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WÜRZBURG
Vier Stunden lebendiges Äthiopien
„Feel Ethiopia“ im Mainfranken Theater bot viel Unterhaltung und Informationen über Land und Leute
Feel Ethiopia: Ein faszinierendes Land zu Gast im Mainfranken Theater
Foto: Patty Varasano | Feel Ethiopia: Ein faszinierendes Land zu Gast im Mainfranken Theater
Karl-Georg Rötter
Karl-Georg Rötter
 |  aktualisiert: 27.04.2023 00:14 Uhr

Es war am Ende ein authentisches äthiopisches Fest auf der Bühne des Mainfranken Theaters. Es wurde spontan getanzt, viel gelacht und erzählt und nach fast vier Stunden (geplant waren gut drei) hatten an die 600 Besucher im Großen Haus den Eindruck, dass vor ihren Augen und Ohren Äthiopien sichtbar, greifbar und spürbar geworden war. Was hat dieses Land am Horn von Afrika nicht alles zu bieten: Eine Millionen Jahre alte Geschichte, Natur und Landschaft in Hülle und Fülle, Kultur fast im Überfluss und vor allem: freundliche und liebenswürdige Menschen.

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Dass sich vor diesem 25. Jahrestag der Wiedervereinigung Deutschlands die Zeitgeschichte so dramatisch verändern würde, wussten die Veranstalter (das Mainfranken Theater und die Stiftung „Menschen für Menschen“) nicht, als sie das Programm für den Benefizabend „Feel Ethiopia“ planten. Aus aktuellem Anlass luden sie daher über 100 äthiopische, in Würzburg lebende Flüchtlinge ins Theater ein.

Ein Äthiopier, den es nach seiner Flucht nach Würzburg verschlagen hat, wo er inzwischen seinen Lebensmittelpunkt hat, ist Addis Mulugeta. Der Journalist war mehrfach inhaftiert worden, weil er kritische Berichte schrieb, und musste seine Heimat verlassen. Als er in der Gemeinschaftsunterkunft ankam, wurde er gleich aktiv. Er war Mitbegründer der Flüchtlingszeitschrift Heimfocus und engagierte sich für das GU-Café. Inzwischen hat er sein Studium abgeschlossen und ist Würzburger Friedenspreisträger.

15 Minuten hatte er Zeit, das älteste Land Afrikas vorzustellen. Er berichtete von den berühmten Felsenkirchen in Lalibela, die im 11. Jahrhundert erbaut wurden, erklärte, dass der Name Äthiopien sich vom griechischen Wort „aithiops“ ableitet, was „Menschen mit verbranntem Gesicht“ bedeutet. Dass heute viele Menschen Äthiopien in Richtung Europa verlassen, liege an zunehmender Gewalt, religiösen Spannungen und einem wirtschaftlichen Ausverkauf des Landes an China, Saudi-Arabien und Indien, so Mulugeta.

Vom Alltag berichtete Bethlehem Terwey, die aus Äthiopien stammende Frau des Theater-Geschäftsführers Dirk Terwey, der zusammen mit Main-Post-Redakteur Andreas Jungbauer durch das Programm führte. Sie kam im Alter von 15 Jahren nach Deutschland und wurde hier von einer Familie adoptiert. Heute arbeitet sie in ihrem erlernten Beruf als Krankenschwester. Humorvoll berichtete sie vom äthiopischen Alltag, von einem grünen und lebendigen Land mit vielen Kindern, in dem immer alle Türen offen stehen und man sich ständig mit Nachbarn und Freunden trifft.

Diese äthiopische Heimat wurde auf der Bühne lebendig, als eine normalerweise mehrere Stunden dauernde Kaffeezeremonie im Zeitraffertempo von festlich-bunt gewandeten Frauen der äthiopisch-orthodoxen Gemeinde vorgeführt und von Addis Mulugeta erklärt wurde.

Bunt wurde es auch, als äthiopische Frauen und Kinder die alltägliche und die Festtags-Mode auf die Bühne brachten. Da war natürlich Stargast Sara Nuru (Germanys Next Topmodel 2009) in ihrem Element, die ihrerseits eigens ihre traditionelle Feiertagstracht angelegt hatte. Im Gespräch mit Andreas Jungbauer ging sie auf die Besuche in der Heimat ihrer Eltern ein: Diese hätten sie, die sonst in der Glitzerwelt der Mode unterwegs ist, zu ihren Wurzeln gebracht.

