zurück
Würzburg
Vom Ausmerzen der Wörter
Premiere beim Theater Ensemble Würzburg mit '1984' von George Orwell. Die Darsteller von links: Detlef Leist, Julia Wohlfahrt und Andreas Protte.
Foto: Andreas Büttner | Premiere beim Theater Ensemble Würzburg mit "1984" von George Orwell. Die Darsteller von links: Detlef Leist, Julia Wohlfahrt und Andreas Protte.
Manfred Kunz
 |  aktualisiert: 12.01.2022 02:18 Uhr

George Orwells Roman "1984" ist ein Klassiker der dystopischen Literatur und zählt zu den berühmtesten Werken der Weltliteratur überhaupt. Das im Jahr 1949 erschienene Buch behandelt Themen wie Überwachung, Kontrolle und Manipulation des Einzelnen, beschreibt aber auch die Funktion autoritärer und totalitärer gesellschaftlicher Systeme. Die Zeitlosigkeit dieser Fragen hat den Roman unter dem Motto "Big Brother is watching you" längst zum festen Bestandteil des allgemeinen kulturellen Bewußtseins und zu einem klassischen Longseller des Buchmarkts werden lassen. So sind allein Anfang letzten Jahres acht (!) Neuübersetzungen in deutscher Sprache erschienen. Auch das beweist, dass die angesprochenen Themen ungebrochen aktuell sind und gerade in unserer Gegenwart eine neue Brisanz erfahren.

Hier knüpft Regisseur Andreas Büettner mit seiner Bühnenbearbeitung für das Würzburger Theater Ensemble an. Büettner hat die 300 Romanseiten auf eine Bühnenfassung von 70 Minuten verdichtet und als Theatermensch den Fokus seiner Inszenierung auf die sprachliche Ebene der Kontrollmechanismen gerichtet.

"Orwell-Collage" will er den Abend genannt haben; dabei interessiert ihn die Frage, wie künstliche Sprachvorgaben (im Roman "Neusprech" und "Doppeldenk" ) das Sprechen des Individuums und damit dessen Denken und Bewußtsein beeinflussen und verändern.

Minimale Elektronik und Percussion

Dramaturgisch hat der Regisseur die Textauszüge auf drei Personen verteilt, dazu besorgt Rüz Löser mit minimaler Elektronik und Percussion den kongenialen Live-Sound. Die anspruchsvollste Aufgabe meistert mit bravouröser Konzentration und Mimik Julia Wohlfahrt, wenn sie mit dem Smartphone aus nächster Nähe ihr Gesicht filmt, dessen Augenpartie wiederum zugleich auf einem großen Monitor den stets allgegenwärtigen Großen Bruder symbolisiert.

Andreas Protte und Detlef Leist übernehmen abwechselnd Erzählerfunktion, sowie Textpassagen der Hauptfigur Winston Smith und dessen anfänglich vermeintlich Gleichgesinnten O´Brien. Der entpuppt sich im Verlauf als Verräter und zugleich überzeugter Anhänger und Folterknecht des Großen Bruders und zwingt Winston mit Gewalt die neue, unumstößliche Wahrheit auf: "2 + 2 = 5". Damit ist das "Neusprech" durchgesetzt, der "Gedankenverbrecher" ist praktisch ausgeschaltet, widerständiges Bewusstsein eleminiert.

Theaterinstallation fiel aus

Die anschließende, begleitend angebotene Theaterinstallation "Notizen aus der woken Provinz" fiel mangels Anmeldungen aus. Stattdessen entwickelte sich ein reges Publikumsgespräch, in dem die Hintergründe der Inszenierungsidee von Büettner nochmals deutlich benannt wurden: Durch Sprachverbote vorgenommene Eingriffe in die Sprache sind seiner Meinung nach Vorboten totalitärer Systeme. Als in der DDR aufgewachsener Theatermacher, wo "1984" verboten war, hat er sich für solche Tendenzen eine hohe Wachsamkeit bewahrt. Diese Sensibilität für Sprache sollten alle teilen.

Nächste Vorstellungen: 8., 13., 14., 15. und 28 Januar. Karten-Tel.: (0931) 44545; www.theater-ensemble.net

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Manfred Kunz
Buchmarkt
Deutsche Sprache
George Orwell
Manipulation
Weltliteratur
Wörter
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • M. R.
    Wenn Orwell heute leben würde,
    was würde er zur Änderung der Sprache sagen?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten