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Nordheim/Würzburg
Vor dem Urteil gegen Rupert Stadler im Audi-Prozess: Der Vorsitzende Richter lernte sein Handwerk in Würzburg
Der Strafjurist, der in München das vielleicht folgenreichste Urteil des Jahres fällen soll, kommt aus einem bekannten Weinort in Unterfranken. Wer ist Stefan Weickert?
Prozess um manipulierte Abgaswerte bei Audi: Über Rupert Stadler (zweiter von links) urteil in München ein Gericht in München um den gebürtigen Unterfranken Stefan Weickert (zweiter von rechts).
Foto: Lukas Barth, dpa | Prozess um manipulierte Abgaswerte bei Audi: Über Rupert Stadler (zweiter von links) urteil in München ein Gericht in München um den gebürtigen Unterfranken Stefan Weickert (zweiter von rechts).
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 15.07.2024 13:18 Uhr

Warum die Herkunft von Stefan Weickert von Bedeutung ist? Vielleicht weil jemand, der aus Nordheim am Main (Lkr. Kitzingen) stammt, eine natürliche Abneigung gegen Etikettenschwindel hat. Ob im Kleinen beim Inhalt von Bocksbeuteln. Oder im Großen beim Schummeln mit Abgaswerten beim Weltkonzern Audi. 

Den Vorsitzenden Richter Stefan Weickert haben vor dem Prozess gegen Audi-Boss Rupert Stadler nur Insider in München gekannt. Nun spielt der Jurist aus Unterfranken eine Hauptrolle im aktuell wichtigsten Strafprozess der deutschen Justiz: dem Pilotverfahren gegen den ersten der großen Auto-Bosse, wegen millionenfacher Manipulation an Dieselfahrzeugen. Abgastests im Labor bestanden die Fahrzeuge ohne weiteres, offenbar dank einer cleveren Abschalttechnik. Auf der Straße stießen die Modelle aber weit mehr gesundheitsschädliche Stickoxide aus als erlaubt.

Ein bisher unbekannter Richter fällt das wichtigste Urteil in der deutschen Strafjustiz

Als der Prozess gegen Stadler und drei Mitangeklagte aus der Audi-Führungsetage im Jahr 2020 Fahrt aufnahm, hatte es leise Zweifel gegeben, ob der in solchen Mammutprozessen unerfahrene Weickert der Richtige sei, um dem selbstbewussten Audi-Boss und seinen ausgebufften Anwälten Paroli bieten zu können. Zwei Jahre später ist das kein Thema mehr.

Geständnis gegen mildes Urteil: Rupert Stadler, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Audi AG, gab den Betrug am Dienstag im Landgericht München um geschönte Abgaswerte bei Dieselautos zu.
Foto: Sven Hoppe, dpa | Geständnis gegen mildes Urteil: Rupert Stadler, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Audi AG, gab den Betrug am Dienstag im Landgericht München um geschönte Abgaswerte bei Dieselautos zu.

Der "Herr der Ringe", der lange hartnäckig auf seiner Unschuld beharrt hatte, muss vor Weickert und seinen Kollegen ein Geständnis ablegen, um zumindest mit einer Bewährungsstrafe davon zu kommen. Ein Achtungserfolg für die Justiz, den sich die Wirtschaftsstrafkammer unter Weickerts Führung zäh erarbeitet hat. Das Urteil dürfte sich auch auf das (noch größere) Verfahren gegen die VW-Bosse um Martin Winterkorn auswirken. 

Einst urteilte er über Dealer und den "Rebell von Garmisch" - jetzt über den Audi-Chef

Bis 2020 hatte Stefan Weickert als Vorsitzender einer Strafkammer am Landgericht München eher lokal Schlagzeilen gemacht: Im Prozess gegen einen Dealer, der Drogen zur Tarnung an seine Oma liefern ließ, oder gegen den "Rebell von Garmisch", einen Unruhestifter im Umfeld des G-7-Gipfels. Nun spielt er in der juristischen Champions League. 

Weickert privat? Familienangehörige in Nordheim schweigen freundlich, aber beharrlich gegenüber neugierigen Reporterfragen. Der Sprecher der Münchner Justiz, Laurent Lafleur, bestätigt auf Anfrage: Weikert stammt tatsächlich aus einer Winzerfamilie in Nordheim, seine Karriere begann er 1994 bei der Staatsanwaltschaft Würzburg. Damit hat es sich dann aber auch: "Zu Hobbys und sportlichen Aktivitäten unserer Richter machen wir grundsätzlich keine Angaben", sagt Lafleur auf Anfrage.

Ein Richter mit der Vergangenheit als Fußballer 

Ein Würzburger Richter weiß aus gemeinsamen Anfangstagen: "Er war ein cooler Typ, kompetent, freundlich und rechtlich sattelfest." In Erinnerung ist ihm, dass der junge Kollege damals als Fußballer für Aufsehen sorgte. "Staatsanwalt auf Torejagd" hieß es in dieser Zeitung über den Juristen am Ball.

