In einem verbissenen Häuserkampf eroberten Soldaten der US-Armee Anfang April Würzburg. Der folgende, in gekürzter Fassung wiedergegebene Bericht aus den National Archives in Washington stammt von Robert J. Calhoun, US-Infanterist des 222. Regiments der 7. US-Armee. Seine Einheit, die Kompanie L der sog. Rainbow-Division (der 42. Infanterie-Division), gehörte zur Nachhut.
Nach der Eroberung des Elsaß, nach dem Rheinübergang bei Worms und der Einnahme von Mannheim und Heidelberg rückte die Heeresgruppe im März nach Wertheim vor. Am 1. April 1945 standen ihre Kampfverbände vor dem zur Festung erklärten Würzburg. Nach enormem Artilleriebeschuss vom Nikolausberg und Marienberg aus eroberten sie vom 2. bis 5. April die Ruinenstadt. Robert J. Calhoun berichtet:
Aufbruch nach Würzburg Ende März 1945
"Unsere Kompanie gehörte zur Division, deren Hauptquartier in Wertheim stationiert war. Ende März brachen wir nach Würzburg auf, als wir plötzlich ein seltsames Heulen am Himmel hörten, das immer lauter wurde und näher kam. Dann eröffnete unsere Flak das Feuer, und aufgrund der Richtung der Leuchtspurmunition, die von einem benachbarten schweren Maschinengewehr abgefeuert wurden, bekamen wir endlich das Flugzeug zu Gesicht. Es handelte sich um eine jener deutschen Düsenmaschinen, von denen wir so viel gehört hatten. In einem Augenblick war es zu sehen, im nächsten schon verschwunden. Ich hatte niemals etwas so schnell fliegen sehen.
Vormarsch nach Würzburg
Die Landschaft mit ihren terrassierten Hängen und Weinbergen war schön. Wir kamen an riesigen deutschen Munitionslagern vorbei, die im Wald versteckt waren. An den Straßenrändern lagen viele tote Pferde und beschädigte Wagen. Offensichtlich war das deutsche Heer nicht in so hohem Maße motorisiert wie vermutet.
Am 2. April lagen wir in einem Dorf vor Würzburg. Es kam der Befehl zu einer nächtlichen Erkundungspatrouille. Das einzige, das wir mitnehmen sollten, waren unsere Waffen und Munitionsgürtel. Vor uns lag, so wurde uns mitgeteilt, Würzburg und wir sollten versuchen, in dieser Nacht in die (linksmainischen) Viertel zu gelangen, um festzustellen, ob noch eine Brücke über den Fluß intakt war.
Als wir zum Main gelangten, brannten auf der anderen Seite einige Gebäude, sie warfen einen hellen Lichtschein über den ruhig fließenden, schwarzen Fluss. Wir hatten keine Vorstellung, ob und wo deutsche Soldaten waren. Wir teilten uns in zwei Reihen, eine auf jeder Straßenseite und gelangten an eine Brücke, die bereits gesprengt war (Luitpoldbrücke, heute Friedensbrücke) und versuchten, weiter in die Vorstadt (Mainviertel) hinein zu kommen. Ganz plötzlich begann ein Hund zu bellen, es kamen uns Zivilisten entgegen. Wir erfuhren, dass die Hauptmasse der Wehrmacht bereits einige Zeit vor unserer Ankunft den Main überquert und hinter sich die Brücken gesprengt hatte.
Niemand verlor Mitleid mit diesen Deutschen
Am Dienstag, 3. April 1945, hatten wir nicht einmal eine Frühstücksration. Jemand fand einen Laib dunklen, sauren deutschen Roggenbrotes in einem Schützenloch, und so aßen wir davon, auch wenn es grässlich schmeckte. Überall herum sahen wir die Folgen der Bombardierung (vom 16. März) mit Brandbomben; zahlreiche Blindgänger lagen noch herum. Aus der Stadt heraus konnten wir hören, wie deutsche Maschinengewehre das Feuer eröffneten. Für die Nacht versuchten wir, ordentliche Wohnungen hoch am Hang (Käppele, Mergentheimerstraße) zu finden. In den Häusern suchten wir zuerst nach Waffen, fanden aber außer ein paar Messern, Säbeln und Degen wenig, daher interessierten uns andere Wertgegenstände. Dieses Plündern wurde natürlich offiziell nicht zugelassen, aber es wurde nur wenig unternommen, es zu unterbinden.
Niemand verlor irgendwelches Mitleid mit diesen Deutschen, deren Armeen einen großen Teil Europas verwüstet hatten. Uhren und viel versteckt zurückgelegter Wein wurden gefunden, letzterer verschwand sogleich. Die meisten von uns sicherten sich ein Bett, wofür wir dankbar waren. Zivilisten brachten uns Nahrungsmittel aus einem unzerstörten deutschen Armeelagerhaus. Wir probierten alles: Fleisch, Käse, Obst und Süßigkeiten. Es war gar nicht übel.
