Die Vorwürfe gegen zwei aus Würzburg stammende Betreiber des Berliner Großbordells „Artemis“ schmelzen drei Monate nach einer Razzia wie Butter an der Sonne: Vier der sechs Festgenommenen sind wieder auf freiem Fuß. Dass dort Frauen von Mitgliedern der Rockergruppe „Hells-Angels“ zur Prostitution gezwungen wurde, konnte entgegen ersten Angaben der Staatsanwaltschaft nicht bewiesen werden. Das „Artemis“ bleibt - entgegen lauthals verkündeter Absichtserklärungen – geöffnet.
Ein neuer Geschäftsführer in Berlin (auch aus dem Raum Würzburg) sorgt seit Anfang Mai dafür, dass die Geschäfte mit der käuflichen Lust weiterlaufen. Die Staatsanwaltschaft, die noch am Tag nach der Razzia in einer Pressekonferenz optimistisch von organisierter Kriminalität sprach und Vergleiche mit dem Chicagoer Gangster Al Capone zog, ist viel leiser geworden. Sie war wegen solcher Äußerungen von Anwälten der beiden Würzburger mit Unterlassungserklärungen überzogen worden.
Artemis-Betreiber: "Uns wurde nichts geschenkt"
Natürlich herrscht nicht nur unter Berliner Ermittlern Staunen darüber, warum das Berliner Rotlicht-Milieu die Seiteneinsteiger aus Unterfranken gewähren lässt. Bei der Eröffnung des Artemis 2005 betonte einer der beiden Brüder: „Uns wurde nichts geschenkt. Wenn andere eine Auflage erfüllen mussten, dann mussten wir zwei erfüllen.“ Sowohl dem Finanzamt als auch dem Landeskriminalamt habe er alle Papiere offenlegen müssen. Jeder Investor wurde benannt. „Wir haben in das Haus rund fünf Millionen Euro investiert. Die Summe habe ich natürlich nicht allein aufgebracht“.
Das schien in den vergangenen elf Jahren ein gutes Investment – bis zur Razzia im April, die bundesweit Beachtung erlangte. 900 Beamte durchsuchten das Großbordell und Wohnungen in Berlin. Auch in Würzburg – wo die Familie des einen der Artemis-Gründer noch wohnt – suchten Polizisten nach Beweisen.
Betreiber noch in U-Haft
Er und sein Bruder sitzen nach einer Haftprüfung weiter in U-Haft. Aber im Beschluss des zuständigen Gerichts vom 30. Juni heißt es dazu: Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung seien zwar noch nicht abgeschlossen. Aber zum härtesten Vorwurf – Zwangsprostitution mit Hilfe der kriminellen Rocker der Gruppe „Hells Angels“ – gebe es „keinen dringenden Tatverdacht“ mehr. Dies bestätigt Verteidiger Jan Paulsen.
Die Razzia hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt, weil sich die Ermittlungen gegen ein modernes Geschäftsmodell für Rotlicht-Geschäfte richteten: Die Betreiber kommen nicht aus dem Zuhälter-Milieu. Sie stellen nur noch die Räumlichkeiten zur Verfügung. Die Frauen können sich einmieten und arbeiten offiziell auf eigene Rechnung.
Das hatten Ermittler zuletzt nicht geglaubt. In der Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft waren die Frauen mit „Sklaven auf Baumwollfeldern“ verglichen worden.
Gravierendster Vorwurf vom Tisch
Anwalt Paulsen verweist auf den Beschluss des Gerichts vom 30. Juni. Der zeige, dass die Rocker zwar selbst im „Artemis“ verkehrten, Beweise für Geschäftsverbindung gebe es aber nicht.
Damit ist der gravierendste Vorwurf vom Tisch. Auffallend ist auch, dass die Berliner Aufsichtsbehörde drei Monate nach der Durchsuchung keine Anstalten macht, das Bordell zu schließen - was ja eine denkbare rechtlcihe Folge wäre, wenn dort gegen Auflagen verstoßen worden wäre. Offenkundig gibt es dafür - entgegen ersten Absichtserklärungen - keine rechtliche Handhabe.
Insider aus Unterfranken – die das diskrete Geschäftsgebaren der Brüder S. in Würzburg seit Jahren kennen - hatten schon kurz nach der Razzia bezweifelt, dass den starken Worten der Staatsanwalt auch Taten folgen. Zwei Tage nach der Razzia erfuhr diese Redaktion: Die Brüder hatten 2005 ihr Geschäftsmodell bei Finanz- und Ermittlungsbehörden prüfen lassen, ehe das „Artemis“ öffnete. „Wenn die sich an das gehalten haben, was sie vorgelegt haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass man ihnen am Zeug flicken kann,“ urteilte damals ein Experte, der die Unterlagen kennt.
Überdies stellte sich heraus, dass die Betreiber die Berliner Polizei selbst darauf hingewiesen hatten, dass plötzlich die „Hells Angels“ im „Artemis“ aufgetaucht waren. Bleibt der Vorwurf, dass Schichtzeiten und vorgeschriebene Kleiderordnung für die Prostituierten ein Indiz sind, mit dem sich ein Angestelltenverhältnis (und damit hinterzogene Sozialversicherungsbeiträge) belegen lässt. Das Gericht betonte, dass auch andere Unternehmen Regelungen haben, die dort Geld verdienende nicht automatisch zu Arbeitnehmern machen.
Staatsanwalt aufgefallen
Der Leitende Berliner Staatsanwalt Andreas Behm, der die Razzia verantwortete, war in Berlin schon zuvor durch spektakuläre Aktionen aufgefallen, die sich am Ende als Blamage erwiesen. Nach der rechtswidrigen Durchsuchung bei einem CDU-Abgeordneten 2014 musste er sich entschuldigen. Zudem gab es 2015 behördenintern Ärger wegen der gescheiterten Anklage gegen den Rapper Bushido.
Unmittelbar nach der Artemis-Razzia wurde Behm als Chef der Staatsanwaltschaft abgelöst. Er arbeitet jetzt als Abteilungsleiter - zuständig für den Strafvollzug - im Justizministerium von Brandenburg.