Weickert habe jahrelang in der Fußballauswahl der Würzburger Universität gespielt, erinnert sich ein anderer damaliger Mitspieler. "In der Juristerei war er allerdings begabter, er galt als Überflieger und hat ja dann auch Karriere gemacht."

Von Würzburg wechselte Stefan Weickert nach Karlsruhe, als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Generalbundesanwalt. 1999 wurde er Richter für Zivil- und später Strafverfahren in München. Nach einem Intermezzo bei der Staatsanwaltschaft entschied sich der Jurist 2007 endgültig für die Richterkarriere. Zehn Jahre lang urteilte er in Zivilsachen, war für Bankenthemen zuständig und Vorsitzender einer Handelskammer.

Einer, der "lieber einmal mehr als einmal zu wenig nachfragt"

Im April 2020 stieg der Unterfranke zum Leiter der gesamten Strafabteilung beim Landgericht München II auf. Er wird dort Berichten zufolge für akribische Vorbereitung und Aktenkenntnis geschätzt. Weickert sei einer, der sich  - wie ein Anwalt schmunzelnd beschreibt - "keinen Bacchus für einen Silvaner vormachen lässt". Und einer, der "lieber einmal mehr als einmal zu wenig nachfragt".

Sein Moment kam, als der eigentlich vorgesehene Vorsitzende für den Audi-Prozess kurz nach der Anklagerhebung zum Bayerischen Obersten Landesgericht befördert wurde. Es brauchte dringend einen Nachfolger. Weickert traute man es zu.

Nach zweieinhalb Jahren vor Gericht: Audi-Chef Stadler muss gestehen

Zweieinhalb Jahre hat er das Audi-Verfahren ohne große Zwischenfälle auf Kurs gehalten – und seine Beharrlichkeit zahlte sich am Ende aus. Mitangeklagte des Audi-Chefs hatten Manipulationen schon eingeräumt. Jetzt besteht auch Stadler nicht länger darauf, von nichts gewusst zu haben.

Juristen und Laien loben Weickerts Faktensicherheit, die sachliche, zielführende Prozessführung - nicht immer frei von ironischen Spitzen, wenn ihn Zeugen allzu offenkundig hinters Licht führen wollen. Der Jurist hinterfragt hartnäckig Hierarchien und Verantwortlichkeiten

Ein Zwischenbilanz des Gerichts stellte Weichen 

Kurz vor Ostern hatte das Gericht mit einer Zwischenbilanz ein Signal gesetzt: Nach Einschätzung der Richter um Weickert steht die Schuld Stadlers fest. Spätestens im Juli 2016 dürfte der ehemalige Audi-Chef erkannt haben, dass die Abgaswerte von Dieselautos manipuliert, gewesen sein könnten. Statt der Sache auf den Grund zu gehen und die Handelspartner zu informieren, habe Stadler den Verkauf der Autos weiterlaufen lassen. 

Mit Geduld und Beharrlichkeit hat das Gericht dem einst so selbstbewussten Stadler die Überzeugung geraubt, mit einem Freispruch davonzukommen. Von der theoretischen Höchststrafe von zehn Jahren Haft war man nach einem Verständigungsgespräch aber auch weit entfernt. In Kreisen der Prozessbeteiligten war zuvor die Rede davon gewesen, dass der "Herr der Ringe" ohne Geständnis mit rund drei Jahren Haft rechnen müsse, etwas vergleichbar mit dem Steuersünder Uli Hoeneß.

Der "Deal", für den Stefan Weickert nun verantwortlich zeichnet, sieht vor, dass Stadler eine Bewährungsstrafe von 18 bis höchstens 24 Monaten bekommt und eine Geldstrafe von 1,1 Millionen Euro - gegen ein "vollumfängliches Geständnis".

 
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  • Arcus
    Wenn der Richter in Würzburg gelernt hat, dann hat er nichts vernünftiges gelernt. Mir erschließt sich nicht, warum man nach 168 Verhandlungstagen noch einen Deal eingeht. Ein Urteil hätte in diesem Fall (anders als in vielen anderen Fällen) sicher abschreckende Wirkung gehabt. So aber werden sich die Bosse sagen: „mit Geld kannst Dich immer freikaufen.“
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  • Max_Moritz
    „Ein bisher unbekannter Richter fällt das wichtigste Urteil in der deutschen Strafjustiz“
    …so ein Nonsens. Es geht in der Sache um einen Wirtschaftsbetrug unvorstellbaren Ausmaßes und ein riesiger Reputationsschaden noch dazu.
    Interessanter wäre, weshalb die Justiz für Herrn Stadler einen so billigen Kompromiss billigt. Der Mann hat wie seine VW-Vorstandskollegen wissentlich betrogen.
    1.1Mio sind im Vergleich zum Jahresgehalt von Stadler peanuts.
    In Braunschweig dürften härtere Urteile fallen.
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