„Nachhaltigkeit“ ist ein Top-Thema. Immer mehr Produkte in Supermärkten sind „bio“ und „fair“. Unternehmen veröffentlichen Nachhaltigkeitsberichte. Auch Kommunen, forderte die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung von Rio de Janeiro im Juni 1992, sollen nachhaltig werden. „Lokale Agenda 21“ nennt sich der Prozess, der in den 1990er Jahren in vielen Gemeinden angestoßen wurde. Etliche Initiativen schliefen wieder ein. Nicht so die in Würzburg.
Es muss sich etwas ändern. Aus dieser Überzeugung heraus nahm Ulrike Ernst-Schwertberger am 30. September 1999 an der Auftaktveranstaltung zum Prozess der „Lokalen Agenda 21“ in Würzburg teil. „Mich faszinierten die vier Facetten des Prozesses“, erzählt sie. Ökologie, Ökonomie, Soziales und Nachhaltigkeit müssen zusammengedacht werden, damit sich eine Stadt umweltgerecht und zukunftsverträglich entwickeln kann, wurde bei der Veranstaltung dargelegt. Das war damals ein neuer Gedanke.
Komunalpolitiker befürchteten ein „Parallelgremium“
Es gab noch einen zweiten Grund, warum die Auftaktveranstaltung so viele Menschen anzog: Bürger waren angetan von der Idee, dass sie ihre Kommune selbst mitgestalten sollten. Auch dies ist heute unter dem Stichwort „Partizipation“ wesentlich selbstverständlicher. Damals allerdings stieß der Gedanke einer aktiven Bürgerschaft deutschlandweit auf große Bedenken. Kommunalpolitiker sahen nicht ein, warum es plötzlich ein „Parallelgremium“ neben dem Stadtrat, dem Gemeinderat oder dem Kreistag geben sollte.
Bis heute ist Ulrike Ernst-Schwertberger im Agenda 21-Prozess engagiert. Sie gehört neben Urgesteinen wie Heinz Erhardt zu jenen, die seit fast 20 Jahren durch alle Höhen und Tiefen des Prozesses hindurch bei der Stange geblieben sind. Aktuell engagiert sie sich im Arbeitskreis „Mobilität und Regionalentwicklung“. Der kämpfte lange für einen Main-Tauber-Radweg. 2005 wurde der tatsächlich realisiert. Fünf Jahre danach konnte nach mehr als zehnjährigem Kampf der Bahnhaltepunkt in Reichenberg eröffnet werden.
Naumann: „In Berlin flogen damals die Fetzen.“
Das sind dringend notwendige Erfolgserlebnisse, die motivieren, weiterzukämpfen, meint Thomas Naumann, der sich ebenfalls im AK Mobilität engagiert. Auch Naumann kennt den Prozess der Lokalen Agenda 21 seit 20 Jahren. Zehn Jahre lang engagierte er sich in Berlin. Danach zog er nach Würzburg, wo er sich in den hiesigen Prozess einklinkte. In Berlin, erinnert er sich, flogen oft die Fetzen. Das ist in Würzburg nicht so. Dafür würden die hier eingebrachten Vorschläge mitunter einfach ignoriert. Was für den Verkehrsplaner bitter ist: „Dadurch wird die Agenda 21 zum zahnlosen Tiger.“
Naumann setzt sich seit fast fünf Jahren für eine Veränderung der Straba-Haltestellen in der Zellerau ein. Dass die Tram mitten auf der Straße hält, sei gefährlich, sagt er. Im Dezember 2011 kam es denn auch zu einem tragischen Unfall: Eine 13-Jährige starb. Naumann und die anderen AK-Mitglieder wollen erreichen, dass die Zellerauer Haltestellen nach dem Modell des Ulmer Hofs umgestaltet werden.
Idee des Lastenrades schnell verwirklicht
Sowie die Straba einfährt, soll eine Ampel auf Rot schalten und den Autoverkehr bremsen. Die Halteinseln sollen außerdem so umgebaut werden, dass Menschen mit Behinderung mit Hilfe einer mobilen Rampe selbstständig zusteigen können. Dass sich der AK den Kopf über die ÖPNV-Situation in der Zellerau zerbrach und zu einer ausgeklügelten Konsensentscheidung fand, wurde gelobt: „Doch geschehen ist bis heute nichts.“
Schnell realisiert wurde hingegen die Idee „Lastenrad“. Die beiden Lastenräder „Louise“ und „Anton“ sind inzwischen eine Art neues Symbol der „Agenda 21“ in Würzburg. Für dieses Projekt hatte sich vor allem Bas Bergervoet eingesetzt. Der 31-Jährige, der aus den Niederlanden stammt, ist leidenschaftlicher Radfahrer: „Als ich vor zwei Jahren nach Würzburg zog, suchte ich im Internet, wo ich mich engagieren konnte.“ Obwohl er zuvor noch nie etwas davon gehört hatte, zog ihn die „Agenda 21“ an.
