und in seinen Büchern klar, wäre nachgerade selbstmörderisch. Denn die nächste Katastrophe, ist er überzeugt, lauert. Sei es, dass das Finanzsystem abermals zusammenbricht. Sei es, dass der Ölhahn abgedreht wird. Sei es, dass es zum ökologischen Kollaps kommt. So schwinden die Insekten: „Weshalb wir in Sachen Landwirtschaft bald Überraschungen erleben werden.“
Großer Andrang im Kolping-Center
Die Ideen des Umweltökonomen befremden und faszinieren zugleich. Gerade deshalb zieht Paech, wo immer er hinkommt, viele Menschen an. Auch der auf 200 Zuhörer ausgelegte Saal des Kolping-Centers konnte den Andrang der Interessierten nicht fassen.
Vieles, was Paech vortrug, war Kennern der Postwachstumsszene bereits bekannt. So legte Paech wie schon häufig zuvor dar, in welchem Maße die Freiheit, zu konsumieren, inzwischen in Konsumzwang, Konsumterror und Konsumstress ausgeartet ist. Als hätten die Menschen nicht ohnehin kaum Zeit, verbringen sie die wenigen Stunden neben ihren Alltagspflichten auch noch damit, sich mit Konsumgütern zu befassen.
Passend zum Veranstaltungsort und zu den kirchlichen Veranstaltern gab es in Würzburg aber auch noch einen neuen Zungenschlag. Paech legte den ökologischen „Ablasshandel“ derer, die guten Gewissens sind, bloß. Da mag einer konsequent ein Jahr lang fair gehandelten Kaffee und Bionade getrunken haben, er mag sogar in einem Passivhaus wohnen: Eine einzige Flugreise nach New York macht seine CO?-Bilanz futsch.
Kritik an der Energiewende
Was im Kleinen gilt, gilt für Paech auch im Großen. Die weltweit als Vorbild dargestellte „Deutsche Energiewende“ sieht er äußerst kritisch. „Nicht, weil ich gegen Windkraft wäre“, betonte er gegenüber Würzburger Windkraft-Fans. Sondern weil es in seinen Augen schlicht nichts nützt, die Landschaft zu verspargeln, wenn weiter auf Teufel komm raus geflogen, weiter massenhaft produziert und wenn Güter weiterhin über hunderte von Kilometern durchs Land geschippert werden. „Grün“ zu wachsen, sei schlicht nicht möglich: „Diese Logik werde ich heute sturmreif schießen.“
Ebenso fragwürdig sind für ihn Initiativen gegen die vermeintlich oder tatsächlich bewusst geplante Produktion schnell verschleißender Apparate. Werden doch Geräte wie Smartphones ausgetauscht, selbst wenn sie nicht einmal einen Kratzer aufweisen. Einfach, weil der Sinn nach dem jeweils neuesten Modell steht.
Für Paech gibt es keine andere Lösung als „Weniger“. Und zwar in jeder Hinsicht. Was das extrem individualisierte Leben, an das sich die Menschen der westlichen Welt gewöhnt haben, komplett umkrempeln würde. Die Zahl der Konsumenten würde schwinden. Die der „Prosumenten“ wachsen.
Neue Werte kommen auf
In Paechs Welt, die in vielen kleinen Zellen bereits existiert, werden Autos geteilt. Menschen schließen sich zusammen, lernen, Dinge selbst zu produzieren, sie zu reparieren oder sinnvoll zu verwerten. Anstelle des heutigen Wohlstandsballasts treten neue Werte: Gemeinschaft, Solidarität, Achtsamkeit. Die Menschen würden sich auch nicht mehr 40 Stunden oder länger in einem Job abplagen: „Sondern nur noch etwa 20 Stunden arbeiten.“
In Würzburg, hörte Paech, gibt es viele Anhänger seiner Ideen. Die versprechen sich von den Analysen des Alternativwirtschaftlers auch Schützenhilfe mit Blick auf den anstehenden Bürgerentscheid zum Mozart-Areal.
Was Paech von Plänen halte, einen Platz mitten in der Stadt, statt zu begrünen, zu bebauen? Paech, der sonst kaum einmal nach dem Staat ruft, vertrat hier eine klare Meinung: „Nichts wäre wichtiger als ein Gesetz, das jede weitere Versiegelung auch nur eines Quadratmeters verbietet.“
Postwachstum in Würzburg
Die Veranstaltung der kirchlichen Verbände im Kolping-Center unter der Überschrift „Der süße Brei des Wachstums und was kommt danach?“ zeigte auf, wie viele Ansätze es in der Domstadt inzwischen gibt, der Wachstumslogik gegenzusteuern. Die Bewegung „Transition Town“ vor allen nimmt sich dieses Themas an. Auch das Bergwald-Projekt hat sich Ressourcenschutz auf die Fahnen geschrieben und kann sich mit Ideen einer schrumpfenden Wirtschaft identifizieren. Mit dem „Umsonstladen“ und dem „Freiraum“ gibt es zwei weitere erklärte Postwachstumsprojekte.
Die Würzburger Zweigstelle des Verbraucherservice Bayern im Katholischen Deutschen Verbraucherbund klärt darüber auf, wie Produkte lange genutzt werden können. Die KAB in der Diözese setzt sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Der diözesane Jugendverband BDKJ hat sich „Kritischen Konsum“ als einen Schwerpunkt gewählt. Der Weltladen bietet „Konsumkritische Stadtrundgänge“ an.
Die Umweltstation der Stadt sensibilisiert für den ökologischen Fußabdruck und gibt Tipps, wie Abfall vermieden und Energie gespart werden können. Der Bund Naturschutz klärt über klimafreundliche Ernährung und gemeinschaftliche, nachhaltige Wohnprojekte auf. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.