Ein Haustier als Schutzpatron, familiäre Atmosphäre und Möbel aus dem alten Kinderzimmer – das vereinen Lukas (30) und Kilian (25) Flade in der „Moritz Bar“ zu einem stimmigen Gesamtbild. Vor drei Jahren haben die Würzburger Brüder die Kneipe im Berliner Bezirk Wedding eröffnet. Mittlerweile haben sie sich auf drei Geschäfte vergrößert. Im Mai 2015 kam das „Moritz am Park“ in Moabit dazu, zwei Monate später das „Café Sur“ in Wedding, das sie mit einer Freundin führen.
Über dem geschwungenen Tresen hängen mehrere Glühbirnen, an der Wand Poster von Liebesromanen, in der Ecke eine Stehlampe mit Fransen. Zum Spaß suchten die beiden gebürtigen Würzburger vor drei Jahren in Berlin nach Immobilien. Obwohl sie weder Sicherheiten noch ein pralles Budget vorzuweisen hatten, bekamen sie den Mietvertrag. „Es war der erste und einzige Laden, den wir uns angeschaut haben.“ In Eigenregie begannen sie, den kompletten Laden zu renovieren. Nach einigen Monaten war das finanzielle Polster erschöpft, ihnen war klar: Wir müssen eröffnen. Etwa ein Jahr lang standen sie jeden Tag allein hinter dem Tresen. Nun haben sie sechs Mitarbeiter.
Die Brüder sind nach wie vor mit ihrer Heimat verbunden
Lukas Flade war vor zehn Jahren zur Gastronomieausbildung in die Hauptstadt gezogen. Kilian kam vor knapp fünf Jahren nach, um Stadtentwicklung zu studieren. Mit ihrer Heimat fühlen sie sich nach wie vor stark verbunden. „Ich vermisse die Würzburger Lebensart. Zum Beispiel mit einem Wein auf der Alten Mainbrücke zu stehen“, sagt Kilian. Außerdem wisse man in der Domstadt, wo man was bekommt. „Es ist alles kompakter. Man hat dort eher ein Geborgenheitsgefühl. Hier in Berlin fühlst du dich manchmal etwas alleine.“
Schon als Kinder hätten sie erfolgreich Projekte auf die Beine gestellt, beispielsweise wochenlang für Weihnachtsshows geprobt. Lukas habe sogar Verträge aufgesetzt. Als Lohn sicherte er seinem Bruder ein Stück Stoff zu. Der Name der Bar hat seinen Ursprung ebenfalls in einem gemeinsamen Projekt. Die beiden holen ein rotgerahmtes Bild und präsentieren stolz den Namensgeber: Moritz: ein weiß-graues Meerschweinchen.
Die Veranstaltung „Gay Wedding“ soll ein Zeichen setzen
Mit der „Moritz Bar“ wollten die Brüder in Wedding einen Treffpunkt schaffen, wo jeder willkommen ist. Dennoch setzen sie mit ihrer Veranstaltung „Gay Wedding“ einen Schwerpunkt. Das habe einen ernsten Hintergrund: Schwule und Lesben würden nach wie vor diskriminiert, sagen sie. An diesen Abenden kämen auch Männergruppen, die nicht homosexuell seien, weiß Kilian. „Wenn diese Jungs am nächsten Tag am Arbeitsplatz erzählen, dass sie bei ,Gay Wedding‘ waren, sorgt das für ein bisschen Normalität im Umgang mit Homosexualität.“ Auch können sie nach drei Jahren als Barbetreiber von skurrilen Erlebnissen erzählen. Kilian ist besonders ein stark betrunkener Mann im Gedächtnis geblieben. Der sei, als er in die Kneipe kam, obenrum adrett bekleidet, aber unterhalb der Hüfte völlig nackt gewesen. Unter johlendem Gelächter der Gäste habe er den Mann nach draußen begleitet.
Alle halbe Jahre kreiert Lukas neue Drinks für die Getränkekarte. Darauf stehen selbst gemachtes Root Beer und Tonic Water. Guter Service liegt den Wahl-Berlinern auch am Herzen: „Wir behandeln die Leute gut. Ich glaube, das haben manche Gastronomen einfach vergessen.“ Gedanken über einen vierten Laden machen sie sich auch schon. . .
Jeder Modeentwurf ist ein Erlebnis
Ein anderer Ex-Würzburger, der in Berlin sein Glück macht ist Tim Labenda. In seinem Atelier in Berlin Kreuzberg reihen sich volle Kleiderstangen aneinander – wilde Fransen, Handstrick, kokonähnliche Muster. Egal ob haarig, glatt, glänzend, transparent oder rau: Jeder seiner Entwürfe ist ein Erlebnis, optisch und haptisch. Die Stoffauswahl von Labendas Herbst-/Winterkollektion 2016/17 mit dem Motto „Rumpus“ (englisch für Krawall) ist aufregend, abwechslungsreich und laut.
„Es muss sich so gut anfühlen, dass du es nie wieder ausziehen willst.“ Die Stoffe bezieht Labenda aus Europa. Gefertigt wird in Deutschland. Jede Modelinie des 30-Jährigen erzählt eine Geschichte. In der neuen Kollektion ist es „Wo die wilden Kerle wohnen“ von Maurice Sandak. „Es sind nicht nur Klamotten, die zusammenpassen. Es ist klar ersichtlich, woher die Inspiration kommt.“ In der Mode sei immer mehr Augenzwinkern erlaubt, freut sich der Designer und nimmt eine Faultier-Stola aus Kunstfasern und verschiedenen Wollarten vom Kleiderbügel. Der Designer liebt seinen Beruf: „Du musst es hundertprozentig wollen und ein Stück weit zu deinem Lebensinhalt machen.“ Genau das hat er getan.
