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Würzburg
Von Männerfreundschaft und toxischem Gedankengut
Martin Schulze (Thomas Lazarus) und Max Eisenstein (Stephan Ladnar).
Foto: Markus Rakowsky | Martin Schulze (Thomas Lazarus) und Max Eisenstein (Stephan Ladnar).
Ursula Düring
 |  aktualisiert: 29.09.2023 03:00 Uhr

90 Minuten atemlose Stille, dann verdienter, lang anhaltender Applaus. "Empfänger unbekannt", ein von Thomas Lazarus bemerkenswert in Szene gesetzter Briefroman nach der Vorlage der amerikanischen Schriftstellerin Kathrine Kressmann Taylor, feierte in der Theaterwerkstatt in Würzburg eine spannende Premiere.

Der Jude Max Eisenstein und sein deutscher Freund Martin Schulze besitzen in den USA eine renommierte Gemäldegalerie. Da entscheidet sich Schulze, nach Deutschland zurückzukehren. Ab da fliegen ausführliche Schriftstücke über den großen Teich. Anschaulich plaudern die beiden schriftlich über alles, was ihren Alltag betrifft. Berichten von beruflichen und familiären Entwicklungen. Alles ist harmonisch und freundschaftlich, bis der amerikanische Jude Max eine Frage nach den politischen Verhältnissen in Deutschland stellt.

Der Briefroman aus dem Jahr 1938 spielt in den Jahren von Adolf Hitlers Machtergreifung. Er zeigt fesselnd, wie toxisches Gedankengut langsam in eine Gesellschaft einfließt, wie totalitäre Systeme entstehen können und wie Menschen ihrem Einfluss erliegen. Es ist eine zeitlose Parabel von beklemmender Aktualität – ein Stück, in dem Gemeinsamkeiten beschworen werden und fehlende Zivilcourage die Welt auf den Kopf stellt.

Schwarz-weiß die Bühne, spärlich ausgestattet mit schwarzen Rahmen. Ein Barhocker, ein Tisch samt Schreibmaschine in einer Ecke, ein Klavier in der anderen. In dieser Kulisse begegnen sich Stephan Ladnar als Max Eisenstein und Thomas Lazarus als Martin Schulze in intensivem Spiel, das so unter die Haut geht, dass niemand unberührt bleibt. Textsicher und souverän nehmen die Schauspieler die Zuschauer mit in ihr Beziehungsgeflecht, in eine herzhafte Männerfreundschaft.

Stephan Ladnar als Max in bequemem Outfit mit Hemd und Hosenträgern bedient ein weit umspanntes Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten. Sprechende Augen, sprechende Körperhaltung spiegeln seinen Gemütszustand. Man spürt Zuneigung, später Sorgen, Flehen um Hilfe. Und letztendlich Abscheu, Entsetzen, Enttäuschung und Entschlossenheit.

Thomas Lazarus in der Rolle des Martin in edlem Anzug mit Fliege ist der eher indifferente Freund. Er zeigt den Emporkömmling, der sein ehemals kritisches Bewusstsein verdrängt und zum Profiteur der politischen Situation wird – treulos, verräterisch, charakterlos. Aber auch nackte Angst, die dem überzeugten Deutschen ins Gesicht geschrieben steht. Eine Reihe von Liedeinlagen aus dieser Zeit, dargeboten von Lika Flagner, erhöhen geschickt die Spannung der Handlung.

 
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