Vor fünf Jahren sind der Schriftsteller Leander Sukov, ein gebürtiger Hamburger, und die Bühnensprecherin und Verlegerin Simone Barrientos, gebürtig aus Eisleben in Sachsen-Anhalt, aus Berlin nach Ochsenfurt gezogen. Sie suchten Ruhe, aber nicht lange. 2017 zog Barrientos für die Linkspartei in den Bundestag ein. 2019 wählten die Mitglieder des Schriftstellerverbands PEN (Poets, Essayists, Novellists) Sukov zu ihrem Vizepräsidenten, zuständig für Autoren im Exil. Das Gespräch fand statt in ihrem etwa 500 Jahre alten Haus in der Ochsenfurter Altstadt, oben im Dachgarten, wo das Grün wild wuchert.
Leander Sukov: Das war eine mühselige Kleinarbeit, den Garten verwildern zu lassen. Ich habe da so eine große Tüte mit Bienenzeugs, das habe ich einfach mit vollen Händen hier draufgehauen, bei Regen.
Sukov: Das gehört sozusagen den kleinen Fliegedingern, die dann durch die Gegend summen.
Barrientos: Da ist ordentlich was los.
Sukov: Es ist schön! Wie eine Insel.
Barrientos: Als Linke beschäftigen wir uns ja immer mit den Problemen der Abgehängten. Die gibt es hier natürlich auch, aber gemessen am Zustand sonst im Lande und in Europa ist das hier noch ziemlich heile.
Sukov: Meine Erfahrung ist hier, dass die Leute solidarischer sind als woanders.
Barrientos: Es ist eine unheimlich freundliche Stadt.
Barrientos: Leander ist der erste Mann, mit dem ich zusammenlebe. Wir haben uns drei Mal getroffen und dann kam er in Berlin mit dem Koffer und blieb. Das ging sofort völlig problemlos, weil er nie versucht hat, mich zu ändern. Er ist der souveränste Mann, den ich kenne.
Sukov: Ich bin ich. Das habe ich mit 14 Jahren entschieden. Ich habe für mich immer diese Rollenfestlegung abgelehnt.
Barrientos: Und ich bin ostsozialisiert. Die Frage nach Gleichwertigkeit hat sich für mich nie gestellt, sondern die war schon geklärt. Es gab auch bei uns im Haushalt nie Männer- und Frauensachen. Ich bin ja Elektrikerin und natürlich nehme ich die Bohrmaschine in die Hand. Dieses Weibchen-Schema kann ich nicht.
Sukov: Die macht immer die Bohrer kaputt.
Barrientos: Ein Mal!
Sukov: Wir haben uns tatsächlich noch nie ernsthaft gestritten.
Barrientos: Das stimmt. Wir haben schon Dinge diskutiert, aber wir haben uns noch nie gestritten, wo man Dinge sagt, die man hinterher bereut.
Barrientos: Wir haben, glaube ich, von Anfang an gewusst, dass das etwas ganz Wertvolles ist, dass wir uns gefunden haben. So einen finden wir nicht wieder. Wir sind sehr sorgsam miteinander umgegangen. Wenn mal einer mit den Nerven am Ende war, dann haben wir ihn in Ruhe gelassen.
Barrientos: Wenn man von den richtigen Leuten angegriffen wird, dann hat man alles richtig gemacht.
Barrientos: Da bin ich locker. Das ist so lächerlich. Wer das macht, der disqualifiziert sich selbst. Als Frau, noch dazu in dem Alter, und wenn man dann noch gern zeigt, dass man Frau ist, wird man natürlich unter der Gürtellinie angegriffen bis zum Geht-Nicht-Mehr. Was ich da schon an Beleidigungen gelesen habe, das ist übel. Ich schütze mich insofern, als dass ich ich bleibe. Ich versuche, mich nicht zu verkleiden. Wenn jemand schreibt, ich könnte auch unter einer roten Laterne stehen, dann trifft mich das nicht, wenn ich mich so kleide, wie ich mich kleide. Wenn ich versuchen würde, mich zu verkleiden, würden sie mich trotzdem beleidigen, aber ich wäre eine andere.
Sukov: Ich lösche die einfach und sperre die und fertig ist die Kiste. Ich mache mich natürlich auch ein bisschen lustig über die. Da war der eine, der schrieb: Stirb, du Jude!. Da habe ich dann über den Justiziar des deutschen PEN Strafanzeige gestellt, dann antwortete die Staatsanwaltschaft, der Beschuldigte ist verstorben. Das habe ich eingescannt und immer wenn mich einer wieder angegangen ist, habe ich das gepostet und drunter geschrieben, der andere ist schon tot. Aber eigentlich muss man sie bedauern. Das sind wirklich arme Schweine, die das machen.
Sukov: Ich fürchte mich schon vor manchen Sachen, aber Angst habe ich nicht. Meine Horrorvorstellung ist das Altern. Aber in der politischen Arbeit …
Barrientos: Das hilft einem ja nicht weiter.
Sukov: Es reicht ja nicht, dass man sich fürchtet. Wenn ich mich fürchte, muss ich eine Alternative haben. Die Alternative wäre, das nicht zu tun, was diese Furcht hervorbringt. Davor fürchte ich mich noch viel mehr.
Barrientos: Ja! Ich will doch, dass man mir Mut macht, nicht Angst. Wenn Leander sagen würde, jetzt geh da mal nicht hin, da könnte dir was passieren, da wäre ich ihm nicht dankbar. Ich erwarte, dass er sagt, "natürlich, geh da hin!".
Sukov: Außerdem darf man nicht vergessen: Das Maximale, was an negativem Ergebnis zustande kommen kann, ist, dass man stirbt. Und das passiert sowieso.
Barrientos: Das klingt jetzt heroisch, aber im Kampf zu sterben ist das Beste, was passieren kann. Das wäre doch das I-Tüpfelchen auf dem ganzen Leben.
Sukov: Meine positive Endvorstellung ist, dass ich vor Simone sterbe, weil es dazu führt, dass ich mich hinterher nicht umbringen muss. Es ist einfacher, wenn es anders rum ist. Dann hat sie die Entscheidung – Todesart, wie sieht man am Schönsten aus …
Barrientos: Ich denke übers Sterben nicht nach. Das Altwerden finde ich blöd. Aber sterben – das ist noch so weit weg.