Ähnlich ging es Franziska Köller, die sich im Arbeitskreis „Nachhaltiger Konsum“ engagiert. Köller kam 2011 nach Würzburg. „Zu jener Zeit beschäftigte ich mich intensiv mit dem Thema ,Nachhaltigkeit?.“ Auch sie wollte Mitstreiter finden. Auch sie befragte deshalb das weltweite Netz. Das spuckte ihr die „Lokale Agenda 21“ aus – weil es zu jener Zeit noch keine anderen Initiativen gab.
Ansprechpartner in Stadt und Landkreis
„Das ist heute völlig anders“, sagt Ursula Groksch von der Umweltstation, die sich zusammen mit Claudius Stanke hauptamtlich für die Agenda 21 in der Domstadt einsetzt. Inzwischen gibt es „Transition Town“, den Umsonstladen „Luftschloss“, Repair-Cafés, das „Freirad“ und den „Freiraum“. Überhaupt habe sich der Lebensstil vieler Menschen in den vergangenen 25 Jahren gewandelt: „Viel mehr ernähren sich heute vegetarisch.“
Dass es mit Ursula Groksch eine Agenda 21-Koordinatorin, mit Claudius Stanke einen städtischen Agenda 21-Beauftragten und mit Sebastian Grimm einen Ansprechpartner im Landkreis gibt, macht die Schlagkraft der Agenda 21 aus. Genau das unterscheidet den Prozess von anderen Initiativen. Die Ideen der Engagierten kommen sicher bei der Kommunalpolitik an. Dafür sorgen die Hauptamtlichen. Sie müssen also zur Kenntnis genommen werden. Was zwar noch nicht heißt, dass die Vorschläge auch realisiert werden. Aber andere Initiativen haben oft keine Chance, überhaupt wahrgenommen zu werden.
Edmund Gumpert: „Der Agenda-21-Prozess wirkt weiter“
Mit Edmund Gumpert (im Bild), Umweltbeauftragter des Bistums Würzburg von 1990 bis 2014, gibt es einen leidenschaftlichen Befürworter der Lokalen Agenda 21. Seine persönliche Bilanz des Prozesses 25 Jahre nach ihrem Start fällt gemischt, aber keineswegs negativ aus. Die Euphorie sei zwar vielerorts verflogen, „auch das sperrige Wort ,Agenda 21? tauscht kaum noch irgendwo auf.“ Doch insgeheim wirke der Prozess weiter.
Zukunfts- und Bürgerwerkstätten gebe es heute, etwa wenn es um das Regionalmanagement oder um die Erstellung Integrierter Ländlicher Entwicklungskonzepte (ILEK) geht. Genau diese „Formate“ entsprechen Gumpert zufolge dem Geist der Lokalen Agenda 21. Die zielt darauf ab, möglichst viele Bürger dazu zu bringen, sich an Entscheidungsprozessen zu beteiligen.
Durch die Agenda 21 sei es vor allem auch gelungen, die Kirche mit Umweltverbänden, Eine-Welt-Initiativen, Wohlfahrtsverbänden, Bürgerinitiativen, Akademien und vereinzelt sogar mit Unternehmen und Wirtschaftsverbänden zu vernetzen. Außerdem wurde ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass Ökologie nicht ohne Ökonomie geht – und umgekehrt. „Schließlich haben nicht wenige Aktive über das Engagement im Agenda 21-Prozess den Weg in die Kommunalpolitik gefunden“, so Gumpert.
Sie wurden Gemeinde- oder Kreisräte, „und suchen in den Beschlussgremien, Entscheidungen im Geist der Agenda 21 zu beeinflussen.“ Auch die Regierung von Unterfranken nahm nach den Worten des ehemaligen Umweltbeauftragten die Initiativen der Lokalen Agenda 21 ernst und unterstützte die Agenda 21-Beauftragten in den Landkreisen und den kreisfreien Städten. Umgekehrt befassten sich Agenda 21-Akteure mit drängenden Zukunftsfragen, die der Regierung wichtig sind, etwa der „Aktion Grundwasserschutz in Unterfranken“.