Draußen waren einige unserer Panzer auf einem leeren Grundstück neben unserem Wohnhaus aufgefahren und beschossen die „Krauts“ auf der anderen Flußseite mit 1,25er Maschinengewehren und Panzerkanonen. Wir konnten die Deutschen von Deckung zu Deckung rennen sehen beim Versuch, dem mörderischen Feuer zu entkommen. Die Treffsicherheit der Panzerkanonen ist erstaunlich; die Kanoniere feuerten in die Fensteröffnungen von Häusern, die etwa einen Kilometer entfernt waren. Einige Zivilisten standen herum und beobachteten höchst interessiert, wie wir ihre Soldaten beschossen. Was für ein Krieg! Deutsche Artillerie versuchte, sich auf unsere Panzer einzuschießen, doch zogen die Geschosse weit über das Ziel hinaus.
Gefährlicher Flußübergang
Am Dienstag und Mittwoch, 3. und 4. April, standen wir Wache um unsere Quartiere und suchten nach Souvenirs. Draußen auf der Straße trieben ein paar von uns Motorräder auf, obwohl es uns durch Befehl verboten war, damit zu fahren, ja selbst ein Fahrrad zu benutzen. Am Donnerstag, 5. April 1945, zogen wir aus unseren Quartieren und überquerten den Main auf einer „Bailey bridge“, einer metallenen Pionierbrücke, und rückten in Richtung Stadtmitte vor. Wir konnten zur Festung Marienberg hinaufblicken, auf deren Mauer „Heil Hitler“ gemalt war.
Während der Zeit, die wir in den Wohnungen verbracht hatten, war der Rest Würzburgs von organisiertem Widerstand gesäubert worden. Als wir die Pionierbrücke überquerten, beeilten wir uns zügig, denn der Flußübergang geriet hin und wieder unter deutsches Artillerie-Störfeuer. Von Zivilisten erfuhren wir, dass der Brandbombenangriff, der Würzburg zerstört hatte, nur 17 Minuten gedauert hatte. Die älteren, massiver gebauten Steingebäude schienen nicht ganz so schwer betroffen zu sein wie die moderneren Gebäude. Je weiter wir in die Stadt hineinmarschierten, desto vollständiger wurde der Grad der Zerstörung. Wenige Zivilisten drehten sich nach uns um, wenn wir vorbeigingen, und die, die es taten, schauten uns meist mit feindseligen Augen an. An unserer Marschroute lag ein halbwegs intaktes Bankgebäude, aus dem ein GI gelaufen kam, der deutsche Geldscheine in die Luft warf. Wir dachten, es sei wertlos, fanden aber später heraus, dass es tatsächlich gültig und verwendbar war.
Zeichen einer unlängst beendeten Schlacht waren überall. Tote Deutsche lagen noch dort, wo sie gefallen waren; tatsächlich stellten wir später fest, daß es nicht empfehlenswert war, unter Büschen nach weggeworfenen Pistolen zu schnüffeln, denn oft begrüßte uns eine unangenehme Überraschung in Form eines ehemaligen Mitglieds der deutschen Wehrmacht. Kaum ein Gebäude war intakt; fast alles, was geblieben war, waren ausgebrannte Außenmauern.
Häuserkampf in den Ruinen
Obwohl Würzburg inzwischen von organisiertem Widerstand des Feindes gesäubert war, musste man wegen feindlicher Scharfschützen oder Nachzügler auf der Hut sein. Die Stadt ist sehr alt und weist unterirdische Durchgänge, Tiefkellergeschosse und dergleichen auf. Der Feind sickerte durch die Gänge wieder in die Keller ein, die meist noch intakt waren, und konnte aus dieser Deckung heraus, wenn wir uns zeigten, gezielt Schüsse auf uns abgeben. Einige von uns wurden als Wachen an die Keller ehemaliger öffentlicher Gebäude gestellt, da die tiefen Gewölbe unversehrt waren und wichtige Dokumente und Papiere enthielten. Es war seltsam und gespenstisch, sich den Weg durch die stillen, schuttverstopften Straßen an ausgebombten Gebäuden entlang zu suchen, von denen einige immer noch schwelten. Wahrhaft eine Totenstadt! In diesem Teil Würzburgs gab es eine ganze Reihe einstmals schöner Kirchen. Das Innere von jeder war ausgebrannt und nur die halbzerstörten Außenmauern waren stehen geblieben.
Am Sonntagabend, 8. April 1945, kam der Befehl, dass wir uns zum Abmarsch aus Würzburg vorbereiten sollten. Da unsere Kompanie nicht in die eigentlichen Kämpfe um die Stadt verwickelt gewesen war, meinten die meisten, dass unser Aufenthalt hier sehr angenehm gewesen war. Unser nächstes Ziel war Schweinfurt, das viel bombardierte Zentrum der deutschen Kugellagerindustrie.
Einleitung und Bearbeitung: Ulrich Wagner