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WÜRZBURG
Von der Steinkohle zur Gasturbine
Prägt mit drei Kaminen das Würzburger Stadtbild: Das 60 Jahre alte Heizkraftwerk an der Friedensbrücke.
Foto: Moritz Baumann | Prägt mit drei Kaminen das Würzburger Stadtbild: Das 60 Jahre alte Heizkraftwerk an der Friedensbrücke.
Ernst Jerg
Ernst Jerg
 |  aktualisiert: 17.10.2017 11:43 Uhr

Wo gibt es schon mal eine Geburtstagsfeier mit vielen Gästen und das Geburtstagskind muss weiter arbeiten. Die Antwort: Im Heizkraftwerk (HKW) an der Friedensbrücke. 60 Jahre steht die Anlage nun schon in Würzburg, und während der Feier erzeugten die Gas- und Dampfturbinen weiter Strom und Fernwärme für die Stadt.

HKW-Geschäftsführer Armin Lewetz war natürlich genauso da wie seine Mitarbeiter, die die Anlage bedienen. Und im Reigen der Jubiläumsredner fanden sich Oberbürgermeister Christian Schuchardt, WVV-Konzernchef Thomas Schäfer, unter dessen Dach sich das Heizkraftwerk befindet, und HKW-Aufsichtsratsvorsitzender Joachim Spatz.

Situation nicht gerade rosig

Bei den Geburtstagreden wurde eines jedenfalls deutlich: die aktuelle Situation ist nicht rosig für die 90-Millionen-Euro-Anlage. Denn die umweltfreundliche Stromproduktion in Gaskraftwerken ist derzeit zu teuer, es lässt sich kaum Geld verdienen. Also steht das Würzburger Kraftwerk häufiger mal still. Seit 2002 ist der Betrieb weg von der Würzburger Vollversorgung und läuft nach einem Fahrplan, der sich nach den jeweiligen Anforderungen richtet.

Doch abseits der reinen Produktion lässt sich auch Geld verdienen: der neue Markt für solche Kraftwerke mit umweltfreundlicher Stromerzeugung heißt Regelleistung zur Verfügung stellen, um das Netz stabil zu halten. Das wird immer dann notwendig, wenn die Anlagen für regenerative Energien nicht entsprechend der Wetterprognosen liefern können.

Daher nimmt das Würzburger Heizkraftwerk an wöchentlichen Auktionen teil, bei denen die Einsätze für solche Sekundär-Regelleistungen vergeben werden. Die Einnahmen liegen im Millionenbereich.

Lewetz und Schäfer hatten diese Einnahmequelle erkannt und das Würzburger Werk aufgerüstet: Nach einigen Umbauten können die Mitarbeiter die Anlage binnen fünf Minuten hoch- oder bei einer bundesweiten Stromüberproduktion herunterfahren. Und warum, so die neueste Idee, könne man da nicht anderen Kraftwerksbetreibern bei dieser Steuerung helfen mit dem Würzburger Know-how. Und so sammelt die WVV jetzt mit Erfolg Kraftwerke für einen Pool, der von der Domstadt aus geregelt und gesteuert wird.

Baustellen für Fernwärme bis 2025

Dann gibt es noch die Fernwärmeerzeugung an der Friedensbrücke, eigentlich ein Abfallprodukt aus der Stromerzeugung. Die WVV modernisiert gerade das Netz und stellt von heißem Dampf auf heißes Wasser um. Die Baustellen in der Innenstadt zeugen von dem Aufwand, der sich noch bis 2025 hinziehen wird. Die Verantwortlichen erhoffen sich davon einen wesentlich wirtschaftlicheren Betrieb.

Alles Zukunftsvisionen und dabei begann Lewetz die Geburtstagsfeier eigentlich mit einem Ausflug in die Vergangenheit und führte die Gäste ins Jahr 1954. Am 11. November hatte damals ein junges Mädchen, die Kriegswaise Gertraud Hartzke, das erste Feuer im Kessel des neuen Kohle-Heizkraftwerkes entzündet.

Und heute steht eine hochtechnisierte und computergesteuerte Anlage in Würzburg. Die Idee mit der Fernwärme zu heizen, so Lewetz, sei damals auch revolutionär gewesen: der Würzburger Talkessel, die vielen Einzelöfen der 50er Jahre und der damit verbundene Smog stießen die Planer mit der Nase auf eine umweltfreundlichere Wärmelieferung für die Haushalte.

Nach so vielen Veränderungen im Leben des HKW attestierte denn auch Christian Schuchardt den Mitarbeitern, sie seien hoch innovativ. Er brachte als Geschenk einen Vertrag mit, in dem sich die Stadt verpflichtet, bis 2034 Gas und Strom von der WVV abzunehmen.

Gratulanten zum 60. Geburtstag des HKW: (von links) Thomas Schäfer, Armin Lewetz, Christian Schuchardt und Joachim Spatz.
Foto: Theresa Müller | Gratulanten zum 60. Geburtstag des HKW: (von links) Thomas Schäfer, Armin Lewetz, Christian Schuchardt und Joachim Spatz.

WVV-Geschäftsführer Thomas Schäfer brachte noch einmal die Situation von gasbetriebenen Heizkraftwerken auf den Punkt: „Es herrscht ist eine depressive Situation am Markt.“ Seine Pläne für die Anlagen-Zukunft: weiter in Fernwärme investieren und den Standort am Alten Hafen hochwassersicher machen.“ Er ist sich jedenfalls sicher: „Wir werden einen neuen Platz am Energiemarkt finden.“ Diese Aussage unterstützte der Aufsichtsratsvorsitzende Joachim Spatz. In einer Zeit, in der immer mehr Atomkraftwerke vom Netz gingen, sei das HKW wichtig in Würzburg für die Versorgungssicherheit.
 

Geschichte des Kraftwerkes an der Friedensbrücke

• In der ersten Ausbaustufe im Jahr 1954 werden zwei Kessel mit einer Leistung von 40 Tonnen Dampf pro Stunde aufgestellt und das HKW verfügt über zwei Kamine.

• Die Montage der zweiten Ausbaustufe beginnt im Frühjahr 1958. Planmäßig wird ein dritter Ofen mit einer Leistung von 64 Tonnen Dampf pro Stunde aufgestellt und deswegen ein dritter Kamin installiert. Im Volksmund hieß das Kraftwerk dann „Panzerkreuzer Emden“. Zwei Generatoren mit je 10 000 Kilowatt Leistung produzierten damals elektrische Energie.

• Im Jahr 1967 werden die drei kleinen Kamine abgebaut. Und ab 1968 ist der Einzelkamin ganz in Betrieb. Mehr als 36 Jahre prägt der Schlot das Stadtbild. In der Öffentlichkeit wird er scherzhaft als „Würzburger Spargel“ bezeichnet.

• 1987 wird durch Friedrich Ernst von Garnier das Erscheinungsbild des HKW neu gestaltet. Durch sonnige Farben und eine neue Farbordnung werden Kraftwerk und Schornstein zu „optimistischeren Großmöbeln“ umgestaltet. Der erste Modernisierungsabschnitt erfolgte im Jahr 2005. Der Kohlelagerplatz wurde überbaut und eine Gas- und Dampfturbinenanlage (GuD I) installiert. Die neue Gas- und Dampfturbinenanlage verwendet Erdgas als Primär-Energieträger.

• Am 18. September 2003 war symbolischer Spatenstich für das neue Heizkraftwerk. Die Bauarbeiten dauern eineinhalb Jahre. Die letzte Lieferung Kohle traf im Heizkraftwerk am 22. August 2003 ein. Von 1955 bis 2003, über 48 Jahre lang, lieferten 2161 Schiffe knapp 1,9 Millionen Tonnen Kohle an das Heizkraftwerk. Damit wurden rund 20 Millionen Tonnen Dampf produziert.

• Dann geht es Schlag auf Schlag. Im Juni 2004 trifft die neue Gasturbine ein. Ab dem 10. August 2004 werden die neuen Kamine errichtet, ab dem 25. Oktober wird der alte Kamin rückgebaut. Die GuD I geht am 17. Januar 2005 ans Netz.

• Nach einem europaweitem Wettbewerb werden die Architekten Brückner & Brückner 2005 mit der Neugestaltung der Fassade des Heizkraftwerks und der Wegeführung um das Heizkraftwerk beauftragt. Bis 2006 änderte sich das äußere Erscheinungsbild komplett. Die Vision der Architekten, das Heizkraftwerk in die neu entstandene Kulturmeile am alten Hafenbecken der Stadt Würzburg zu integrieren, wurde unter dem Motto „Stadtraum und Energie“ eindrucksvoll verwirklicht.

• Im August 2007 beginnt der zweite Modernisierungsabschnitt. Der Kohleblock II wird zur Anlage GuD II. Der Probebetrieb fand im Januar 2009 statt und am 22. Mai 2009 war die offizielle Inbetriebnahme der zweiten Anlage. Es ist Bayerns drittgrößter kommunaler Energieerzeuger.

 
 
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