zurück
OCHSENFURT
Vor 60 Jahren: Erbitterter Glaubensstreit um die Zuckerfabrik
Kontrahenten: Der Würzburger evangelische Dekan Wilhelm Schwinn (links) und der Würzburger katholische Bischof Julius Döpfner.
| Kontrahenten: Der Würzburger evangelische Dekan Wilhelm Schwinn (links) und der Würzburger katholische Bischof Julius Döpfner.
Von EPD-Mitarbeiter Daniel Staffen-Quandt
 |  aktualisiert: 11.01.2016 14:55 Uhr

Der Würzburger Bischof hatte in diesem Moment wohl eine Heidenangst. Julius Döpfner, der spätere Kardinal, ist am 28. Juni 1953 in seiner Kutsche auf dem Weg zur Einweihung der neuen Ochsenfurter Zuckerfabrik, als sein Gefährt jäh gestoppt wird. Evangelische Reiter aus Gnodstadt blockieren die Kutsche, sie überziehen den katholischen Oberhirten mit lauten Schmährufen. „Pfui!“, „Zieht ihn

raus!“, „Schlagt ihn tot!“ sollen sie gebrüllt haben. Die Polizei verhinderte Schlimmeres: Der „Ochsenfurter Zwischenfall“ war passiert.

Der Eklat an der Bischofskutsche hatte eine Vorgeschichte: An diesem Sonntag sollte die Zuckerfabrik bei der Eröffnung auch kirchlich geweiht werden. Die Fabrik-Direktion planen zwei Weihehandlungen: eine durch Döpfner, eine durch den evangelischen Würzburger Dekan Wilhelm Schwinn. Gemeinsame Weihehandlungen waren für Katholiken damals aber noch völlig undenkbar. Die Zuckerfabrik soll Schwinn daher wieder ausladen, fordert Döpfner. Der Streit nimmt seinen Lauf.

Der einzige katholische Vertreter aus der fünfköpfigen Fabrik-Direktion überbringt Schwinn die Botschaft Döpfners. Der Dekan sagt, er nehme vom katholischen Bischof keine Weisungen entgegen. Die vermittelnden Vorschläge, die Evangelischen sollten doch „ohne Ornat“ erscheinen und ein weltliches Grußwort sprechen, lehnt Schwinn ab. Aus Protest reist er sofort nach Würzburg ab. Schnell macht der Grund für Schwinns Abreise die Runde unter den Gnodstädter Reitern, die die Kutsche des Dekans begleiten sollten. Sie schäumen vor Wut und stürmen zum Festplatz.

Die Eskalation von Ochsenfurt ist wochenlang großes Thema, nicht nur in den Kirchen- und Lokalzeitungen, auch bundesweit. „Der Spiegel“ und die „Zeit“ berichten. Denn die Vorkommnisse in Unterfranken sind ein Indiz für den brüchigen konfessionellen Frieden der Nachkriegszeit, auch in der Politik. Theologisch sind die Fronten zwischen Protestanten und Katholiken verhärtet wie eh und je, politisch aber hatten die C-Parteien versucht, die konfessionellen Gräben zu überwinden. Mit zweifelhaftem Erfolg, wie die Tage nach dem Zwischenfall an der Zuckerfabrik zeigen.

Obwohl auch nach der deutschen Teilung die Evangelischen deutlich in der Mehrheit sind, fühlen sie sich in der Defensive – in Bayern ganz besonders. Protestanten waren in der CSU zum Beispiel von Anfang an deutlich unterrepräsentiert. Die erste CSU-Landtagsfraktion bestand zu über 88 Prozent aus Katholiken, 1950 sank der Anteil der Evangelischen weiter – auf nur noch 7 von 64 Abgeordneten. In der Bundestagsgruppe der CSU sah es im Jahr 1949 nicht besser aus: Gerade einmal 2 der 24 Politiker waren evangelisch.

Die Liberalen streuen zu diesem Zeitpunkt auch noch genüsslich Salz in die Wunden der Union. Noch am Nachmittag der Fabrikeinweihung ruft der FDP-Landtagsabgeordnete Ernst Falk den rund 8 000 überwiegend protestantischen Bauern auf dem Gelände zu: „Ist es denn schon wieder so weit, dass wir evangelische Christen Menschen zweiter Klasse sind?“ Die Bauern kündigen an, die neue Zuckerfabrik zu boykottieren. Alois Schlögl, CSU-Agrarminister, raunt der Presse laut „Spiegel“ daraufhin zu: „I wann Sie wäre, meine Herren, i tät gar nix schreib'n über des.“

In Bonn ist Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) wenige Monate vor der Bundestagswahl ziemlich verstimmt über den christlichen Bruderzwist in Unterfranken. Der Katholik ist aber nicht auf die Evangelischen sauer, sondern auf den Bischof – und schickt deshalb seinen Ministerialdirektor für heikle Angelegenheiten zu ihm. Der Jurist Hans Globke soll Döpfner zum Nachgeben bewegen. Er hat Erfolg. Der Bischof lenkt öffentlich ein, seiner Karriere schadet der Zwischenfall von Ochsenfurt nicht. Er wird vier Jahre später Bischof in Berlin und zum Kardinal ernannt.

Allen Bemühungen vin Bundes- und Landesregierung, den Streit politisch zu entschärfen, zum Trotz: Die Gemüter von Katholiken und Evangelischen in Unterfranken kochen weiter. Über viele Wochen hinweg liefern sich beide Seiten wortgewaltige Gefechte in Lokal- und Kirchenzeitungen, Stellungnahme um Stellungnahme wird abgedruckt.

Die Evangelischen wollten nie wieder bei öffentlichen Feiern „als Statist" mitwirken müssen. Mussten sie auch nicht, sie wurden oftmals gar nicht mehr zu Einweihungen eingeladen – katholische Geistliche aber schon.

Döpfner, der vor 100 Jahren, am 26. August 1913, geboren wurde, behält den Konfessionsstreit in Ochsenfurt lange in Erinnerung. Über 20 Jahre später, kurz vor seinem Tod, erinnert er sich an „die schwerste Prüfung seiner fränkischen Jahre. Der Bischof von Würzburg stand auf einmal da als sturer, konfessionell engherziger Kirchenmann"“ so Döpfner über sich selbst.

Heute wird er als Wegbereiter des II. Vatikanischen Konzils gesehen, als Vorreiter der Ökumene. Eine „Kirche im eigentlichen Sinn“ waren die Protestanten für ihn freilich nie.

Nach dem Eklat: Der Würzburger Bischof Julius Döpfner spricht am 28. Juni 1953 bei der Einweihung einer Zuckerfabrik in Ochsenfurt.
Foto: Fotos (2): EPD | Nach dem Eklat: Der Würzburger Bischof Julius Döpfner spricht am 28. Juni 1953 bei der Einweihung einer Zuckerfabrik in Ochsenfurt.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bischöfe
Bundeskanzler Konrad Adenauer
CDU
CSU
CSU-Landtagsfraktion
Evangelische Kirche
FDP
Fabriken
Hans Globke
Julius Döpfner
Kardinäle
Katholizismus
Polizei
Protestanten
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top