Ein Atelier im Schwimmbad
Für seine Lehre zum Herrenschneider bei Hugo Boss zieht er nach dem Abitur von Wetter an der Ruhr nach Metzingen. 2008 beginnt er sein Modedesignstudium, anschließend arbeitet er bei Modeschöpferin Ute Ploier in Wien. Ende 2012 kommt Labenda nach Würzburg, wo er einen Job bei dem Modeunternehmen Drykorn bekommt. Einige Monate später nimmt er an der TV-Sendung „Fashion Hero“ teil und kann sich mit den dadurch verkauften Kleidungsstücken seinen Traum vom eigenen Atelier erfüllen.
Es befand sich in einem nicht ausgebauten Schwimmbad im Würzburger Stadtteil Heidingsfeld: „Das war unglaublich schön.“
Und obwohl er sich in Berlin sehr wohl fühlt („Berlin macht es einem schwer, Würzburg zu vermissen“), fehlt ihm der Blick auf die Würzburger Festung Marienberg. Und: „Ich vermisse die Sauberkeit und dass mit der Stadt so pfleglich umgegangen wird.“ In der Hauptstadt sei das nicht der Fall.
2014 eröffnet Labenda seinen Showroom in Berlin. Bevor er ein Jahr später ganz dorthin zieht, pendelt er zwischen der Hauptstadt, Würzburg und Butzbach, wo er die kreative Leitung von Hess Natur für die Herrenmode übernommen hatte. „Die Pendelei wurde zu viel.“ Bis zu 20 Stunden habe er jede Woche im Zug verbracht. In seiner aktuellen Frühjahrs-/Sommerkollektion „Wanderlust“ drückt Labenda dieses Hin und Her aus. Umgesetzt hat der 30-Jährige das mit großen Blasebalgtaschen sowie fließenden Stoffen in gedeckten Farben.
Labendas Familie und Partner sind wichtige Stützen
Und er ist angekommen in Berlin. Auch wenn er – obwohl er mittlerweile seinen Platz in der Modewelt gefunden hat – noch Bedenken hat. „Davon frei machen, kann man sich einfach nie. Du wirst immer daran zweifeln, ob du gerade das Richtige tust.“ Ein stabiles Umfeld sei wichtig. Sein Partner und seine Familie würden ihn stets unterstützen. Labenda deutet mit seinem Blick auf Pudel Putin: „Auch er gibt einem viel Energie.“
Bestimmte Ziele für die Zukunft hat der 30-Jährige derzeit zumindest nicht. Er lasse alles auf sich zukommen. Das biete am wenigsten Frustrationspotenzial. Ihm sei es lediglich wichtig, dass es seinem vierköpfigem Team und ihm gut gehe, dass alle glücklich seien und – wichtig für Labenda – Lust auf das hätten, was sie täten. „Der Rest kommt von selbst“, sagt der 30-Jährige und lacht.
Würzburger in Berlin (Auswahl)
• Jürgen Hammelehle: Der frühere Geschäftsführer der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) mit Sitz in Würzburg leitet heute die Öffentlichkeitsarbeit des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED).
• Roman Rausch: Der Buchautor lebt in Berlin-Weißensee und hat seine Krimis und Romane – viele spielen in Würzburg – in zigtausendfacher Auflage verkauft. Aktuelles Werk ist sein historischer Roman „Der falsche Prophet“ über den Pfeifer von Niklashausen. Im Herbst soll ein Buch zum 16. März 1945 erscheinen.
• Thomas Pigor: Der 59-Jährige, Anfang der 1980er-Jahre Mitarbeiter des Autonomen Kulturzentrums und Straßenmusiker („Knacko & Konfetti“), kommt in Berlin groß raus. Als Kabarettist, Komponist und Sänger von „Pigor singt und Eichhorn muss begleiten“ ist er unter anderem Träger des Deutschen Kleinkunstpreises, des Deutschen Chansonpreises und des Deutschen und Österreichischen Kabarettpreises.
• Christian Zübert: Der 42-jährige Drehbuchautor und Filmregisseur (Lammbock, Dreiviertelmond) ist in Würzburg geboren und hat hier studiert. Gejobbt hat er damals auch bei der Main-Post. 2011 hat Zübert den Grimme-Preis für sein Drehbuch für „Neue Vahr Süd“ und für die Regie des Tatorts „Nie wieder frei“ bekommen.
• Jürgen Zink: Startete seine Musikerkarriere in den 1980er Jahren in Würzburg und war in vielen Clubs ein gern gesehener Gast. Als „JZ James“ hat er sich in der Berliner Bluesszene etabliert und gerade eine neue CD mit dem Titel „A Great Notion“ veröffentlicht.
• Martin Klingeberg: Der virtuose und vielseitige Jazz-Trompeter hat am Zilcher-Konservatorium studiert und war an zahlreichen Bandprojekten beteiligt, bis ihm Würzburg zu klein wurde. In Berlin arbeitet er unter anderem als Komponist und Musiker an großen Bühnen (Schaubühne, Berliner Ensemble) mit großen Regisseuren (Claus Peymann), Choreografen (Robert Wilson) und prominenten Musikern und Schauspielern (Herbert Grönemeyer, Ben Becker).
• Johannes Lay: Der frühere Geschäftsführer des fränkischen Weinbauverbandes ist heute Hauptgeschäftsführer der Deutschen Atlantischen Gesellschaft.