Anfangs sei es für sie erschütternd gewesen, das einfache Leben der Menschen mit eigenen Augen zu sehen, doch inzwischen erkenne sie, die selbst als Botschafterin von „Menschen für Menschen“ aktiv ist, Fortschritte in Äthiopien. Was Deutsche von dort lernen könnten? „Die Leute in Äthiopien sind unglaublich dankbar. Davon könnten wir in Deutschland mehr gebrauchen.“

Natürlich beteiligte sich auch das Theater am Geschehen auf der Bühne. Silke Evers (Sopran) und Daniel Fiolka (Bariton) sangen begleitet von Alexis Agrafiotis (Klavier) Vertonungen von Gedichten des französischen Poeten Arthur Rimbaud, der viele Jahre in Äthiopien lebte. Intendant Hermann Schneider erläuterte, warum „Feel Ethiopia“ ausgerechnet am 3. Oktober im Theater seinen richtigen Platz habe: Heutzutage sei ein Theater ein gesellschaftliches Forum für den öffentlichen Dialog unterschiedlicher Menschen und das Laboratorium einer „sozialen Fantasie“. Da passe eine deutsch-äthiopische Begegnung – insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse – sehr gut ins Bild.

„Wir werden immer mehr.“
Abay Kiros, Mitglied der äthiopisch-orthodoxen Gemeinde

Mit einem Bach-Choral leitete der Theater-Chor zum Thema Religion über, das in Äthiopien, wo Christen und Muslime weitgehend friedlich miteinander leben, eine wichtige Rolle spielt. In Würzburg existiert seit fünf Jahren die katholische äthiopisch-orthodoxe St. Markos-Gemeinde, wo jeden Sonntag sehr früh am Morgen der Gottesdienst gefeiert wird. Deren Priester Aba Abrahm Gebre Michael bedankte sich in einer Ansprache dafür, dass man in der Heilig-Geist-Kirche die Möglichkeit dafür erhalten habe. „Wir werden immer mehr“, sagte Gemeindemitglied Abay Kiros, verbunden mit dem Wunsch nach einem eigenen Kirchenraum.

Addis Mulugeta in amharischer Sprache und Schauspieler Daniel Ratthei in deutscher Übersetzung trugen ein eindrucksvolles Gedicht des äthiopischen Autors Tsegaye Gebre-Mdhin vor, ehe es in die Schlussrunde ging. Küchenchef Saied Abdullah machte den Besuchern den Mund wässrig auf das äthiopische Essen, das im Foyer wartete. Die Zutaten hierfür und die Getränke hatte der Betreiber der Theater-Gastronomie Emanuele La Rosa für den Benefizzweck des Abends gestiftet. Auch die Sparkasse Mainfranken und der Robert-Krick-Verlag hatten den Event gefördert.

Zum guten Ende erklärte Reinhold Scheiner von der Würzburger „Menschen für Menschen“-Gruppe, was mit den Einnahmen geschieht. Das Geld geht nach Äthiopien für die Behandlung einer dort häufig auftretenden Augenentzündung, die zur Erblindung führt, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt wird. Die Operation kostet zwar nur 20 Euro, für viele Äthiopier ist dies aber zu teuer. In einer ersten Hochrechnung, so Scheiner, könnten mit den Einnahmen von „Feel Ethiopia“ 600 derartige Operationen finanziert werden.

Und dann wurde gefeiert: Zu den Klängen von Keyboarder und Saxophonist Ayele Gesesse und dem ausdrucksstarken Gesang von Yamlaksira (deutsch „Gottes Werk“), die schon das Bühnenprogramm begleitet hatten, feierten Äthiopier und Deutsche dann noch ein rauschende Party bis kurz vor Mitternacht – bevor für einige wieder der Flüchtlingsalltag in einem dann vielleicht bald nicht mehr so fremden Land begann.

ONLINE-TIPP

Viele Bilder vom Äthiopien-Fest im Mainfranken Theater unter: wuerzburg.mainpost.de

 
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